Aktuelle Beispiele dafür, dass und wie Bands weitermachen, wenn (obwohl!) die Person, die lange vorne auf der Bühne am Mikro stand, nicht mehr dabei ist, sind SLIME und IGNITE. Die einen sind der Meinung, so was wie DEAD KENNEDYS ohne Jello geht gar nicht, die anderen sehen da eher die Gesamtband als relevant. Wir liefern hier die Argumente für und gegen den Sänger:innenwechsel.
Dafür
Ja, warum eigentlich nicht?
Warum sollte eine Band nicht gute Gründe haben, auch nach einem Sänger:innenwechsel unter dem bisherigen Namen weiterzumachen? Szene-Polizist:innen, die sich anmaßen zu entscheiden, was geht und was nicht, mag ich nicht so. Ohne Frage ist der Gesang für eine Band identitätsbildend, schreibt sich womöglich in die DNA einer Band ein, ist oft der Mensch am Gesang das Aushängeschild einer Band, aber sakrosankt ist er nicht. Es sei denn, Sänger:in ist praktisch die Band, wie zum Beispiel bei SUICIDAL TENDENCIES, wo das übrige Line-up regelmäßig munter durchwechselt. Ein Wechsel am Gesang kann funktionieren, wenn die Authentizität und Originalität der Band erhalten bleibt, wenn neue Sänger:innen stimmlich was können und kreative Impulse einbringen und als Person nicht zuletzt auch in das Kollektiv passen. Ob das intern funktioniert, entscheidet die Band und sonst niemand. Ob der Wechsel in der Szene angenommen wird, ist eine andere mitunter emotional hoch aufgeladene Frage. Ein Wechsel kann schiefgehen, wenn die Voraussetzungen nicht stimmen und musikalisches Potenzial verlorengeht. Aber dann hätte die Band ein viel größeres Problem, als über ihren bisherigen Namen nachzudenken. Dann sollte sie abtreten. Bands prinzipiell zu unterstellen, sie machen nur aus kommerziellen Gründen unter dem alten Namen weiter, wäre mir zu billig und zu unreflektiert. Solange nicht ein abrupter oder allmählicher Komplettaustausch von Gründungs- oder langjährigen Bandmitgliedern stattfindet, wie einst bei RAZZIA, ist es vollkommen in Ordnung, am alten Namen festzuhalten, weil eine Band mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile.
Salvador Oberhaus
Dagegen
Sängerwechsel gehen gar nicht.
Nicht, wenn eine Band bereits einen gewissen Status erreicht hat. Erst recht nicht, wenn eine Band vielleicht sogar über Jahrzehnte hinweg eine zentrale Rolle in der Szene eingenommen hat. Und schon einmal gar nicht, wenn eine Band bereits zur Ikone geworden ist und wegweisende Alben veröffentlicht hat. No gods, no masters, schon klar, aber hey, wir reden hier über Punkrock und nicht über massenkompatible Stadionrock-Bands. Klar, die Musikgeschichte ist gespickt mit Sängerwechseln, die kommerziell gesehen die betroffenen Bands nur zu oft wie ein Turbo die Karriereleiter hochschießen ließen. Aber das ist Businesskalkül. Was eine Punkband von einer Rockband unterscheidet, sind im besten Fall Haltung, Glaubwürdigkeit und Integrität. Der Sänger oder die Sängerin einer Band sind auch die Stimme dieser, die Galionsfigur. Sie stehen im Fokus der Aufmerksamkeit. Im Idealfall sind sie intelligent, haben etwas zu sagen und schreiben ihre eigenen Texte. Vielleicht haben sie auch nur eine schöne Stimme und singen das, was ein anderes Bandmitglied schreibt. Na und?! Ist doch egal. So hart das für die anderen Musiker in einer Band auch klingen mag, aber mit der Stimme geht die Identität flöten. Ist so. Punkt. Keiner meckert, wenn Drummer, Bassist oder Gitarrist ausgewechselt werden. Warum? Weil sie mit ihrer Stimme nicht den Sound der Band definieren. Aber beim Gesang hört es auf. „Wir sind alle auswechselbar, nur der Sänger nicht“, hat Andy (DIE TOTEN HOSEN) einmal sinngemäß in einem Interview über Campino gesagt. Der hat es kapiert. Die DEAD KENNEDYS ohne Jello Biafra? Ein Witz. Die MISFITS ohne Glenn Danzig? Karneval. Die SPERMBIRDS ohne Lee Hollis? Shit for sale. Völlig Rille, ob der Sänger eine hohle Nuss ist oder die Namensrechte beim Triangelspieler liegen, eine Namensänderung ist ehrlicher. Alles andere ist Business, kein Punk.
Guntram Pintgen
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