Legendäre Compilations

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Die Zähne zeigt, wer das Maul aufmacht Vol. 1

(LP, Fuckin’ People, 1997)

Der Untertitel des Samplers lautet „Benefiz für die radikal“. Die Zeitschrift radikal entstand 1976 in Berlin als Sprachrohr der linksradikalen Szene, vor allem der Hausbesetzerszene. Die radikal startete zunächst mit offenem Konzept. Doch schon 1978 gab es ein erstes Ermittlungsverfahren. Weitere Verfahren folgten, unter anderem wegen des Abdrucks von Bekennerschreiben sowie von Bauanleitungen für unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen. 1982 begann ein weiteres Ermittlungsverfahren, in dem die beiden Herausgeber zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurden. Allerdings wurden beide 1984 für die Grünen ins Europaparlament gewählt, so dass sie die Strafe nicht antreten mussten. Kurz darauf wurde die radikal dann umorganisiert und die Redaktionsanschrift ins Ausland verlegt. Trotzdem wurden die Zeitschrift und ihre Vertriebsstrukturen weiterhin mit Repressionen überzogen. Und um Solidarität mit den Betroffenen einer dieser Maßnahmen ging es bei diesem Sampler. 1993 begann es mit einer Abhöraktion gegen sieben Menschen und erreichte im Juni 1995 in einer bundesweiten Razzia mehrerer Hundertschaften gegen 55 Personen und Organisationen ihren Höhepunkt.
Fuckin’ People stellte zusammen mit Lund Castle Core Records den Sampler ab 1995 auf die Beine, um die Finanzierung der anstehenden Prozesse zu unterstützen. Insgesamt 14 Bands steuerten 22 Songs bei, einige davon waren mit zwei Songs vertreten. Die Zusammenstellung gibt einen guten Überblick über die damalige Polit-Punk-Szene, zumindest was den Norden Westdeutschlands angeht. So beteiligten sich Bands wie A.A.K., CIRCUS OF HATE, ZACK AHOI, VOLL AUF ZERO oder PSYCHISCH INSTABIL neben AMOK aus Bonn und SCHEISSE aus Freiburg sowie RAWSIDE aus Coburg. Der einzige ausländische Beitrag kam von KULTA DIMENTIA aus Wien. Musikalisch umfasst es eine Bandbreite von krachigem Deutschpunk über Hardcore-Punk bis hin zu Punk mit Geige. Die von einer Ausnahme abgesehen deutschen Texte handeln von eigenen Erfahrungen mit der Staatsmacht wie „Die Polizei knüppelt wieder“ oder „Hamburg 94“, der beginnenden Gentrifizierung wie in „Yuppies raus“, kritisieren aber auch die Szene wie in „Haut endlich ab“ oder die eigene Resignation wie bei „Immer wieder Pupsi“ oder „Ohne Name“. Dem Album lag ein dickes Beiheft mit Hintergrundinformationen zu der radikal und den Prozessen sowie den Texten der Bands bei. Der Sampler wurde nicht wieder neu aufgelegt. Und im Januar 1998 wurden alle Verfahren gegen insgesamt 17 Menschen, von den vier für ein halbes Jahr in Untersuchungshaft saßen, wegen Geringfügigkeit eingestellt.