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V.A.

Goudvishal Live 1984-1990 – DIY Or Die

Manchmal fühlt man sich wie ein Archäologe. Man spricht mit einem Freund, der früher maßgeblich im Goudvishal-Squat in Arnheim in Holland Konzerte veranstaltet und auch so gut wie alle farbigen Konzertplakate im Siebdruckverfahren gestaltet hat. Das waren großartige Jahre in der Goudvishal, als dort regelmäßig Bands aus der ganzen Welt als auch Punks von beiden Seiten der Grenze zusammenkamen. Es gab politische Demos, einen Piratensender und die einzelnen Squats in Holland kommunizierten via Kurzwellenfunk untereinander, damit die Bullen außen vor blieben. Dann erzählt dieser Freund, dass damals so gut wie alle Bands über das Mischpult in guter Qualität aufgenommen wurden. Wot?! Alter Finne, was geht? Natürlich habe ich ihm den Kontakt zu Henning Prochnow in Rendsburg vermittelt, der all diese Live-Aufnahmen digitalisiert hat. Natürlich habe ich meinen Freund Marcel Stol (auch der Bassist von NEUROOT) dazu gebracht, dass er ein Best-Of dieser Live-Tracks auf einem LP-Sampler herausbringt. Es ist der Soundtrack zur vielleicht der besten Zeit unseres Lebens, damals in den Achtziger Jahren im „gefährlichen Grenzland“, wie wir es gerne genannt haben. Mit Live-Aufnahmen ist es immer so eine Sache. Muss man nicht gut finden, aber trotzdem spiegeln sie immer die damalige Atmosphäre wider. Für die hier vorliegende Compilation hat Marcel Songs ausgewählt, bei denen auch immer eine Interaktion mit dem Publikum zu hören ist und nicht „nur“ die reine Musik. Damals kam es oftmals vor, dass Bands nicht nur ein Konzert spielten, sondern auch mehrere Tage vor Ort blieben, weil es in den Achtzigern selten zusammenhängende Tourdaten gab. Die Bands blieben dann eben längere Zeit im Squat und assimilierten sich. Der persönliche Kontakt war es, der wichtig war und für einen bleibenden Eindruck sorgte. Sieht man auf die Liste der Bands auf diesem Live-Sampler, kann man jede Menge bekannte Bandnamen entdecken. Zum Beispiel NAPALM DEATH ... auf ihrer ersten Tour 1987. Das hier ist zu 100% authentisch, weil einfach nur Krach. Schnell und Krach. Was will man mehr? Der Metal-Sound kam erst später hinzu, das hier war grundehrlicher Fast- und Grindcore. Aber wer zur Hölle waren Bands wie GOD, MOTHER oder GORE? Wer in den Achtzigern in Holland auf Konzerten war, hat immer holländische Bands zu sehen bekommen, die ebenfalls aus der Squatter- und Anarcho-Szene kamen, aber musikalisch wüsten, dreckigen Rock spielten. Das gehörte damals dazu und muss sich aufgrund der Hörgewohnheiten der Jetztzeit nicht glattbügeln lassen. Heute wollen wir Musik gerne „sortenrein“ hören, immer schön nach Subgenres aufgeteilt. Nö! Einfach mal nö! Oder Songs wie von RKL, die damals als personifizierter Hardcore-Frickel-Abgeh-Drogen-Punk galten. Kein Wunder, dass heute die meisten aus der Band bereits tot sind. RKL sind und bleiben Kult. Mit Songs wie diesem hier auf jeden Fall! SNFU (RIP Mr. Chi-Pig!), SCREAM (mit Dave Grohl an den Drums), MDC (mit einer extra Spoken-Word-Performace über Polizeibrutalität als LP-Einleitung), ACCÜSED auf amerikanischer Seite, auf europäischer Seite NEGAZIONE, UPSET NOISE, JINGO DE LUNCH, HERESY, NEWTOWN NEUROTICS, NEUROOT. Abgerundet wird das alles von den Brasilianern CÓLERA. Die LP im Gatefoldcover bietet selbst sehr wenig Infos zur Bedeutung des Goudvishal Squat in Holland, was man vorübergehend monieren darf. Allerdings wird im Laufe des Jahres 2021 ein Buch dazu erscheinen, in dem alle farbigen Konzertplakate sowie jede Menge Fotos und Storys enthalten sein werden. Ungefähr fünfzig dieser Plakate hängen übrigens bei mir im Haus, das nur am Rande erwähnt. LP und Buch ergeben einen Klassiker für die Zukunft!