Jede:r kennt diese Konzertsituation: Irgendwann geht die Frontperson der Band nach vorne, das Licht wird gedimmt, und dann kommt der Satz: „Und jetzt alle!“ Und dann klatscht der ganze Saal über Kopf mit. Ja, auch bei Punk-Konzerten. Oder ist gar nicht mehr Punk, wer so was fordert? Oder wer da mitklatscht? Und was ist mit denen, die sich beschämt abwenden, während andere mit glänzenden Augen abgehen?
Dafür
Ja, ich bin ein Stadionschwein und mag guten Pop. Schuldig im Sinne der Anklage. Und ja, ich liebe mindestens genauso sehr kleine Squat-Shows und Asselei, Schweiß, Spucke, Blut und Pipi. In meinem geschundenen Restkörper schlagen diese zwei Herzen und ich stehe mit den DONOTS im RAMONES-Gedächtnis-Spagat zwischen beiden Welten. Die schließen sich in beiden Extremen aus, aber es gibt meiner Meinung nach durchaus Überschneidungspunkte. Klarer Fall: Wenn du im AK47 in Düsseldorf spielst, dann sind Ansagen wie „Ich will eure Hände sehen!“ völlig übers Ziel hinausgeschossen und kreuzpeinlich. Gute Kontextuierung is the law. Und wenn du dir gleichwohl bei Rock am Ring überlegst, dass du nur für die erste Reihe spielst, weil mehr als die nicht true sein können, dann kann man sich den Weg in die Eifel mindestens genau so sehr sparen. Mir geht es in jedem Moment auf der Bühne, egal wie groß diese ist, um die Maximierung des Moments. „Unity, as one stand together. Unity, evolution’s gonna come“, wie OPERATION IVY damals schon richtig erkannt haben. Das Gefühl, dass alle – vor, auf und hinter der Bühne – beteiligt sind an einem Augenblick, in dem es scheißegal ist, wer welche Disposition mit auf die Show bringt. Solche Momente, in denen alle (!) gleichermaßen am Start sind, liebe ich. Und da kann man noch so sehr sagen, dass im Takt klatschen totaler Alman-Volksmusik-Style ist – machen tut das doch was mit einem, wenn das gesamte Publikum in solchen Momenten eins wird. Und weil ich das so sehr liebe, werde ich auch alles daran setzen, das Maximum aus jedem Live-Moment mit Ansagen rauszukitzeln. Und das kann man auch hinbekommen, ohne sich mit dem Kopf im eigenen Hintern selbst abzufeiern. In dem Moment geht es nicht um mich, sondern um das Wir. Mach’s mit ironischer Brechung, mach’s nicht arrogant oder kitschig, mach’s mit Spinat zwischen den gelben Zähnen. Dann geht das schon klar. Ich find’s ehrlich gesagt sogar ganz lustig, wenn das den restlichen Gestus einer Band konterkariert und beispielsweise auch auf Death-Metal-Shows geklatscht, das Publikum zum Rudern aufgefordert oder bei Pop-Shows Circle Pits eingefordert werden. Bands, die über das Publikum hinweg spielen und die Grenze zwischen Bühne und Publikum nicht auflösen, weil sie keinen wirklichen Bock haben, alles zu geben, gibt es sowieso schon zu viele.
Ingo Donot
Dagegen
Keine große Überraschung, ich reihe mich hier mit meiner Meinung in die Riege derer ein, denen gute Laune, ausgelassene Stimmung, junge Menschen und Lebenslust ein Dorn im Auge sind. Auf Konzerten ist dieser Kombination im besten Fall mit Skepsis zu begegnen, besonders wenn das zur Schau gestellte Sich-gehen-Lassen von der Bühne herunter eingefordert wird. Die Animation mitzusingen, überm Kopf mitzuklatschen, Feuerzeug/Handylicht/Umstehende anzuzünden, sollte einen allein schon aus Coolness-Gründen kalt lassen (sic!). Wenn es funktioniert und ein Gros der Anwesenden mitmacht, schlägt der Misanthrop in mir Purzelbäume. Was für viele der Höhepunkt ihres Wochenendes im Set von SCHLAGMICHTOT auf irgendeinem Festival ist, weckt schnell Erinnerungen an Schwarzweiß-Dokumentationen über die Reichsparteitage. Ohne Frage, es gibt Könner auf dem Gebiet. Die Möglichkeiten, große und kleine Ansammlungen von Konzertbesuchern in mehr oder weniger choreografierte Bewegung zu versetzten, sind zwar zahlreich und wahrscheinlich noch nicht ausgereizt, aber Innovation wird selten belohnt, sondern meistens nur stumpf kopiert. Eine symbolische Wall of Death gegen rechts sorgt vielleicht für gute Bilder im Live-Video, macht den Pit trotzdem nicht besser und hinterlässt einen eigenartigen Beigeschmack. Pathos gehört gerne zu einer Show dazu, manchmal tut’s auch einfach nur Understatement. Weniger ist mehr, den richtigen Moment (kurz vorm Refrain/Tempowechsel) abpassen, Namen der Stadt/des Festivals/des Clubs/des Schwager des Caterers (Chiffre ist egal, Adressat ist ein Publikum, das Lust hat) erwähnen, sprich: spuckespritzend ins Mikrofon brüllen. Funktioniert! Ist ebenfalls berechnend, spart aber Zeit und Peinlichkeit. Mir fehlt das Selbstbewusstsein, als einzige Person im Raum nicht mitzumachen. Allein schon deswegen: Bitte bewahrt Würde!
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