Legendäre Compilations

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Punk And Disorderly - LP, Abstract, 1981

Wenn man sich das Line-up des diesjährigen Rebellion Festivals in Blackpool in England ansieht, dann wird dort mit der Second Wave of British Punk Rock geworben. Mit dem Beginn der Achtziger Jahren wurde es in England musikalisch auf einmal wesentlich schneller und ruppiger. Und der 1981 erschienene Sampler „Punk And Disorderly“ enthält eine der besten Zusammenstellungen der frühen Hardcore-Punkbands von der Insel. Wenn ich mir heute Songs wie „Last day“ von THE INSANE oder „4 minute warning“ von CHAOS U.K. anhöre, wird mir immer noch ganz blümerant, der Verstand setzt aus und mein direktes Umfeld verwandelt sich in einen Circle Pit! Dieser Sampler ist gespickt mit den absoluten Hits der beteiligten Bands.

Den Auftakt auf der A-Seite machen VICE SQUAD und spielen mit „Last rockers“ eine zuckerige Punkrock-Perle, die dem Hörer den Einstieg versüßt. Auch die darauf folgenden THE ADICTS wurden durch diesen Sampler erstmals flächendeckend in der Punk-Szene wahrgenommen. Auch ihr optisches Auftreten war äußerst aufsehenerregend, denn Sänger Monkey trat stets mit einem aufgemalten Joker-Gesicht auf und alle Bandmitglieder waren wie die Droogies aus dem Film „A Clockwork Orange“ gekleidet.

Nach U.K. DECAY mit „For my country“ kommt nun der erste Meilenstein im Auseinanderpflücken der damaligen Hörgewohnheiten: DISORDER aus Bristol waren angetreten, um das Chaos der Punk-Bewegung nun auch endlich in die Musik zu transferieren. Und das taten sie vorzüglich mit ihrem Song „Complete disorder“. Ich hielt das seinerzeit für eine sehr gelungene Dekonstruktion des tradierten Punkrock-Musikschemas und habe dies zum Anlass genommen, mir in den nächsten Jahren nur noch derartige Bands anzuhören. Es folgt die Anarchopunk-Band DISRUPTERS, bevor die Seite mit Songs der heute legendären Oi!-Bands RED ALERT und BLITZ endet.

Die B-Seite beginnt mit der amerikanischen „Quotenband“, den DEAD KENNEDYS. Diese waren damals bereits in England auf Tour gewesen und durch ihre erste LP sehr bekannt. Mit „Kill the poor“ lieferten sie der Szene einen überaus sozialkritischen Text, welchen wir gerne in der Straßenbahn oder im Bus herausgrölten! Schon damals wurden die DEAD KENNEDYS überall auf der Welt verehrt und geliebt, somit werteten sie diesen Sampler deutlich auf. Einen weiteren Krawall-Hit liefern die PARTISANS aus Bridgend in South Wales dann mit ihrem Song „Police story“, der keinen Zweifel zulässt, dass die Bullen in den Achtziger Jahren als Hauptfeinde der Punks betrachtet wurden, gegen die sie überaus brutal vorgingen.

DEMOB aus Gloucester haben mit „No room for you“ ebenfalls einen sehr guten Song am Start, sind in den Folgejahren aber leider etwas untergegangen. Doch wenn man sich ihre LP und die beiden Singles von Anfang der Achtziger Jahre heute anhört, dann gerät man schnell ins Schwärmen. ABRASIVE WHEELS aus Leeds, hier mit „Army song“, haben ebenfalls eine Menge Platten veröffentlicht und haben die Achtziger Jahre durchaus mit ihrem Bandnamen auf Lederjacken beherrscht, allerdings kann ihre Musik den test of time eher nur mit jedem dritten oder vierten Song bestehen.

Von einem ganz anderen Kaliber waren da die OUTCASTS aus Belfast in Nordirland, deren Debüt-LP 1979 auf dem Good Vibrations Label erschienen ist. Sie mussten teilweise unter Lebensgefahr ihre Musik spielen, da Belfast damals zu den Schauplätzen des Nordirlandkonflikts gehörte. Sie wurden von Extremisten der irischen als auch englischen Seite gedrängt, nicht weiter Musik zu machen. Vor ein paar Jahren hat dann des nordirische Parlament öffentlich bestätigt, dass die damalige Punk-Szene Belfasts dazu beigetragen hat, die Menschen aus unterschiedlichen Lagern wieder zusammenzubringen.

Mit G.B.H. und „Rage against time“, einem ihrer Hits, endet dieser großartige Sampler, dessen einziges Manko es ist, dass DISCHARGE hier fehlen. Erschienen war „Punk And Disorderly“ 1981 auf dem gerade gegründeten Label Abstract Records, das in der Folgezeit unter anderem Platten von U.K. SUBS oder NEW MODEL ARMY veröffentlichte, heute aber nicht mehr existiert. Auf einem anderen Label, Anagram Records, erschienen 1982 und ’83 noch zwei weitere Compilations unter dem Namen „Punk And Disorderly“ mit ähnlicher Ausrichtung und Qualität: „Further Charges“ und „The Final Solution“.

 


In der Prä-Internet-Zeit, als nicht jeder jederzeit überall Zugang zu beliebigen Streaming-Playlisten hatte, stellten Compilations, egal, ob auf Tape oder professionell auf LP vervielfältigt, ein wichtiges Austauschmedium statt. Oft international besetzt, verknüpften sie Städte, Regionen, Länder, Kontinente in Sachen Punk. Bands wie Compilation-Macher legten Wert darauf, sich mit ihren ein, zwei Songs möglichst gut zu präsentieren, im Wissen darum, dass auf diesem Wege Punks weltweit ihre Band kennen lernen würden. Fast immer lag den Compilations ein Booklet bei, mit Songtexten, Fotos, Kurzinfos zu den Bands – und der Postadresse. Brieffreundschaften entstanden so, Touren und Konzerte wurden auf dem Postwege organisiert, Platten bestellt, Mailorder und Labels entstanden, ganz zu schweigen vom musikalisch-kulturellen Austausch.

Neue Bands lernte man fast nur so kennen, oft wurden sämtliche Platten der vorgestellten Bands nach und nach zusammengekauft, Bands ließen sich voneinander beeinflussen, musikalisch wie inhaltlich. Der Aufwand zur Erstellung solcher Compilations war erheblich, der Postweg dauerte von Land zu Land oft Wochen, und so gingen auch mal ein, zwei Jahre ins Land, bis so ein Sampler stand.

Mit dem Aufkommen der CD wurden Compilations zunehmend zum billigen Marketinginstrument, Playlists zu beliebigen Themen kann heute jeder bei diversen Streaming-Diensten zusammenstellen, und doch geht eigentlich nichts über sorgsam kuratierte Themen-Compilations mit dickem Booklet, die Ewigkeitscharakter haben. Solche Compilations werden in dieser Serie vorgestellt.