Pure Vernunft darf niemals siegen? Auf Konzerte gehen im Wissen darum, dass die Chance besteht, dass hinterher erst man selbst und dann der Rest des Haushalts positiv ist beziehungsweise an COVID-19 erkrankt? Oder mit sich selbst hart sein und weiterhin Verzicht üben? Eine schwere Entscheidung. Wir wägen ab.
Dafür
„Hey Schatz, schau mal was ich mitgebracht habe – ein neues Shirt und das Virus ...“
Mein letztes Konzert waren RESTARTS am 11. März 2020 im Sonic Ballroom in Köln. Dann kam der Lockdown, Unsicherheit und die Angst, nicht nur mich zu infizieren, sondern auch mein vulnerables Umfeld sowohl privat als auch im Beruf. Die Konsequenz war die drastische Umstellung meines Verhaltens. 2021 ließ ich die Karte für SUBHUMANS verfallen, weil die Hygieneanforderungen des Clubs mir nicht ausreichten und die Videos von den SUBHUMANS-Konzerten ein Publikum zeigten, dass ohne Rücksicht auf Verluste feierte. Als dann im April 2022 die FDP und das ganze neoliberale Pack verkündeten „Die Pandemie ist vorbei“, stimmten viele jubelnd mit in den Chor ein! Wie oft sehe ich jetzt in meinem „Freundeskreis“ auf Facebook, wie erst die Konzertfotos gepostet werden und dann einige Tage später die positiven Corona-Schnelltests. Ich hatte eigentlich für Juni mein erstes Konzert geplant – in der Hoffnung, dass die Inzidenzzahlen im Sommer endlich sinken würden. Als das Konzert immer näher rückte und die Zahlen wieder munter nach oben gingen, habe ich schweren Herzens davon Abstand genommen. Zumal die „Hygiene-Regeln“ in dem Laden sich auf „Wir hoffen, ihr seid alle grundimmunisiert“ beschränkten. So viel Vertrauen in irgendwen habe ich nicht. Und leider hatte ich recht. Fünf Tage später postete die Band selbst einen Covid-19-Fall. Warum gibt es keine Gigs mit Maskenpflicht, warum kaum Konzerte im Außenbereich, warum sich nicht vorher testen, warum nicht Rücksicht nehmen? Die Antwort, dass wir mit dem Virus leben müssen, reicht mir da lange nicht. Denn für Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen ist Corona immer noch eine potenziell tödliche Krankheit und trotz milden Verlaufs droht auch Jüngeren Long Covid– und solange sind Konzerte schweren Herzens für mich keine Option.
Triebi Instabil
Dagegen
Es ist unbestritten ein ganz schmaler Grat, auf dem wir uns bewegen.
Corona ist auch im Sommer 2022 noch Realität, und doch ist die Situation eine andere als vor einem Jahr. Ja, ich gehe wieder auf wenige ausgewählte Konzerte, auch in Clubs: aus voller Überzeugung! Ich habe richtig Lust dazu und bin emotional tief berührt, Bands endlich wieder live zu sehen, Menschen zu treffen. Im letzten Sommer hätte ich einen Teufel getan und hatte unter Freund:innen argumentiert, warum ich unter den damals geltenden Kontaktbeschränkungen und der noch geringeren Impfquote, trotz der Verheerungen, die die Pandemie in der Infrastruktur unserer Szene angerichtet hat, keine Konzerte besuche. Inzwischen ist das Risiko, sich und andere zu gefährden, für einen verantwortungsvoll handelnden Menschen kalkulierbarer geworden. Ich fahre täglich in überfüllten Bussen und Bahnen zur Arbeit. Da kann ich auch mal ein Konzert besuchen. Ich muss ja nicht direkt den körperlichen Vollkontakt suchen. Nennt es leichtsinnig, von mir aus auch egoistisch, aber ich unterstelle den meisten Konzertbersucher:innen, dass sie ebenso verantwortungsbewusst und achtsam für sich selbst und andere handeln, wie ich es tue, dass sie vollen Impfschutz haben und sich regelmäßig testen; weil die Leute wissen, was auf dem Spiel steht: die Existenz von Bands, Clubs, Labels, etc. Von der gesundheitlichen und sozialen Unversehrtheit unserer Mitmenschen ganz zu Schweigen. Ein:e jede:r muss das Risiko, das von seinem Handeln für andere ausgeht, persönlich abwägen, aber bitte keine Vorwürfe an diejenigen, die wenigstens für einige Monate wieder ihr soziales Leben genießen wollen. Die nächste Corona-Welle kommt bestimmt und dann ist wieder Schluss mit lustig. Bis dahin schützt euch und andere und habt Spaß! Support your local Punkrock-Szene. Sie braucht es.
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