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V.A.

Bullshit Detector I, II, III

In grauer Vorzeit war mensch mit seiner Nischenmusikneigung darauf angewiesen, zwecks Zufuhr neuer Musik auf verschiedene Quellen zurückzugreifen. Je nach Wohnort gab es Radiosender mit mal mehr, mal weniger Punk, es gab Plattenläden mit Anhörstationen, es gab den Austausch mit Freunden via Mixtapes, es gab spezialisierte, nicht mal semi-legale Mailorder, die einem für kleines Geld Tapecomps verkauften – und es gab offizielle LP-Sampler wie „Not So Quiet On The Western Front“ oder „International P.E.A.C.E. Benefit Compilation“. Diese Compilations waren Fenster in die weite Welt, über die oft abgedruckten Bandadressen wurden weltweite Punk-Netzwerke geknüpft in einer Zeit, als noch nicht die Playlisten und damit der Musikgeschmack von undurchsichtigen Algorithmen börsennotierter Großkonzerne bestimmt wurde. Das englische Polit-, Musik- und Kunstkollektiv CRASS mischte in der ersten Hälfte der Achtziger auch bei diesem Compilation-Spiel mit und veröffentlichte in den Jahren 1980, 1982 und 1984 drei Folgen/Volumes von „Bullshit Detector“ – die erste Folge als einfache LP, die zweite und dritte als Doppel-LP. So wie CRASS-Platten damals durchaus herausfordernd waren, eben weil sie auf dem musikalischen Spektrum entgegengesetzt zu den Rockbands (sic!) SEX PISTOLS und THE CLASH standen und in Sachen Produktion und musikalischer Experimentierfreude durchaus die Erwartungen von Punk-Jungspunden überfordern konnten. Man wusste dann zwar im Einzelfall, dass das irgendwie aus guten Gründen so ist, wie es ist, aber so richtig verstanden hat man es nicht immer. Dazu trug auch das DIY-Verständnis von CRASS bei, die mehr oder weniger 1:1 die eingesandten Bänder von Bands und Musizierenden in Vinyl pressten – beispielhaft sei etwa „Living in fear“ von ALIENATED auf Vol. III genannt, das nicht mehr ist als ein paar Punks, die auf Mülleimerdeckeln (?) herumtrommeln und dazu ihre Texte rausbrüllen. Kann man machen, muss man aber nicht feiern. Sowieso fällt auf, wie viele unbekannt gebliebene Bands hier vertreten waren. Von nicht wenigen ist kaum mehr erhalten geblieben als mal ein Tape oder auch nur diese Aufnahme auf „Bullshit Detector“. Große Namen zu sammeln war definitiv nicht der Plan des CRASS-Kollektivs, die zudem dafür bekannt waren, ihre Platten für kaum mehr als den Selbstkostenpreis zu verkaufen. Ein gewisser Kontrast zu den Preisen, die heutzutage für die von One Little Independent neu aufgelegten Compilations gezahlt werden müssen – die Originale gehen aber heute zu ähnlichen Preisen weg ... Verwaltet wird das Erbe von CRASS seit geraumer Zeit vom britischen Indielabel One Little Independent (zuvor: One Little Indian), das 1985 vom FLUX OF PINK INDIANS-Bassisten Derek Birkett gegründet wurde. Schön ist, dass die ursprünglichen Postercover 1:1 reproduziert wurden, sie haben die sechsfache Fläche eines LP-Covers und wurden einst liebevoll mit den seitens der Band eingesandten Materialien und Texte in Form einer Collage erstellt – eine Technik, mit der CRASS maßgeblich die Punk-DIY-Ästhetik prägten. Was nun die Musik betrifft: Hier und da herausfordernd ist das immer noch, das Gegenstück einer Spotify-Playlist, uneasy listening, das Dokument einer heute nur noch am Rande wahrgenommenen Seite des frühen Punkrock. Und die paar „großen“ Namen hier sind die von Bands, die damals – von CRASS mal abgesehen – auch noch klein waren, siehe NAPALM DEATH, siehe AMEBIX, siehe CHUMBAWAMBA. Und nein, die VERBAL ASSAULT, die RED ALERT, die ANTHRAX hier sind nicht identisch mit den „großen“ Bands mit diesem Namen. Eine interessante Zeitreise.