In der Not ... ist selbst der rebellischste Punk zu Kompromissen bereit. Ließ man sich in Vor-Corona-Zeiten ungern was sagen, galten Regeln pauschal als autoritäre und damit zu ignorierende Maßnahmen, so hat sich das mittlerweile geändert: Aus schierer Verzweiflung darüber, dass sonst ja gar nichts geht, lässt man sich auf Hygienekonzepte ein, Hauptsache, man kommt mal wieder aus dem Haus, hört mal wieder Live-Musik. Aber wollen wir das wirklich, Konzerte mit Distanz und ohne Pogo-Vollkontakt?
Dafür
Wie gerne würde ich COR mit ihrem neuen Album live sehen! Aber wie könnte das angesichts geltender sich ständig ändernder Kontaktbeschränkungen und sich dynamisch entwickelnder Virus-Ausbreitung aussehen? Ich betrete den Club meines Vertrauens und bekomme einen Sitzplatz in der Mitte des Raumes zugewiesen. Auf dem Weg dorthin werden mir die einzuhaltenden Gehwege erläutert. Das Konzert beginnt. Gemeinsam mit den 24 anderen zugelassenen Besucher:innen bin ich in meinen Ausdrucksformen auf rhythmisches Wippen, Fußstampfen und Headbangen reduziert. Mitsingen ist nicht, wegen der Aerosole. Von Körperkontakt ganz zu schweigen. Und weil mir die Lust auf ein Bier inzwischen längst vergangen ist, fällt mir auch gar nicht erst auf, dass Alkoholausschank aus Furcht um die Einhaltung der Abstandsregeln verboten ist. Emotionen? Atmosphäre? Konversationen? Fehlanzeige! Was für eine frustrierende Vorstellung für Fans und Band. Darauf kann ich bei aller Solidarität mit Veranstalter:innen und Bands verzichten, so sehr ich es liebe, Konzerte zu besuchen, und so sehr ich mich um den Fortbestand der Szenekultur sorge. Es stellen sich akute, emotional aufgeladene Existenzfragen, aber die Eindämmung der Pandemie muss Vorrang haben. Was nicht heißt, dass politische Entscheidungen und entsprechende Verordnungen nicht kritisch zu hinterfragen sind. Ich erlebe eine große und vielfältige, aber noch ausbaufähige Solidarität in der Szene, um Existenzen zu sichern und Strukturen zu bewahren: Online-Konzerte, Soli-Veröffentlichungen und Abo-Aktionen. Spenden helfen. Gastronomie ist wieder möglich und vielleicht auch bald wieder Open-Air-Konzerte? Punk’s not dead! „Support your locals“ heißt aber auch, die Gesundheit der Menschen um uns herum nicht zu gefährden. Die Lage ist prekär und wird es bleiben, bis das Virus beherrschbar ist. Um so mehr freue ich mich auf die nächsten Club-Tourneen. Bis dahin bleiben Solidarität und Kreativität unsere einzigen scharfen Waffen.
Salvador Oberhaus
Dagegen
„In der Not frisst der Teufel Fliegen“, geht eine alte Redewendung. Und damit kann man die aktuelle Situation wirklich treffend beschreiben. Neulich das kleine Festival auf dem Parkplatz vor dem AZ Wermelskirchen: in 15 Kreiderechtecken durften je 15 Menschen ohne Maske mit je zwei Meter Abstand zum nächsten Kreiderechteck den Bands auf der Bühne lauschen. Es sah aus, als ob nur ein Drittel der Leute, die Tickets gekauft hatten, gekommen wären, dabei war es ausverkauft, waren alle da. So froh wir waren, mal wieder Live-Musik zu erleben mit KONTROLLE, SEWER RATS und DETLEF, so zutiefst traurig fühlte sich das alles an – die schlechte Karikatur eines Festivals war es. Und man unterhielt sich auch kaum, denn wo man sonst dem/der Nebenstehenden ins Ohr brüllte, unterließ man das wegen Aerosolbildung und zu großer Nähe trotz Maske, grüßte alte Freunde nur aus der Entfernung, dabei hätte man nach Monaten durchaus was zu reden gehabt. So verzweifelt und gleichzeitig froh über die seltene Konzert-Gelegenheit – kein Biergartenauftritt mit sitzendem Vortragenden mit Akustikgitarre – waren die Anwesenden, dass sich alle auch bei steigendem Alkoholpegel an die Regeln hielten – wann hätte man das von einem Punk-Konzert schon mal sagen können? Distanz-Konzerte sind, das ist ganz klar, eine reine Vernunftentscheidung, Kopfsache. Der Bauch sagt was anderes, aber hey, #alternativlos. Wenn für die nächsten Monate, das nächste Jahr Konzerte so zu erleben die einzige Möglichkeit ist, dann ist das eben so. Ich füge mich dem Unvermeidlichen, denn den Mond anzuheulen hat noch nie was gebracht, und ein trotziges „Unter diesen Umständen lieber gar nicht, dann bleibe ich eben zu Hause!“ hilft weder den Clubs deines Vertrauens noch den Auftretenden.
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