Hast du dir so gedacht, was? Ich liebe den Geruch von enttäuschten Erwartungen vor dem Frühstück, das leise Plopp, mit dem sie in einer Ecke des Raumes zerplatzen. Einen habe ich noch. Aber wer weiß schon so genau, ob es diesmal der finale Teil sein wird? Warum? Weil ich es kann, ganz einfach. Zum einen sind da ein paar neue Gestalten aufgetaucht, außerdem traue ich dir nicht wirklich zu, dass du mit den Steilvorlagen wirklich etwas Sinnvolles anzufangen weißt. Wenn man nicht alles selber macht!
Der Diver
Kräfte/Fähigkeiten: Der exaltierte Bruder von Admiral Taktlos, taucht immer dort auf, wo Stagediving aufgrund mangelnder Masse oder zu breiter Gräben vor der Bühne ein sinnloses Unterfangen ist. Er will doch nur auf Händen getragen werden, damit ist er der Engländer mit einem krebsroten Jahresabo für das Sonnenstudio. Wie er wild wedelnd mit ungelenken Tanzbewegungen auf der Bühne stammelt, die Hose halb über dem Arsch, den speckigen Bauch unter dem hochgerutschten T-Shirt präsentierend, verzweifelt um Fänger wirbt, nebenher das eine oder andere Getränk verschüttet, das Ende des Songs im Nacken, könnte er Mitleid erwecken, wenn das gesamte Unterfangen nicht so absurd wäre. Seine Bühnenpräsenz zerstört garantiert jeden erhabenen Moment durch den schieren Anblick und weil jeder in seinem Einzugskreis aus reinem Selbstschutz in Habachtstellung geht, denn wer will so etwas schon fangen oder einen Körperteil berühren? Wenn er dann endlich springt – sofern ihn ein genervter Musiker nicht längst mit einem Tritt von der Bühne befördert hat –, fehlt seinem Kinderköpper jegliche Form von Anmut und Würde. Eigentlich ist es mehr wie ein Sack, der Anlauf nimmt, um dann mit angewinkelten Knien langsam in sich zusammenfallend nach vorne zu kippen. Dass er sich beim Abgang nicht auch noch die Nase zuhält wie ein Backfisch beim Sprung von Einerbrett oder vorher „Mama, schau mal, was ich kann“ ruft, ist wirklich alles. Am schlimmsten ist aber, dass er garantiert beim nächsten Song wieder dort oben stehen wird, sofern ihn der harte Boden nicht außer Gefecht gesetzt hat. Dann wiederum blutet er alles um sich herum voll, was auch nicht lecker ist.
Natürlich Feinde: Nixfangman, das Loch, Concrete, der genervte Bassist, der Biertittengrapscher und der Bouncer
Präsenzquotient: 28,3%
Nervfaktor: 6
BROs – Bro & Bro-Sis
Kräfte/Fähigkeiten: Eigentlich schwul, tun aber „echte Männersachen“, was sie durch männliches Zuprosten und lautstarkes „Ich geh dann mal zur Bar, Bier holen!“ kompensieren, damit jeder mitbekommt, wie viel sie saufen können. Im Gegensatz zum Kumpel-Boy keine einseitige Geschichte, sondern jedem anderen offensichtlich, so sehr, dass ihnen eigentlich jeder nur das gemeinsam Beste und ein vernünftiges Outing wünscht, schließlich wären sie so glücklicher dran. Leider werden sie genau das nie tun (weil die Mutti noch lebt, die Nachbarn etwas sagen könnten oder was für einen beknackten Grund es auch immer geben könnte) und daher ein Leben in Elend fristen, eines, das alle Umstehenden im Mitleidenschaft zieht, weil niemand derart maskulin auftritt, der seine Hormone abbauen kann. Könnten einem eigentlich leidtun, würden sie in ihrer Freizeit nicht im Park Schwule klatschen gehen.
Natürliche Feinde: Im Grunde jeder mit einer gesunden Einstellung zur eigenen, wie auch immer präferierten Sexualität.
Präsenzquotient: 68%
Nervfaktor: 8 bis unerträglich
Das Off
Kräfte/Fähigkeiten: Die Mega-Labertasche unter den Konzertbesuchern und mindestens so uninteressant wie das Ansehen eines Filmes mit Regiekommentaren. In der Annahme, dass Menschen unsterblich sind, solange sie permanent reden, verpesten sie auch im lautesten Umfeld, drei Meter von den Boxen entfernt, verlustreich alles mit Fun Facts aus dem Privatleben des ehemaligen Drummers, kennen jeden Tratsch und Klatsch über den Sänger aus erster Hand, wissen genau, welche Mikrofone bei den Aufnahmen zur letzten Platte zum Einsatz kamen, und dass der einzige Hit auf der Scheibe eine Hommage an den verstorbenen Jazztrompeter Dizzy Gillespie ist, was man eindeutig an der variierten Dreiertonfolge kurz vor dem zweiten Refrain erkennen kann. Das angehäufte nutzlose Wissen verebbt selbstverständlich bei den stets anwesenden Adepten, die den großen Meister wie Monde umkreisen, weil sich erstens keiner diesen ganzen Scheiß merken kann, zweitens keiner merken will und drittens sowieso 80% im Lärm der unverschämterweise spielenden Band untergeht. Fun Fact zum Off: Kann sich zwar jeden unwichtigen Furz merken, wohnt aber noch bei Mutti, vergisst ständig die PIN seiner EC-Karte, sämtliche Geburtstage sowieso und hat keinen Führerschein, weil er achtmal durch die Theorie gerasselt ist.
Natürliche Feinde: Das Superoff (also eine größere Sonne, die seine Adepten in eine größere Umlaufbahn lenkt), Bands ohne Vergangenheit und Social-Media-Präsenz
Präsenzquotient: 50%, wenn nicht gerade „Telekolleg“ läuft
Nervfaktor: 5,5
Der Flash
Kräfte/Fähigkeiten: Eine Zuchtform des Senkrechthandyfilmers und Antagonist jedes seriösen Konzertfotografen, der sich an die goldene Regel hält, dass ein Blitz nur dann zum Einsatz kommt, wenn es absolut unvermeidbar ist, der äußere Bühnenrand, darüber hinaus Respekt vor Band und Publikum und Zurückhaltung oberste Gebote sind. Der Flash ist der Kriegsberichterstatter unter den überambitionierten, aber leider talentlosen Fotografen, ausgerüstet mit einem Equipment, das sein Unvermögen, ein wirklich gutes Bild zu schießen, nur leidlich kompensiert. Als nonverbaler Protagonist turnt er bewaffnet mit mindestens einer Kamera (oft mehr, weil mehr ja besser ist), auf die er einen nicht selten überdimensionalen Blitz der Marke Supernova in Kinderkopfgröße geschraubt hat, meist direkt vor dem Objekt seiner Begierde herum, um ihm aus nächster Nähe mit möglichst absurden Körperverrenkungen für längere Zeit (manchmal auch permanent) das Augenlicht zu rauben. Wäre es nicht so laut, könnte man das „Yeah, gib’s mir Baby, zeig, was du hast“, des Stimmungskillers mitten im Pit deutlich hören. Die sorgfältig ausgetüftelte Lightshow des Juzes Dosenbier stinkt regelmäßig gegen das Stroboskopstahlgewitter seines Blitzkriegblitzes ab, das Energiereserven für die komplette Distanz eines Sets besitzt, um damit wirklich auch dem letzten Besucher auf die Nüsse zu gehen. Wie schlecht es um seine Fähigkeit bestellt ist, dabei auch nur eine Handvoll brauchbarer Bilder zu schießen, sieht man spätestens bei der Veröffentlichung in den Lokalnachrichten oder eben nie, weil das Output in keinem Verhältnis zur Erregung des öffentlichen Ärgernisses steht.
Natürliche Feinde: Der Diver, Bierverschüttmann, Ich-sagte-drei-Songs-kein-Blitz-Bouncer, Glenn Danzig
Präsenzquotient: 12,5%, immer dort, wo ihn die Redaktion gerade hinschickt
Nervfaktor: 10 (wenn man selber respektvoll fotografiert, mindestens 13)
Baron Ink/Baroness Modification
Kräfte/Fähigkeiten: Ein kleines Biotop, das nach dem Motto lebt: Zeigt her eure Hackerei, solange noch Platz ist. Weit verbreitete, relativ harmlose Spezies, seit es in jedem Stadtviertel neben einem Nagel- auch ein Nadelstudio gibt, das sich aber bevorzugt andere Lokalitäten mit besseren Lichtverhältnissen sucht. Anwesend, gibt es in diesem kleinen, sehr kompetitiv aufgestellten Grüppchen stets ein Hallo und Helau, die neuesten Bilder, Nägel, Schrauben und Bohrtunnel, wo vor einer Woche noch unberührte Haut war. Dezent herausgeschnittene Ärmel und herausgetrennte Oberschenkelteile lassen die neuesten Kreationen zum Vorschein kommen. Gemeinsam verbringt man den Abend im Schummerlicht bei lästiger Musikbegleitung mit den Tipps des aktuell hippsten Studios, der Diskussion über die Qualität der Arbeit und Haltbarkeit der Farben. Ein durchaus verständliches Imponierverhalten, schließlich tat das alles ja furchtbar weh und man sollte es zeigen, solange es noch gut aussieht, bevor es in erschlaffender Haut verblasst. Ein auf Konzerten immer seltener werdendes Volk, weil das ganze Haushaltsgeld für Tinte draufgeht.
Natürliche Feinde: Jeder, der sich traut, sein Analbleaching offen zu tragen, die Obercoolen mit Gesichtstattoos, GG Allin und alle, die außer einem Leberfleck noch über 100% unberührte Haut verfügen
Präsenzquotient: 5,4%, der Rest trägt seine Tätowierungen mit vornehmer Zurückhaltung
Nervfaktor: 3, wenn man nicht gerade dort steht, wo das Licht besonders vorteilhaft ist, dann 8
Mr. & Mrs. Stress
Kräfte/Fähigkeiten: Gleich nach Zentren für Paartherapien, Supermärkten und der Wohnung über dir sind Konzerte erwiesenermaßen der beste Ort für das Klären verhärteter Beziehungsprobleme respektive die Beendigung einer Partnerschaft (Versöhnungssex nicht ausgeschlossen, dann wiederholt sich das folgende Spiel woanders). Hier lässt sich herrlich ein Streit vom Zaun brechen, der unter Zuhilfenahme von möglichst intimen Details um jeden Preis in der Öffentlichkeit ausgetragen werden muss, damit man sich nachher nicht doch wieder umentscheidet, nur weil das notorisch fremdgehende Arschloch wieder einmal einen juckenden Hautausschlag in die ansonsten harmonische Beziehung eingebracht hat. Verfehlungen werden so laut vorgetragen, dass man als Unbeteiligter auch bei größter Anstrengung nicht weghören kann. Keinen der beiden möchte man vor die Tür geschissen haben, obwohl sie dann wenigstens draußen wären und man in Ruhe der Band lauschen könnte, die sich alle Mühe gibt, die beiden Streithähne/Streithühner mittels musikalischer Darbietung zum Schweigen zu bringen. Mr. und Mrs. Stress schlagen selten, aber bevorzugt bei bestuhlten Konzerten auf. Paare wie sie lösen häufig Kneipenschlägereien aus oder sind verantwortlich dafür, dass anschließend ganze Stadtviertel in Schutt und Asche liegen.
Natürliche Feinde: Teeren-und-Federn-Mob (Jetzt ergreifst du Partei für diesen Arsch?), Neutrum, Verständniswoman, der Haltet-endlich-mal-die-Fresse-Chor
Präsenzquotient: 0,5%
Nervfaktor: 9,9
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