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V.A.

Oi! The Album

Es gibt nur wenige Fälle in der Musikgeschichte, wo eine Platte, eine Compilation so eine Wirk- und Definitionsmacht hatte wie in diesem Fall. Ein Album aus einem speziellen Zeitkontext: Nach Jahren von Labour-Regierungen war im Mai 1979 Maggie Thatcher als Premierministerin der konservativen Tories ins Amt gewählt worden und fing an, in England aufzuräumen – im Grunde ging es darum, den Sozialstaat zu stutzen, die Macht der Gewerkschaften zu brechen und das Land und die Wirtschaft marktliberal aufzustellen. Nicht dass vorher alles eitel Sonnenschein gewesen wäre, etwa in Sachen Arbeitslosigkeit, aber wirklich besser wurde es für die Arbeiterklasse im Vereinigten Königreich auch nicht. Und so wurde auch die Jugend noch wütender, politisierte sich ein Teil der Punk-Szene noch mehr und differenzierte sich weiter aus. Dem Musikjournalisten Garry Bushell wird zugeschrieben, in dieser Zeit angesichts von immer mehr Bands mit fußballgröligen Refrainchören im Stil der Gesänge auf den Rängen der Stadien, der „terraces“, den Begriff Oi! eingeführt und eine Auswahl von jenen Bands auf einer LP-Compilation namens „Oi! The Album“ zusammengefasst zu haben, die dann sogar beim Majorlabel EMI erschien. Jahre später, als die Oi!- respektive Skinhead-Szene sich, nun, „ausdifferenziert“ hatte und die Lager links gegen rechts sich gegenüberstanden und die Nazi-Boneheads den Ruf der Skinhead-Subkultur bis in alle Ewigkeiten schädigten, hätte kein großes Label mehr so ein Projekt angepackt. Ein Jahr später stellte Bushell für Decca Records den Nachfolger „Strength Thru Oi!“ zusammen und die Scheiße traf den Ventilator: Der Titel griff über Bande und popkulturell um die Ecke gedacht den Nazi-Slogan „Kraft durch Freude“ (Strength thru Joy“) auf, und der Typ auf dem (ursprünglichen) Cover stellte sich als Nazi heraus. Das Kind war im Brunnen, Bushell diskreditiert, Oi! bekam einen ersten Schlag weg in der öffentlichen Wahrnehmung. Auf Secret Records kam dennoch ebenfalls 1981 noch mit „Carry On Oi!“ Teil 3 heraus. Doch zurück zu Teil 1: Weltweit lernten nun Jugendliche einen neuen, leicht variierten Punksound kennen, auf den Fotos – hier auf den reproduzierten Bildern erkennbar – waren aber mitnichten nur glatzköpfige Bands zu sehen. Vertreten waren unter anderem COCKNEY REJECTS, PETER AND THE TEST TUBE BABIES, 4 SKINS, EXPLOITED, ANGELIC UPSTARTS, COCK SPARRER und SLAUGHTER & THE DOGS, teils mit zwei Songs. Die Bands unterschieden sich – wie wir heute wissen – von ihrem Szene-Hintergrund her teils fundamental, aber einmal in den neuen Oi!-Topf geworfen, prägte das Rezeption und Publikum deutlich. Der Rerelease im LP-Format mit Klappcover ist für alte Szenehasen entbehrlich, weil das Teil über die Jahre immer wieder mal neu aufgelegt wurde, aber für Jüngere durchaus interessant, auch wegen der Linernotes des im Laufe der Jahrzehnte politisch auch mal irrlichternden Bushell. Ich schließe mit dem legendären Songtitel der COCKNEY REJECTS: „Oi, Oi, Oi“.