Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn die Punk- und Hardcore-Szene ein Hort der reinen Vernunft geblieben wäre in Pandemie-Zeiten. So stieß man in den letzten Monaten sowohl auf Seiten von Fans wie auch bei Bands immer wieder mal auf Positionen, die nur den Schluss zuließen, dass hier jemand auf die Seite der Querdenker und „Anti-Vaxxer“ gewechselt war. Wie gehen wir mit denen und ihrer Band um, jetzt und Post-Corona?
Dafür
Wo geschwurbelt wird, bin ich raus.
Ich mag den Begriff der „Cancel Culture“ überhaupt nicht, der bei der Frage mitschwingt. Er wird von Leuten wie einem narzisstischen, schwäbischen Dorfbürgermeister verwendet, der im Fernsehen mehr Aufmerksamkeit bekommt als die Bundeskanzlerin. Nun fallen während der Corona-Pandemie logischerweise auch Musiker:innen auf, die Blödsinn erzählen und machen. Und da sind wir schon in New York. Dort erzählt zum Beispiel John Joseph (CRO MAGS JJ, BLOODCLOT), dass Omicron nur ein Witz sei und nur eine lächerliche Erkältung, die er in drei Tagen überstanden habe – man müsse halt sein Immunsystem trainieren. Die Medizin sei nur Geldmacherei. Mit ihm haben MADBALL, MURPHY’S LAW und andere vor knapp 3.000 Leuten letzten April (bei zugelassenen 200) ihren Protest – gegen was auch immer – mit einem Konzert im Thompson Square Park kundgetan. Joseph wusste Wochen später zu verkünden, dass sich kein einziger Zuschauer aus dem Pit mit Corona angesteckt hatte. Kürzlich postete Drummer Armand von SICK OF IT ALL über viele Tage wilde Thesen, etwa dass die Impfstoffe dazu da seien, damit die Regierung das Volk kontrollieren könne – den üblichen Querdenkerscheiß eben. Der dann wieder von seiner Seite verschwand – wohl deshalb, weil es die Band in den Ruin treiben könnte. Gerade Hardcore hat eine Message – und somit auch eine Verantwortung. Und dann schmerzt es, wenn Bands Schwurbler bei sich haben – gerade bei SICK OF IT ALL käme ja niemand auf die Idee, dass einer der anderen die Meinung des Drummers teilt. Bands mit solchen Mitgliedern sollen machen, was sie wollen. Wenn Querdenker dabei sind, sind sie für mich halt einfach Geschichte. Wäre ich Veranstalter, würde ich auch keine Schwurbler auftreten lassen – und wegen mir kann man das dann auch canceln nennen. Was mir wiederum egal wäre – weil auch ich machen kann, was ich will.
Roman Eisner
Dagegen
Wir müssen im Gespräch bleiben.
Das Prinzip dieser journalistischen Pro-Contra-Rubrik ist es, Themen zuzuspitzen und in personalisierter Form zwei Positionen aufeinander prallen zu lassen – nicht, eine ausgewogene Abhandlung zu schreiben. Entsprechend ist meine Aufgabe an dieser Stelle die des „advocatus diaboli“: Ich vertrete eine Position, die nicht zwingend meine ist. Denn natürlich schreit der nach dem Sauerstoff der Vernunft schnappende emotionale Teil von mir nach Vergeltung für jene, die so unfassbar dummen Mist absondern wie die Schwurbler, Leugner und Lügner. Aber so wie die GOLDENEN ZITRONEN einst in „Flimmern“ sangen „Was solln die Nazis raus aus Deutschland? / Was hätte das für ein Sinn? / Die Nazis können doch net naus, denn hier jehörn se hin“, stelle ich die Frage nach dem Danach, „Post-Covid“. Wie wollen wir da klar kommen mit Freund:innen, Familienmitgliedern – und dazu zähle ich auch die „Szene-Familie“ –, die allerdümmsten Schwurbelmist losgelassen haben? Vor ein paar Wochen an Weihnachten wurde das im Verwandtenkreis ausgiebig diskutiert, mein Schwager sagte angesichts seines tief im Kaninchenbau steckenden Sohns nur resigniert: „Was soll ich denn machen? Ich hör’ halt nicht mehr hin.“ Tja, was tun? Bands mit einem Drummer, der was von „Medizin-Tyrannei“ faselt, in Sippenhaft nehmen? Clubs und Festivals, die diese Band buchen, in Verantwortung nehmen und zum Boykott von Band, Club und Festival aufrufen? Die Plattensammlung durchforsten und dann schreddern? Listen anlegen von zu meidenden Bands? Oder vielleicht doch besser das Gespräch suchen, wenn von der Pandemie nur noch eine Epidemie geblieben ist, wenn sich die Anti-Vaxxer dem 1G-Druck von Bandkollegen, Airlines und Clubs gebeugt haben? Ich bin der Typ, der dann so jemandem gegenübersteht, ein Lächeln versucht, mit dem Bier anstößt und einen freundlichen Knuff verteilt. Hoffe ich.
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