Dafür / dagegen

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Shirt kaufen und gleich anziehen?

Die Konzertbesuchenden sind traditionell in zwei Lager gespalten: Die einen stürmen sofort zum Merchstand, holen sich das neueste Shirt, vielleicht sogar eines mit den Tourdaten drauf, ziehen es direkt an und stellen es stolz zur Schau. Und die anderen stehen daneben, denken sich „Wie peinlich, würde ich niemals machen ...“ und stopfen später das doch noch gekaufte T-Shirt in die Innentasche ihrer Jacke. Wir tauschen mal die Argumente und Emotionen hierzu aus ...

Dafür

Auf dem Konzert gekaufte Shirts nicht direkt anziehen dürfen? Das sagt der kleine Bruder des Konzert-Snobs, der grundsätzlich nicht mit einem Shirt der am Abend spielenden Band bei einer Show aufkreuzt. Für den zählt die Etikette mehr als das Erlebnis. Schon rein pragmatisch gesehen wollen Menschen eventuell nicht den halben Abend mit einem Shirt in der Hand herumlaufen. Trinken und Fist-in-the-air ist ein Zweihandjob. Abgesehen davon gibt es weitere redliche Gründe. Ausdruck von Vorfreude: Wochenlanges, jahrelanges Warten auf eine Band, die man lange nicht oder noch nie gesehen hat. Und jetzt kanalisiert sich die freudige Erregung in einem Shirtkauf, dein Körper wird eins mit deinem Musikgeschmack. Support und Loyalität der Band gegenüber: Jedes verkaufte Shirt füllt die Kasse der Musiker:innen. Mit Musik verdient man doch nichts mehr. Insbesondere Supportbands haben außer Merchverkauf kaum Einnahmen. Und die freuen sich zu sehen, dass tatsächlich jemand auch für sie gekommen ist. Egal, was ab Reihe fünf passiert, die Shirtträger:innen halten zu dir und du hast tatsächlich echte Fans. Während andere sich im Vorfeld Gedanken über einen Dresscode bei einer Punk-Show machen, andere als Rock am Ring-Freizeitrocker belächeln und meinen, Bands könnten froh sein können, dass man das Event überhaupt mit einem Besuch beehrt, haben Shirtträger:innen vielleicht zwei Ideen verinnerlicht, die vielen abhanden gekommen sind: Dass man sich aus Leidenschaft für eine Sache wie Musik freiwillig auch mal zum Hanswurst macht. Und dass einem scheißegal ist, was andere Leute darüber denken.
Daniel Schubert

Dagegen
Letzten Sommer gab es einen gruseligen Moment am Bahnhof Zoo, als diverse überfüllte S-Bahnen vorbeirauschten. Keine Chance einzusteigen dank tausender Fans einer sehr erfolgreichen deutschen Band, die mehrere Tage im Olympiastadion gastierte. Alle trugen Shirts mit dem Logo des teilweise nicht sehr sympathischen Sextetts. Atmosphärisch wäre das Ganze natürlich schöner gewesen, wenn zum Beispiel PASCOW auf den Klamotten gestanden hätte. Aber ist eine Uniformierung besser, wenn sie im Punk-Bereich stattfindet? 1993 besetzten LAIBACH mit ihrem „NSK-Staat“ die Berliner Volksbühne. Zu der Zeit hatte ich grüne Haare und trug buntes Zeug von Bekannten auf. Zwischen 95% schwarz gekleideten Besuchern stach das leicht papageienartige Outfit heraus. Das gefiel mir. So begann die bis heute andauernde Phase „Ich ziehe was Unpassendes auf Konzerte an“: als Reaktion auf (Punk-)Gigs, wo fast alle ein Shirt der Hauptband tragen oder sich wie diese ausstaffieren. Siouxsie erzählte mal, wie schockiert sie war, als die BANSHEES die Bühne betraten und sie tausend Ebenbilder im Publikum sah: schwarze hochtoupierte Haare, bleiches Gesicht, viel Kajal. An diesem Tag legte sie diesen Look für immer ab. Mit dieser Geschichte im Hinterkopf zog ich meistens „falsches“ Merch an: zu NOFX ging es im OMD-Shirt, zum Berlin Atonal trug ich Rob Zombie, bei Techno erstrahlt das SWANS-Logo, in einer Philip Glass-Oper war es KNOCHENFABRIK. Eine Dame im Foyer sagte, sie habe wegen des Shirts gerade seltsame Bilder im Kopf. Das fand ich lustig. Uniformiert fühle ich mich trotzdem etwas: Von ungefähr 140 Bandshirts im Schrank sind 134 schwarz oder zumindest dunkelgrau. Aus der Reihe tanzen lässt sich damit höchstens, wenn ERASURE draufsteht. Nachvollziehbar, wenn Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl gut finden, aber mehr Kreativität, als ein gerade gekauftes Bandshirt überzustreifen, gehört schon dazu.
Nico Kerpen