Wie beurteilt man eine Band wie RISE AGAINST anno 2021? Seltsame Frage, könnte man meinen. Denn entweder ist Musik gut oder schlecht. Aber bei Tim McIlrath und seiner Truppe aus Chicago ist es damit nicht getan. Bei ihnen liegt der Fall anders. Warum? Nehmen wir einfach mal die Musik. Womit ich meine: die reine Musik. Die hat sich über die Jahre – seit dem Debüt „The Unraveling“ aus dem Jahre 2001 bis zu dieser neuen Platte „Nowhere Generation“ – durchaus extrem gewandelt. Das ist zwar alles noch melodischer Punkrock. Und doch muss man konstatieren, RISE AGAINST klingen nicht mehr so aufrührerisch und rasend wütend wie früher. Lästermäuler würden wohl von einer „Stadionisierung“ sprechen. Sicherlich, mit „Monarch“, „Sounds like“ oder „Middle of a dream“ finden sich durchaus noch nach vorne preschende Stücke auf „Nowhere Generation“. Aber das Rüde an ihrem Sound ist verloren gegangen. Überall lauert eine kleine Handbremse. Ein Zurücknehmen in der Atemlosigkeit. Am intensivsten hört man das an „Sooner or later“, das in den Strophen eher glatter Indierock ist, ehe es im Ohrwurm-Refrain und einer späteren Bridge vorübergehend aus allen Nähten platzt. Oder an der Ballade „Forfeit“, wobei RISE AGAINST ja immer schon eine Band für die klassische Quotenballade waren (bestes Beispiel: der Evergreen „Hero of war“). Aber ist diese Entwicklung nun irgendwie schlecht? Bedenklich? Darauf gibt es nur eine Antwort: Nein! Denn RISE AGAINST sind auf diese Weise – ohne das Drauflospreschen – und mit dem Abschluss (?) der Metamorphose endgültig eine Band geworden, die über die Texte kommt. Das waren sie schon immer. Irgendwie. Aber auf „Nowhere Generation“ rückt dieser Aspekt noch weiter in den Vordergrund. Steht im Fokus. Nicht nur mehr gewollt, sondern auch gekonnt. Diese Platte ist eine Bestandsaufnahme der Welt, die so klar und scharf geschnitten und brutal ehrlich und dabei so unendlich eloquent ist, dass einem die Haare zu Berge stehen. Vor Begeisterung und Entsetzen gleichermaßen. Das schönste Beispiel ist die Zeile „They have the power. We have the numbers“ – besser, treffender, erschütternder und knapper klang die Zustandsbeschreibung dieser Welt, das Schizophrene am Status quo und die eigentlich doch so einfache Lösung aller Probleme vielleicht noch nie. Und diesmal wird nicht verschluckt. Rast all das nicht vorbei. Herausstechende Hits wie „Numbers“ oder das erwähnte „Sooner or later“ sind Songs, die man nicht nur stumm mit erhobener Faust abfeiert, weil sie eben so geil klingen und man dazu so gut Bier trinken und tanzen kann. Nein, man feiert sie jetzt bewusst mitsingend ab. Von mir aus auch im Stadion. Denn es sind Hits, deren Botschaft sich einbrennt. Weil ihr Raum gelassen wird. Weniger Party und Pogo. Mehr Zuhören, Nachdenken, Verinnerlichen. Und dann danach handeln. Wir hören: Die Definition von Punk.
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