CLEANSE THE BACTERIA
LP, Pusmort, 1985
Es gibt Punkrock-Sampler in allen möglichen Ausführungen, aber es gibt nur wenige, die dermaßen polarisierend waren wie „Cleanse The Bacteria“ von 1985. Das hat vornehmlich mit der Entwicklung der weltweiten Hardcore-Punk-Szene zu tun. Als Kernstück der Entwicklung ist hier das amerikanische Maximum Rocknroll Fanzine aus San Francisco zu benennen, welches sich seit 1982 aktiv um eine Vernetzung der internationalen D.I.Y.-Punkrock-Szene bemüht. Das MRR ist so etwas wie der soziale Kitt innerhalb der Szene, die sich in den frühen Ausgaben des MRR in Form von Szene-Reporten ausdrückte.
Einer, der in dieser internationalen Szene aktiv war, ist Brian „Pushead“ Schroeder. Anfang der Achtziger Jahre hatte ich eine Brieffreundin aus Boise, Idaho, über die ich Kontakt zu Pushead aufnehmen konnte. Als MRR-Redaktionsmitglied war er höchst beliebt, denn er interessierte sich vornehmlich für die extremen Bands, nicht für Allerwelts-Punkrock-Bands, die man an jeder Ecke abgreifen konnte. Wenn man eine Plattenbesprechung von Pushead las, die er in der Regel mit der überbordenden Begeisterung schrieb, die er nun mal für Hardcore-Punkmusik empfand, dann bekam man solche Sätze zu lesen: „Die Musik hört sich so an, als würde man dir mit der Kraft einer Lokomotive ein rostiges, scharfkantiges Heizungsrohr in den Arsch schieben!“ Dann wusste man direkt, dass man sich genau diese Band auf jeden Fall anhören musste, denn Pushead war ein Garant für guten Geschmack, eben weil er sich mit den richtig heftigen und krassen Bands auskannte.
Nicht unerwähnt bleiben sollten auch seine zeichnerischen Fähigkeiten, da er bereits seit 1983 eine Menge derber Totenkopf- und Splatter-Motive in verschiedenen MRR-Ausgaben veröffentlicht hatte. In den folgenden Jahren wurde er international durch seine Illustrationen für das Skateboard-Magazin Thrasher als auch speziell für T-Shirt-Motive von METALLICA und MISFITS bekannt, was ihm finanziell in Folge einen sorgenfreien Lebensstil ermöglichen sollte.
Aber zunächst war Pushead nur einem kleinen Zirkel von Kennern ein Begriff. Damals sang er selbst noch bei SEPTIC DEATH (von 1981 bis 1986), die ebenfalls einem noch härteren Thrash-Spektrum am Rand der Szene entstammten und jede Menge anderer Bands beeinflussen sollten. Zudem gründete er mit Pusmort ein eigenes Label, auf dem er großartige Platten veröffentlichte, wie die POISON IDEA-LP „Kings Of Punk“, den US-Release der SACRILEGE-LP „Behind The Realms Of Madness“, „Power From Hell“ von ONSLAUGHT, die INFERNO/EXECUTE-Split-LP sowie GASTUNK aus Japan, PART 1 oder CHRIST ON PARADE. Und noch viele weitere hervorragende Platten, glaubt es mir. Sucht die Scheiben! Und wenn ihr sie findet, kann sich glücklich schätzen, denn wer sich grandioser Musik mal ordentlich die Ohren durchblasen lasen will, wird sich so gut wie mit jedem Pusmort-Release anfreunden können.
Im Jahr 1985 brachte Pushead die Compilation „Cleanse The Bacteria“ heraus, für die er eine Auswahl seiner persönlichen Favoriten aus aller Welt zusammenfasste. Durch seine Tätigkeit beim MRR hatte er direkten Zugriff auf alle guten und angesagten Hardcore-Punkbands dieser Zeit. Zum größten Teil hat er Bands dafür ausgewählt, die sich in ihrem Erdteil einen hohen Bekanntheitsgrad erspielt hatten, wie etwa die INSTIGATORS aus England, die mit dem Song „The blood is on your hands“ einen regelrechten Punkrock-Evergreen zum Sampler beisteuerten. Eine zweite englische Band waren PART 1, die zum damaligen Zeitpunkt einen Mix aus CRASS-meets-AMEBIX und Post-Punk spielten, womit sie von all den krassen, schnellen Hardcore-Punkbands etwas abhoben. Ihre LP „Pictures Of Pain“ erschien noch im gleichen Jahr auf Pusmort. Bei SIEGE aus Boston lag der Fall damals allerdings etwas anders, denn sie hatten ein Jahr zuvor lediglich ein Tape herausgebracht und so waren ihre drei Compilation-Songs auf „Cleanse The Bacteria“ der erste und einzige offizielle Vinyloutput der Band.
Auf „Cleanse The Bacteria“ findet man jedoch auffallend viele Bands, deren eigene Veröffentlichungen heute in unserer Szene als Kultplatten respektive Klassiker gelten: Da wären CRUDE S.S. (mit Peter Ahlqvist als Manager, später Gründer des Burning Heart-Labels) und MOB 47 aus Schweden, ENGOLA GAY aus Dänemark, INFERNO aus Augsburg (damals managete Dolf Hermannstädter die Band und gründete später mit anderen das Trust-Fanzine), ZYKLOME A aus Belgien, EXTREM aus Wien, CIVIL DISSIDENT aus Australien oder AKUTT INNLEGELSE aus Norwegen (mit Thomas Seltzer aka Happy Tom am Bass, später bei TURBONEGRO). Es tauchen auch zwei europäische Bands auf, die kurz zuvor ihren Namen geändert hatten und bis heute für Kopfzerbrechen bei Plattensammler-Nerds verantwortlich sind: Bei GENOCIDE EXPRESS handelt es sich um die ehemaligen AGENT ORANGE aus Holland, deren 7“ „Your Mother Sucks Cocks In Hell“ von 1983 heute in der Regel zwischen 350 und 450 Euro über die Sammlertheke geht. Und hinter HOLY DOLLS verbergen sich RIISTETYT aus Finnland, denen die kurz zuvor absolvierte US-Tour anscheinend zu Kopf gestiegen war, so dass sie nun unter dem englischen Namen mit Synthesizer einen fürchterlichen Sound fabrizierten, der an späte GUNS’N ROSES erinnert.
„Cleanse The Bacteria“ jedenfalls zeigte der US-Szene damals vor allem, was für eine krasse, derbe und guter Hardcore/Punk-Szene in Europa existierte. Aber es ging ja um ein Geben und Nehmen, und der Austausch stand klar im Vordergrund. Daher waren wir auf unserer Seite des Atlantiks sehr davon angetan, dass es hier auch neue Songs von 7 SECONDS, SEPTIC DEATH, POISON IDEA sowie CORROSION OF CONFORMITY zu hören gab.
Eine Novum stellte damals ebenfalls dar, dass Pusmort Records so ziemlich das erste Punk-Label war, welches einen Single-Club gründete. So bekamen diejenigen, die zuvor den Sampler postalisch vorbestellt hatten, auch noch eine Bonus-12“ mitgeschickt, gepresst auf schickem, orangefarbigen Vinyl, und versehen mit einer hervorragenden Songauswahl. Die zusätzlichen Songs von C.O.C., MOB 47, CIVIL DISSIDENT, GENOCIDE EXPRESS, INSTIGATORS, PART 1 und POISON IDEA waren für mich im Vergleich zum eigentlichen Sampler immer die besseren.
Wen Pushead leiden konnte, dem legte er ein „Cleanse“-Poster bei und entschuldigte sich in einem Brief für die monatelange Verspätung, mit der der Sampler erschienen war. In dieser kompletten Club-Ausgabe findet man den Sampler nur noch selten, und wenn, dann meist zu Preisen um die 220 bis 280 Euro. Zum Glück wird alles, was völlig überteuert gehandelt wird, irgendwann auch mal als Bootleg veröffentlicht, und so ist „Cleanse The Bacteria“ auch für wesentlich weniger Geld zu finden, und natürlich kann man den Sampler auch im Netz anhören. Mein verfrühter Exitus wird mit Sicherheit daher rühren, dass ein lebenswichtiger Anteil meiner Hirnzellen beim Anhören dieser Musik verloren ging und die von ihr ausgelösten Körperbewegungen mir dann den Rest geben werden.
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