Zwar ist "This Is Noise" nur eine EP, über die allein man sich wohl kaum eine halbe Stunde lang mit RISE AGAINST-Vorstand Tim McIllrath unterhalten mag. Die sieben Songs umfassende Raritätenverwertung der vier Chicagoer markiert aber in doppelter Hinsicht etwas mehr als nur das Release von sieben Stücken, die ansonsten ohne weitere Relevanz in den Bandarchiven verschwunden wären. Einerseits erschien "This Is Noise" in den USA rein digital und bereits im Januar, und zwar zu genau der Zeit, als McIllrath und Anhang die vier kreativen Köpfe zusammensteckten, um an den Songs für den Nachfolger des famosen 2006er Werkes "The Sufferer And The Witness" zu arbeiten. Andererseits - und das ist das Entscheidende - ist die Band zum Zeitpunkt des Europareleases der EP, die hier Anfang April auch physisch und mit anderem Tracklisting als in den USA erschien, schon zwei Schritte weiter: Die Outlines der kommenden Albumsongs stehen und alle vier Bandmitglieder sind nach Fort Collins, Colorado gereist, um sich mit Stammproduzent Bill Stevenson in dessen "Blasting Room"-Studios zu verschanzen. Überhaupt: Warum eigentlich nur Musik? RISE AGAINST und mit ihnen McIllrath haben bekanntlich mehr zu sagen als "Ja" und "Amen" - zumal im wohl interessantesten US-Wahljahr seit Langem. Aber immer langsam mit den jungen Pferden.
Es ist Mittag in Colorado, als die Dame vom Universal-Sublabel Geffen Records McIllrath vom vegetarischen Lunch aufschreckt, mit der Nachricht, dass ihn hier ein Deutscher um das verdiente Mittagessen bringen will. Der Sänger aber nimmt es auch bei meinem fünften RISE AGAINST-Interview gelassen und auch extrem freundlich. "Haha", lacht er, als man ihn danach fragt, welche Frage er nicht mehr hören könne: "Ich habe fünf Monate lang keine Interviews gegeben, von daher, leg los". Gerne. Das neue Album ist zwar sicher nicht alles, was interessiert, aber um den Chitchat in Gang zu bringen, erkundigt sich der detailinteressierte Journalist (und Fan!) doch gleich danach, wie es denn um den Nachfolger zur persönlichen Lieblingsplatte 2006, "The Sufferer And The Witness", bestellt sei. "Ehrlich gesagt, haben wir bis jetzt noch gar nichts aufgenommen. Anfang des Jahres begannen wir, das Album zu schreiben, und jetzt, da wir in Fort Collins sind, schreiben wir immer noch. Es ist verrückt: Für jeden Vorgänger hatten wir gerade soviel Songs geschrieben, wie auf ein Album passten. Jetzt haben wir bereits über 20 geschrieben - und schreiben immer noch. Mich verwirrt das irgendwie, dass wir jetzt so wahnsinnig viele Songs haben."
Aber die musikalische Ausrichtung des Longplayers wird dadurch noch galant im Dunkeln gelassen. Jedoch nur für einen kurzen Moment, denn wenig später evaluiert der Stimmgeber der Band den Schreibeprozess des Albums und verspricht Dinge, die einen kleinen Kursschwenk erahnen lassen. "Ich kann es dir gar nicht en detail erklären, aber dieses Mal ist eine neuartige Energie in der Band. Ein Gefühl, das wir alle bis dato nicht kannten, und das dazu geführt hat, dass wir Songs geschrieben haben, die wir früher wohl nie geschrieben hätten."
Der geneigte Liebhaber der Faust-in-die-Luft-Songs von RISE AGAINST mag um die wunderbar politischen Dreiminüter bangen, die einem die Band vier Alben lang mit ihrer Mischung als Oldschool Hardcore und melodischem Punk servierte. McIllrath relativiert: "Ja, ich muss das eingrenzen, manche Songs sind anders geworden als alle Stücke, die wir zuvor geschrieben haben - gerade was Dinge wie Schlagzeug-Arrangements und Tempovariationen angeht. Andere Songs sind ganz klassische RISE AGAINST-Songs, Stücke, wie man sie von uns kennt." Neue Ideen will man auf dem fünften Album verarbeiten und sich - den Freiraum räumt man ihnen nach fünf tollen Longplayern ein - auch ein Stück weiterentwickeln. SHADES APART, BLACK FLAG, QUEENS OF THE STONE AGE und BAD RELIGION sind jedenfalls die ersten Eckpfeiler, die McIllrath als Vergleiche der neuen RISE AGAINST-Songs anführt. Wir warten gespannt.
Aber wie gesagt, so charmant es ist, mit McIllrath über Musik zu philosophieren, so unvermeidlich ist es auch, die politische Dimension der Band in Interviews einzubinden. Und da drängt sich ein Thema auch aufgrund seiner Omnipräsenz in den europäischen Medien auf: Die Wahl zum neuen US-Präsidenten - oder sollte man sagen: US-Präsidentin? "Ich finde es sehr erfrischend, dass Menschen wie Hillary Clinton und Barack Obama überhaupt die Chance bekommen, Präsident/in von Amerika zu werden. So etwas war bei den letzten Wahlen noch unmöglich, weil das ganze Land in Angst vor dem Terror war. In einer Angst, die auch George W. Bush mitgeschürt hat, und die ein Klima geschaffen hat, in der die heutigen beiden Top-Kandidaten der Demokraten keine ernsthaften Chancen auf das Präsidentenamt gehabt hätten." Nun wird George W. keine dritte Amtszeit mehr bekommen und nach einem Fiasko namens "Krieg gegen den Terror" und ähnlich vermasselter Innenpolitik wird er abtreten müssen. "Ganz gleich, ob nun Clinton oder Obama das Rennen gegen die Republikaner machen, es wäre toll, und irgendwo symbolisch, wenn einer der beiden US-Präsident werden würde. Aber ganz ehrlich: Obama wäre mir schon lieber, Clinton wirkt auf mich doch sehr, sagen wir, konventionell." Und während ihr brav weiter aufnehmt, erfreuen wir uns an "This Is Noise" und warten neben dem Ausgang der US-Auswahl auch auf das kreative Stilintermezzo, das ihr uns aus Fort Collins mitbringt.
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