Aus einem Mail-Austausch mit Andreas Michalke (Zeichner der Comicserie „Der analoge Mann“) entspann sich eine Diskussion darüber, wie eng oder weit gefasst das musikalische Spektrum des Ox sein sollte. Wir liefern hier die Argumente für und gegen einen eng(er)en Fokus.
Dafür
Mein Argument für eine strengere Musikauswahl im Ox hat nichts mit Geschmack zu tun und auch nichts mit Kommerz.
Punk formal abzugrenzen, finde ich uninteressant und spießig. Und vielleicht sind die bekannten Bands ja tatsächlich sogar „besser“ als die unbekannten. Ich möchte das nicht beurteilen. Für mich ist Punk allerdings nie „gute Musik“ gewesen, so wie „guter Wein“, oder ein „gutes Buch“. Als wir alle das erste Mal Punk hörten, hatten wir vorher schon viele Jahre „gute Musik“ gehört. Deswegen hat uns unser erster Punk-Song auch so so umgehauen. Er hat uns überrascht, nicht weil er er so wertig und handwerklich gut gearbeitet war, sondern weil er roh und interessant klang. Aber wie gesagt, das soll kein Argument für mehr formale Strenge sein. Purismus finde ich langweilig. Ich habe keine formale oder kommerzielle, sondern strukturelle Kritik. Es ist die Bemusterung an sich, die mich nervt. Die ganze uninspirierte, halbgeile Scheiße, die wir über das zehnte Album von Band X zusammenschreiben. Als Fan finde ich das lame. Die Platte, die ich mir selbst gekauft habe, wird immer näher an meinem Herzen sein als die Bemusterungs-CD, die im Briefkasten lag. Oder noch lamer, der Bandcamp-Link. Leider ist das Problem der Bemusterung so alt wie die Rockmusik selbst und brachte in seiner korruptesten Form schon vor sechzig Jahren den Radio-DiscjockeyAlan Freed zu Fall. Das Ox bildet in der kleinsten noch lesbaren Schrift die riesige Vielfalt der Amateurgruppen und Künstler ab. Leider auch die langweilige Welt des Profipunk und seiner Büros. Aber schon klar: Wenn Joachim nur noch Reviews von DIY-Platten, die die Reviewer selbst erworben haben, abdruckte, wäre das Ox nächsten Monat pleite. Aber was für ein schönes, übersichtliches, letztes Heft wäre das! Nur noch ein Drittel der Interviews und Reviews, davon eins eklektischer und leidenschaftlicher als das andere und viel schöne, ganzseitige Fotos. Herrlich!
Andreas Michalke
Dagegen
Relevanz ist so ein nerviges Wort. Wer spricht sie zu, wer spricht sie ab?
Unser, mein Ansatz ist, dass im weitesten Sinne jemand Fürsprecher:in einer Band ist. In dem Sinne, dass Begeisterung dafür wichtig ist. Nicht nur bei den Musiker:innen selbst, sondern auch von Menschen um sie herum, die Musik veröffentlichen, Touren buchen, Konzerte veranstalten und so weiter. Darüber wächst eine Band, wird sie bekannter – und, äh, relevanter. Schafft sie es auf das jeweils nächste Aufmerksamkeitslevel. Und versucht auf die eine oder andere Weise dann auch die Aufmerksamkeit anderer zu erreichen. Viel Gutes wird dabei nach oben geschwemmt, aber auch Beifang. Mit ausweislich der pro Ausgabe rund 400 Rezension, das sind um die 2.500 im Jahr, versuchen wir abzudecken, was „da draußen“ passiert, sowohl im totalen DIY-Underground wie in den Mainstream hinein, wobei unser „Mainstream“ für andere immer noch total obskur ist. Man erkennt: Wir reden da von extrem subjektivem Empfinden. Schon die musikalische Bandbreite der 70+ Ox-Schreiber:innen ist enorm. Was für den einen „doch gar kein Punk mehr“ ist, verteidigt die andere vehement. Psychobilly? „So ein Scheiß!“ Goth? „Ist das dröge und düster!“ Pop-Punk? „Geh mir mit dem belanglosen Scheiß weg!“ Black Metal? „Was hat das denn mit Punk zu tun?“ Garage-Trash? „Mach das Gerumpel aus!“ Tja, und ich befinde mich im Zentrum dieses Chaos und versuche ähnlich einem mit seinen Kellen mitten auf der riesigen Kreuzung winkenden Verkehrspolizisten das irgendwie am Laufen und Fließen zu halten. Letztlich ist die Frage immer „Ist das Punk oder muss das weg?“, und für den Moment habe ich, haben wir, habt ihr (ihr kauft das Heft ja und haltet es/uns aus) entschieden, dass das halt wohl schon alles irgendwie Punk ist. Und wenn was nervt: die nächste spannende Platte ist nur ein paar Zeilen oder eine Spalte entfernt.
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