Nichts ist wirklich vollständig im Punkrock-Universum BRD. Da erscheint ein Buch über Punk im Ruhrpott ohne die Band HASS und in dem sehr guten Standardwerk „Verschwende deine Jugend“ wird SLIME nicht einmal erwähnt. Dazu die ewige Diskussion: Düsseldorf, Berlin, Hamburg – wer war zuerst da? Das dürfte inzwischen geklärt sein, aber eher nicht, wer wie relevant für das Entstehen von Punk in Deutschland war. Da wirkt es fast wie ein Witz, dass ausgerechnet das Hamburger Label Weird System der Berliner Punk-Szene seine Aufmerksamkeit in geradewegs bahnbrechender Art und Weise schenkte: Nicht nur, dass hier eine Doppel LP mit 44 Acts vorliegt (mit tollem Band- und Musiker-Stammbaum im Gatefold), auch das fette A4-Beiheft in Fanzine-Optik hat es gewaltig in sich („Punk Rock Bibel Berlin“). Neben Beiträgen von Ralf Rexin, dem bereits verstorbenen Peter Radszuhn oder einem Interview mit Karl Walterbach wird hier nämlich jede Band extra vorgestellt. Es gibt über Punk in der inzwischen zur Hauptstadt avancierten Metropole nirgendwo mehr kompaktes Wissen zu erfahren.
Den Reigen eröffnen natürlich PVC mit ihrem „Wall City Rock“ und als Drittes kommen dann TEMPO, welche die erste deutsche Punk-Single seinerzeit releaseten. Interessant die Spuren lange vergangener Tage, so etwa bei KATAPULT, deren Shouter mit einer Ansage bei einem Live-Konzert für Verwunderung sorgt, mit der er den Besuchern die Angst zu nehmen versucht: etwa davor, Kontros „vor die Fresse zu hauen“, falls die den Fahrschein sehen wollen, oder „bei Karstadt zu klauen“. Die DIE ÄRZTE-Vorgängerband SOILENT GRÜN besingt dann auf Sächsisch ihren „FDJ Punk“. Die Musik wandelt sich von etwa 1983 an von Fun-Punk-lastigen Bands (ÄRZTE, FRAU SUURBIER, DTJ, SCHLIMME FINGER) zu immer härteren Tönen, was bei SM-70 dann zu einer selten gehörten Kakophonie führt – dichter und schneller als im Song „Verdunkeln“ ist es kaum möglich, sich notentechnisch auszudrücken.
Und VERLORENE UNSCHULD (V.U.) sangen 1981 über die Preispolitik von Vinyl: „Ich gehe in den Plattenladen und kriege einen Schaden, unter 19,90 ist nichts zu haben.“ Da wiederholt sich fast die Geschichte, wenngleich wir heute bekanntlich eine ganz andere Währung haben. Und dort, wo die Ostmark als Währung galt, in der DDR, gab es auch aufmüpfige Bands, die unser Zeitdokument am Ende bereichern. Vielleicht nicht musikalisch, aber sicher textlich. Denn was NAMENLOS 1983 in „Nazis wieder in Ostberlin“ sangen, ging freiheitstechnisch für einige Bandmitglieder schwer ins Auge: „Judenverfolgung, Massenabschlacht, über Deutschland finstere Macht, Nazis, Nazis wieder in Ostberlin“. Au Backe! Vom Label Weird System indes ist seit Jahren nichts mehr zu hören.
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