Die alte Lieblingsband ist mittlerweile so groß, dass sie riesige Hallen füllt oder hat gerade die Reunion vollzogen und verlangt nun Ticketpreise, die gefühlt ein gutes Stück über dem sind, was man so erwartet hätte – mittlerweile ist das Normalität. Was tun? Jammern oder kaufen? Kaufen und jammern? Sich über den „Kommerz“ aufregen oder einfach mitmachen beim Spiel und direkt ein Ticket aus der höheren Preisklasse nehmen, weil weiter vorne und VIP und was es da alles so gibt? Oder die Lieblingsband abschreiben? Wir tauschen die Argumente und Emotionen hierzu aus ...
Dafür
Wer kennt es nicht, das Gefühl von Machtlosigkeit, wenn der Ticketpreis mal wieder die eigenen Erwartungen sprengt und man sich vor die Wahl gestellt sieht: Gehe ich aus Protest nicht hin und verpasse womöglich eine einzigartige Show, oder beuge ich mich dem vermeintlichen Kapitalismus und kann endlich die langersehnte Band live genießen? Gar nicht mal so einfach, die Prioritäten richtig zu setzen, und wenn ich zu jedem Act gehen würde, der mich interessiert, wäre ich jetzt arm. Was man bei all der durchaus berechtigten Aufregung über die stetig steigenden Ticketpreise aber nicht vergessen darf, ist der große Pool an Ursachen, die zu der Verteuerung führen. Während früher die Einnahmen von Künstler:innen durch LPs und CDs einen großen Teil ausmachten, fallen diese heutzutage durch Streamingdienste immer kleiner aus. Das muss kompensiert werden, unter anderem eben durch höhere Konzertpreise. Dazu kommen weitere Fachkräfte wie Management und Crew, die finanziert werden müssen, allein schon weil heute eine gewisse Licht- oder sogar Pyrotechnik für größere Konzerte erwartet wird – ob Lasershow und Feuerwerk überhaupt vonnöten sind, sei natürlich dahingestellt. Nichtsdestotrotz geht es mir am Ende um die Musik, die Erfahrung, die Gemeinschaft und die Unterstützung der Künstler:innen, die man besser nicht ausdrücken könnte. Einerseits trägt man finanziell zu der Gage bei, andererseits zeigt man den Support auch emotional: Als Teil der singenden und moshenden Masse, die am Ende des Tages doch für den Großteil der Leute auf und hinter der Bühne Bestätigung und Freude liefert und genau das ist, worauf sie hingearbeitet haben. Meine Taktik für den Kohle-Konflikt ist, mir nach der Benachrichtigung von Songkick und vor dem Checken der Preise zu überlegen, wie viel Geld mir das Konzert theoretisch wert wäre, und strikt den Eventim-Tab zu schließen, sollte der reale Preis darüber liegen.
Cleo Mavridis
Dagegen
Alles wird teurer. Auch Konzerte. Wer selber ab und an welche veranstaltet (das solltet ihr einfach mal tun), der weiß, dass auch die Fixkosten (Sound- und Lichtmenschen, Catering, Werbung, etc.) immer mehr zu Buche schlagen. Die Lieblingsband wird größer, hat vielleicht Fahrer und Merchandiser, was mehr Kosten verursacht. Irgendwann wird ein Booker dazwischengeschaltet, der auch seinen Schnitt machen will. Die Band selber wird älter, hat vielleicht daheim Mäuler zu stopfen. Ein Hotelzimmer ist angenehmer als der Schlafraum im AZ. Schön und gut. Irgendwo verständlich. Selbst in unserer Szene, sofern es diese überhaupt noch gibt und nicht nur ein romantischer Wunschtraum geworden ist, kommt es vor, dass man alte Freunde und Bekannte, die eine Band haben, kontaktiert oder selber kontaktiert wird und dann heißt es plötzlich „Du, ich gebe dir mal die Daten von unserem Booker.“, was die Kosten sofort nach oben treibt. Es gibt Schmerzgrenzen, was Ticketpreise angeht. Diese zieht natürlich jeder anders. Lieber gehe ich zu zig kleineren Shows in den immer weniger werdenden AZs, Jugendzentren und kleinen Szeneclubs, checke neue, frische Bands aus oder sehe mir die älteren Idealisten an, die sich der Kommerzialisierung verweigern oder, seien wir ehrlich, nur noch wenige Menschen interessieren, aber immer noch Feuer haben, als immer höhere Ticketpreise für die immer unspannender und satter werdende, ehemalige Lieblingsband zu zahlen. Habe ich das nicht schon getan? Klar. Wurde ich enttäuscht? Zu oft. Großevents sind scheiße. Meistens. Großeventpublikum ist auch scheiße. Immer. Stimmung kommt nicht auf, zumindest bei mir nicht. Dafür dann 40, 50 oder noch mehr Euro zahlen? Wucherpreise für Getränke akzeptieren? Billigstes Merchandise zu völlig überzogenen Preisen erwerben? Fuck off! Kill your idols! Leute, besucht die kleinen Konzerte. So oft es geht.
Guntram Pintgen
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