Wir kennen das: Von der Bühne kommt ein flammender Appell für dies oder gegen jenes. Die einen sagen „Genau!“ und applaudieren, die anderen drehen sich um und gehen Bier holen oder aufs Klo, weil „Ja, weiß ich alles, aber ich will jetzt Spaß haben und Musik hören, kein Gelaber“. Wir haben mal entsprechend argumentiert.
Dafür
Man hat es als eifriger Konzertgänger schon viel zu oft erlebt. Das Konzert läuft super, die Stimmung ist ausgelassen und dann plötzlich, zack, Stimmungsabfall. Warum? Weil von der Bühne zwischen zwei Liedern ausgiebig gepredigt wird. Neulich erst auf dem „30+2 Jahre Festival“ im AJZ Bahndamm erlebt, meinem zweiten Zuhause. Eine eigentlich sympathische deutschsprachige Punkband spielt zu vorgerückter Stunde vor mehreren hundert begeisterten Zuschauern. Immer wieder unterbrochen durch gut gemeinte, teils viel zu ausladende Ansagen zu allen möglichen politischen Themen. Soziale Ungerechtigkeit? Ja, schlimm. Rechtsruck der Gesellschaft? Ja, nervt. Eine bestimmte Partei nicht wählen? Eher fällt mir die Hand ab. Ein Großteil der Anwesenden applaudiert biergeschwängert ganz artig, ich, ebenfalls nicht mehr fahrtüchtig, wende mich genervt ab. Warum? Weil ich es nicht mehr ertragen kann, dieses Ritual. Wie in einer Filterblase auf irgendwelchen Telegram-Kanälen, wo sich Gleichgesinnte immer wieder bestätigen, dass sie die gleichen Ansichten vertreten. Das bewegt sich für mich auf dem gleichen Niveau wie einstudierte „witzige“ Dialoge zwischen den Musikern. Ob da von der Bühne irgendeine Karnevalskapelle „Kölle Alaaf“ ruft oder eine politisch über alle Zweifel erhabene Punkband „Nazis raus!“ skandiert, es ist doch beides nur (noch) Folklore. Politische Ansagen bei einem Rock-gegen-rechts-Festival? Klar. Da weiß ich im Vorfeld, dass es kommen wird, aber wenn ich einfach nur ein Konzert besuche, dann erwarte ich von den Bands, dass sie musikalisch alles geben. Meine persönlichen politischen Überzeugungen wird keine noch so gut gemeinte Ansage ändern. Auf dem gleichen Festival haben andere, ebenfalls sehr politische Bands gezeigt, wie es sein sollte: ab auf die Bühne und das Liedgut ohne Pause durchgeballert!
Guntram Pintgen
Dagegen
Wer auf Punk- und Hardcore-Konzerte geht und Meinungsbekundungen nicht ausstehen oder ertragen kann, sollte eventuell zu Klassik wechseln. In der Oper gibt es so was dann nicht mehr. War einer der Grundpfeiler von Punk nicht auch Politik? Auch ich muss manches hundertfach gehörte Statement zum 101. Mal ertragen, so what? Die Musik einer Band kann ganz genauso plump sein wie manche Ansagen. Zweitens sind politische Statements dazu sogar Programm: Man stelle sich vor, ZSK oder SLIME würden keine politische Meinung neben der Musik äußern. Diese Bands wissen auch selbst, dass die Zuschauer wohl deren Meinung eher teilen, als dass hier noch ein großes Umdenken stattfinden würde oder müsste. Man stelle sich auch Jello Biafra auf der Bühne, mit welcher Band auch immer, vor – ohne politische Statements? Wer da genervt Bier holen geht, weil er es nicht erträgt, ist einfach mal auf dem falschen Gig. Und drittens müssen politische Statements auch im Punk und Hardcore dringend sein. Auch in dieser Bubble gibt es noch ganz viel zu lernen, vor allem in Bezug auf Feminismus, Sexismus, Homophobie und sogar Rassismus. Ich finde es völlig naiv zu denken, dass hier alle gleich ticken würden und man sich das alles sparen kann. Zu Recht machen hier zum Beispiel PETROL GIRLS, WAR ON WOMEN oder SHARPTOOTH Ansagen und spielen nicht nur ihre (verdammt politischen) Songs in einem Rutsch durch. Gerade letztere untermalen sie wunderbar mit Musik – auch so was kann funktionieren. Und diese persönlichen Statements, die in der Konsequenz hochpolitisch sind, sind sehr wertvoll. Gerade aber die uninteressierten Quassler, die keine inhaltlichen Statements ertragen, feiern dagegen jede schwachsinnige Ansage über das Bier ab, das es da gibt. Und die muss wiederum ich ertragen.
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