Legendäre Compilations

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Chaostage - Grüße aus Hannover

(CD, Highdive, 1996)

Kurz zur Vorgeschichte des Samplers: Am ersten Augustwochenende 1995 fanden wieder Chaostage in Hannover statt. Die ersten Punks waren schon am Wochenende zuvor angereist, friedliches Feiern in der City war bis Donnerstag möglich. Dann griff das „Deeskalationsprogramm“ der Cops. Die Folge: tagelange Straßenschlachten in den alternativen Vierteln Nordstadt und am Samstag auch in Linden, über 1.300 Punks in Gewahrsam, 130 verletze Cops und unzählige, zum Teil schwerverletzte Punks. Was in zahlreichen Fanzines als Erfolg gefeiert wurde, ließ die Hannoveraner Punk-Szene mit einem ordentlich Kater zurück.
Denn Cops und die Politik reagierten prompt. In den nächsten Monaten wurde das Punk-Wohnprojekt in der Heisenstraße in der Nordstadt geräumt – die besetzten Häuser auf dem Sprengelgelände standen unter scharfer Beobachtung. 1996 wurde ein neues Gefahrenabwehrgesetz mit drastischen Verschärfungen durch den niedersächsischen Landtag gepeitscht und verabschiedet. Das Gesetz wurde zur äußerst wackligen Grundlage, um die für 1996 angekündigten Chaostage als Versammlung einzustufen und zu verbieten. In dieser Zeit entstand der Sampler, um ein Stimmungsbild der Hannoveraner Punk-Szene zu geben. Insgesamt 26 Bands sind darauf vertreten, so unterschiedlich wie ihr Sound waren auch die Einschätzungen zu den vergangenen, aber auch den kommenden Chaostagen, die im Booklet nachzulesen sind.
Die musikalische Bandbreite umfasst 77er-Punkrock wie von BRATBEATERS, Melodycore von GIGANTOR, melodischen Punk von CRASSFISH, SCHROTTGRENZE, GAY CITY ROLLERS, DIE DIKKMANNZ oder PISSED SPITZELS, während Bands wie ANFALL, ANSCHISS oder PSYCHISCH INSTABIL eher die härtere Gangart einschlugen. D-Beat steuerten RECHARGE bei. BOSKOPS sind mit ihrem Song „Punk-Kartei“ von 1983 vertreten, nicht der einzige nicht aktuelle Song, der auch den Grund für die ersten Chaostage in Hannover thematisiert. Zwischen den einzelnen Songs sind O-Töne von den Chaostagen 1995 zu hören, von Punks aber auch von Anwohnern und Cops, ein Stimmungsbild der besonderen Art. Der Erlös aus dem Sampler ging unter anderem an die Rote Hilfe, Hannoveraner Obdachlosen-Projekte und das Punk-Haus in der Kopernikusstraße.
Das Projekt stieß allerdings nicht nur auf Zustimmung, Vorwürfe, zu „Ordnungstagen“ aufzurufen und die Szene zu spalten, kamen unter anderem vom sogenannten Spiritus Rector oder auch vom Zap. Allerdings wurden diese von der Wirklichkeit eingeholt. Im zehntägigen Verbotsraum um das erste Augustwochenende sorgten rund 10.000 Bullen für mehr als 2.000 Platzverweise und Aufenthaltsverbote für alle, die nur im Entferntesten nach Punk aussahen.