Immer wieder gibt es Bands, die eines ihrer Alben einfach noch mal aufnehmen – im Originalsound oder auch mal akustisch. Geniale Idee oder pure Zeitverschwendung? Wir haben das erörtert.
Dafür
Die erste Platte ist immer die beste. Jene von SICK OF IT ALL zum Beispiel, „Blood, Sweat And No Tears“, oder AGNOSTIC FRONT mit „United Blood“, auch „Vorsicht Schreie“ von EA80. Alles, was danach kommt, ist meist witzlos und wenn es gar nochmals eingespielt wird, eine Abzocke. Genau wie Live-Platten. Solche Aussagen hört oder liest man manchmal und ich finde sie so pauschal einfach falsch. Um es mal relativ objektiv zu betrachten – kaum jemand wird „Bleach“ von NIRVANA, genauso wenig wie „Cherry Knowle“ von LEATHERFACE oder die Debüt EP von NOFX, als deren bestes Werk bezeichnen. Dazu gibt es unstrittig auch sehr gute Live-LPs. Bei Best-Ofs muss man differenzieren – für Einsteiger ist es ja nicht schlecht, ärgerlich für Fans dann, wenn noch ein oder zwei neue Lieder dabei sind, die man noch nicht hat. Noch einmal neu eingespielte LPs haben für mich viele Vorteile, vor allem wenn die Originale schon uralt sind.
Wenn ich Neueinsteiger bin, ist es leider oft so, dass ich die ganzen alten Schinken mit der beschissenen Produktion nicht anhören will. Schlimm ist es zum einen, wenn ich mangels fortgeschrittenem Alter (oder auch damaligen Interesse) erst spät einsteige. Hätte ich SICK OF IT ALL erst mit ihrer letzten LP kennen gelernt, würde mich deren erste aufgrund ihrer für heutige Verhältnisse grottig schlechten Produktion überhaupt nicht interessieren. Stattdessen wäre ich froh, dass sie ein Vierteljahrhundert später die meisten Songs auf einer Platte nochmals eingespielt haben. Zum anderen begeistern mich Platten oder auch Best-Ofs, die wie „Greatest Hits (The Abbey Road Session)“ von THERAPY? oder „Quick Hits Live In Studio“ von DOWN BY LAW neu eingespielte alte Hits enthalten. „Vorsicht Schreie“ von EA80 ballert auch um ein Vielfaches mehr aufgrund der besseren und aggressiveren Produktion. Wer so was nur als Lückenfüller und Abzocke betrachtet, der muss es ja nicht kaufen.
Roman Eisner
Dagegen
Boah, ich bin schon genervt, wenn ich nur an solche Platten denke. Die Musikwelt ist voll von rerecorded Crap. In der Prä-Internet-Zeit war das besonders schlimm, denn da konnte man extrem schlecht recherchieren, was es mit einem Album auf sich hat, und im Kleingedruckten wurde so was gerne verschwiegen – warum wohl? Zig Bands hatten und haben über die Jahre durch miese oder betrügerische Manager und Labels die Rechte an den eigenen Songs beziehungsweise Aufnahmen eingebüßt, die Einnahmen für legendäre Songs und Platten flossen (und fließen, vermute ich) in die Taschen milliardenschwerer Musikverlage und Rechteverwalter. Oder wer auch immer die Rechte hat, hat(te) kein Interesse, die alten Sachen neu aufzulegen beziehungsweise war/ist nicht zu ermitteln. Einzige Rettung, um vom eigenen kreativen Schaffen was zu haben: das legendäre Album komplett und illegal bootleggen – oder es neu einspielen. Aber klar klingt das zehn, zwanzig, dreißig Jahre später anders, das ist wie die Remake-Masche von Hollywood, wenn hier ausländische Filme für den US-Markt neu verfilmt werden und plötzlich sämtlichen Charme verlieren. Solche neu eingespielten Alben sind unter Sammlern mit einem eindeutigen „Avoid!“ belegt – will keiner, braucht keiner. Und so braucht auch niemand nach einem Jahr die (akustische) Neueinspielung eines MENZINGERS-Albums. Fällt denen nichts ein? Zu viel Zeit (wegen Corona)? Berauscht von der Genialität des eigenen Schaffens? So oder so, verschwendete Zeit und verschwendete Ressourcen. Und das Argument, dass man damals nur ein mieses Studio hatte, billige Instrumente, heute besser spielen kann? Mir egal! Platten sind Ergebnisse der Umstände, nachbessern gilt nicht – maximal das sorgsame Remastern und neue Mischen alter Aufnahmen lasse ich gelten, wenn dabei nichts verfälscht wird. Seine alten Platten muss man aushalten wie unvorteilhafte Jugendfotos. War halt so, steh dazu. Und wer wissen will, wie eine Band heute klingt, kann ja zu einer aktuellen Live-Platte greifen oder bei YouTube nachschauen, wie sich die Musiker:innen durch ihre Klassiker holzen. Hauptsache, mir schiebt keiner eine Neuaufnahme unter.
Joachim Hiller
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