Jede:r kennt das: Plötzlich spielt die vor Jahren so geschätzte Band wieder Konzerte, nimmt gar ein neues Album auf. Und das Konzert, das Album ...
ist super oder gar nicht mal so gut? Wer braucht das? Wir tauschen die Argumente und Emotionen hierzu aus ...
Dafür
SLIME zum Beispiel. Als ich mir 1995 mit 15 bei Rocktiger in der Grazer Jakoministraße „Alle gegen Alle“ kaufe, existiert die Band bereits seit einem Jahr nicht mehr. Die Musik kann ich abfeiern, die Texte auch, live sehen werde ich sie wohl nie. Denke ich, bis SLIME 2009 ihre Reunion ankündigen und ein Konzert in der Arena Wien spielen. Zu diesem Zeitpunkt gibt es noch kein neues Material und ich habe endlich die Möglichkeit, Songs wie „Linke Spießer“, „Zu kalt“ oder eben „Alle gegen Alle“ live zu hören. Es ist ein kleines Punkrock-Klassentreffen, viele alte Wegbegleiter sind da und nicht wenige freuen sich, endlich nachholen zu können, was ihnen aufgrund der zu späten Geburt beziehungsweise Punk-Sozialisierung bis jetzt vorenthalten war.
Anders MUFF POTTER. Diese habe ich bis zur Auflösung 2009 etliche Male auf der Bühne gesehen, seit der Reunion 2018 allerdings noch nicht. Hat sich noch nicht ergeben. Im Juni 2023 sollte es bei einem Festival in der Arena Wien soweit sein, kurzfristig sagen sie ab und werden von einer Band vertreten, die es ebenso nicht mehr gibt, den ANTIMANIAX aus Graz. Eine richtige Reunion ist das nicht, dann und wann spielen sie halt ein Konzert. Zwei davon habe ich gesehen und die waren super. Es wäre schade drum, würden sie in der Versenkung bleiben. Zurück zu MUFF POTTER. Ja, die letzten beiden Alben können den frühen Platten nicht das Wasser reichen. Aber MUFF POTTER haben für mich Lieblingsband-Status und ihre Trennung macht mich traurig. Um so schöner ist es eben, als es heißt, Leute, wir sind zurück. Und wenn noch ein grandioses Comeback-Album wie „Bei aller Liebe“ dabei rauskommt, macht das die ganze Sache noch schöner. Klar, eine Reunion kann in die Hose gehen. Wer die SEX PISTOLS gesehen hat, kann das bezeugen. Aber das gilt zum Glück nicht für alle Bands. Sei es, weil man Lieblingsbands zurückhaben oder Versäumtes nachholen will – Reunions sind geil.
H.C. Roth
Dagegen
Klar, als reflektierte, aufgeklärte und nach Egalität strebende Punker:innen, die wir natürlich alle sind, ist uns der Starkult, die Überhöhung und Anbetung, zuwider. Eine Lieblingsband, meinetwegen auch im Plural, haben wir natürlich trotzdem. Irgendwann, meist als die eigene musikalische Landkarte noch weite unentdeckte Gebiete aufwies, hat sich diese eine Band untergehakt und wich einem fortan nicht mehr von der Seite. Im richtigen Moment die eigene Lebenssituation perfekt ergänzt. Auch die schwächeren, uninspirierten Alben – die unvermeidlich kommen, wenn eine Band mehr als zwei Alben veröffentlicht – vertreiben einen nicht mehr. Irgendwann ist Schluss, mal früher, mal später, fast immer aus guten Gründen. Und es wahrt die Würde aller Beteiligten, denn Bands, die ihre treue Fangemeinde jahrzehntelang mit mittelmäßiger, gleichförmiger Stangenware versorgen, gibt es schon genug.
Bleibt noch die Möglichkeit der Reunion. Künstlerisch eigentlich immer belanglos, findet sie nicht zufällig oft genau dann statt, wenn Musiker:innen und Fans soweit gealtert sind, dass die Frage immer drängender wird, wo neben dem erdrückenden Alltag der aufregende Wumms im eigenen Leben geblieben ist. Wenn also die Reunion der Lieblingsband einen in helle Aufregung versetzt, ist dies ein sicheres Indiz dafür, dass die heraufziehende oder bereits in voller Blüte stehende Midlife-Crisis musikalisch ausgelebt werden will. Aber diese magische Konstellation, die sie einst zur Lieblingsband gemacht hat, lässt sich nicht reproduzieren, es bleibt nur Nostalgie. Ein peinlicher Versuch, unwiederbringliche Zeiten zurückzuholen und sich an diese zu klammern. Dabei muss Musikhören nicht monogam sein, emanzipiert euch. Neue Liaisons – manche kurz und intensiv, andere sich langsam entfaltend oder auch mit aller Wucht in dein Leben drängend – finden sich beim Streaminganbieter, im Plattenladen des Vertrauens und natürlich hier im Ox.
Simon Brüggemann
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