RISE AGAINST

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Gute Zeiten in schlechten Zeiten

Man kann über RISE AGAINST aus Chicago denken, was man will. Denn trotz ihres enormen kommerziellen Erfolgs, der sie natürlich für die ewige Punk-Polizei angreifbar macht, gehören sie zu jenen Bands, die den Finger unablässig in die Wunde legt, die derzeit besonders groß und hässlich ist und aus der Hass, Mordlust und Terror herausquellen. Beim neuen Album „Wolves“ ist das nicht anders. Bassist und Bandgründer Joe Principe erklärt uns, wie es sich als Wolf unter Wölfen lebt.

Joe, euer neues Album „Wolves“ kam ein wenig überraschend. Erst vor ein paar Wochen habt ihr es urplötzlich mittels eines seltsamen Hieroglyphen-Rätsels auf eurer Homepage angekündigt.

Ja, wir wollten das mal versuchen, haha. Das war ein kleiner Spaß, der zeigt, wie sehr wir uns selbst über dieses Album freuen und darüber, wie die Leute auf die Songs reagieren werden. Es sind auf jeden Fall gute Zeiten für RISE AGAINST.

Die Zeiten sind gut für euch, weil sie generell für die Menschheit leider eher schlecht sind?

Ja, so kann man das sagen. Wir leben in einem Land, das sich aktuell in einer sehr beängstigenden Situation befindet. Unser Präsident hat keine Existenzberechtigung als solcher. Er ist höchst peinlich, betätigt sich als zwanghafter Lügner und ist ein Meister darin, sich selber permanent zu widersprechen. Das sagt alles.

Manche Leute, mit denen ich in den vergangenen Monaten gesprochen habe, wollten mich beruhigen und sagten: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird – und auch Trump wird nicht jeden Scheiß bauen können, den man ihm zutraut. Kurzum: alles halb so wild. Kannst du das irgendwie bestätigen?

Nun, es stimmt natürlich, dass er noch jede Menge anderer Menschen um sich hat, die eine Art Korrektiv darstellen könnten. Nimm nur die Richter, die jüngst sein geplantes Einreiseverbot für Muslime und Flüchtlinge blockierten. Aber dieser Mensch ist eben auf jede erdenkliche Weise falsch. Das darf man nicht unterschätzen. Das macht ihn gefährlich. Trump geht es nicht um die Interessen der Amerikaner. Es geht ihm um sein Bankkonto. Er ist ein Showman. Das ist sein Metier und dem frönt er auch als Präsident. Er versucht, sich so darzustellen, dass er irgendwann einmal als jemand in Erinnerung bleibt, der sich vom Rest der Welt nicht verarschen ließ. Aber er hat eben keinen blassen Schimmer von dem, was er da tut. Er macht sich keine Gedanken. Er ist sogar so unfähig, dass Leute, die ihn gewählt haben, mittlerweile die Augenbrauen hochziehen, wenn sie ihn reden hören und zuzugeben: Dieser Typ ist komplett verrückt. Und man darf ja auch nicht vergessen: Er wurde vor allem von Menschen aus der Mitte der USA und älteren Menschen gewählt. Menschen, denen es nicht gut geht und die irgendwie einen Wechsel wollten. Auf Teufel komm raus. Das ist der einzige Grund, warum er jetzt in Washington sitzt.

Wenn du an Menschen denkst, die aus Überzeugung Trump gewählt haben und rassistisch denken: Sollte man sie ignorieren und bekämpfen? Oder ist es deiner Meinung nach besser, den schweren Weg zu gehen und mit ihnen das Gespräch zu suchen, um sie vielleicht zur Vernunft zu bringen?

Ich denke einerseits zwar, dass es mehr und mehr Leute gibt, die es bereuen, ihn gewählt zu haben. Ihnen geht auf, dass sein Plan nicht sichere Jobs für die Kohlekumpel in den USA sind, sondern dass es ihm darum geht, was für einen Effekt seine „Politik“ auf die Wall Street hat. Aber der Rest ist für mich erst einmal verloren. Sie werden ihre Meinung nicht mehr so schnell ändern. Und ich kann das sogar bis zu einem gewissen Grad verstehen, denn ich spiele in einer Band und habe auf unseren Tourneen die ganze Welt gesehen und viele verschiedene Kulturen kennen gelernt. Ich weiß also, wie schön es ist, über den eigenen Tellerrand zu blicken. Aber erzähle das mal einem alten Farmer aus der Einöde von Iowa. Der wird sich dafür nicht interessieren. Leider.

Ist es wahr, dass ihr euer neues Album zunächst ein wenig melancholisch und depressiv „Mourning In America“ nennen wolltet – und euch dann für den wesentlich aggressiver klingenden Titel „Wolves“ entschieden habt?

Ja, so war es. Tim McIlrath, unser Sänger, und ich diskutierten während der Aufnahmen in Nashville darüber. Er war für „Mourning In America“. Ich wollte „Wolves“ haben, denn dieses Wort impliziert etwas Kraftvolles und Mächtiges. Wölfe sind im Rudel stark und flößen Angst ein. „Mourning in America“ ist, wie „Wolves“ auch, ein Song auf der Platte. Und es ist ein sehr guter Song. Es geht in ihm ebenfalls um den Status quo in den USA. Aber eben nicht so positiv klingend wie in „Wolves“. Und ich wollte, dass die Leute durch „Wolves“ einfach einen Schub Hoffnung bekommen. Die Leute sollen merken: Es ist vollkommen in Ordnung, wenn sie auf die Straße gehen und protestieren. Wenn sie wie Wölfe heulen und knurren. Denn man kann nicht amerikanischer sein als auf diese Weise. Schließlich wurde Amerika genau dadurch gegründet, weil die Menschen sich aufgerafft haben.

Im Song „Violence“ heißt es: „We were not brave enough“, „Wir sind nicht mutig genug gewesen“. Stimmt das? Waren die Menschen in der Vergangenheit wirklich nicht mutig genug, um dem, was heute Realität ist, frühzeitig entgegenzutreten?

Ja, irgendwie schon. Es ist eben hart, couragiert zu sein und etwas gegen den Status quo zu tun – und zwar ohne dabei Gewalt anzuwenden. Das sagt der Song aus.

Wie sehr strengt es an, immer wieder mutig zu sein und Musik zu schreiben, die den Finger in die Wunde der Gesellschaft legt?

Es ist anstrengend. Definitiv. Und es ist traurig, dass ein Song wie „State of the Union“, den wir Anfang des Jahrtausends unter der Präsidentschaft von GeorgeW. Bush geschrieben haben, nach wie vor aktuell ist und seine Berechtigung hat. Aber es hilft ja alles nichts: Wir müssen weitermachen. Es immer wieder versuchen. Wir dürfen die Hoffnung, dass es besser wird, nicht aufgeben. Und wir müssen uns immer wieder sagen, dass wir nicht alleine sind mit dieser Sicht auf die Dinge. Das ist positiv, das muss man herausstellen. Natürlich wäre es das Leichteste, auf alles zu pfeifen und nur noch Bubblegum-Punk-Songs zu schreiben. Aber das würde dem widersprechen, was wir denken und wie wir Musik seit den Zeiten, in denen wir noch Skateboard gefahren sind, begreifen.

Du hast es bereits erwähnt: Ihr habt „Wolves“ in Nashville aufgenommen. Hatte dieser geschichtsträchtige Ort irgendeinen besonderen Einfluss darauf, wie diese Platte am Ende geworden ist?

Ja, das hatte er irgendwie schon. Wobei das eher ein zeitlicher Aspekt ist: Wir waren nämlich zur Zeit der Präsidentschaftswahl dort. Und als wir die Songs schrieben, waren wir noch überzeugt, dass Hillary Clinton Präsidentin werden würde. Am Tag nach der Wahl wachten wir dann aber auf, hörten die Nachrichten – und konnten es nicht glauben! Das war wie in einer TV-Soap. Wie im Film. Aber in einem schlechten. Uns war nach einem kurzen Moment des Schocks klar: Dieses Album wird jetzt anders werden. Es muss jetzt anders werden. Weil auch Amerika anders werden wird unter Trump. Wir wussten: „Wolves“ wird jetzt aggressiver. Und Tim hat die Songtexte noch einmal überarbeitet.

Nun geht ja nicht nur in den USA so einiges schief. Auch in Deutschland, in Großbritannien, in der Türkei, in Syrien. AfD, Brexit, Erdogan, IS. Es ist eine Liste, die man endlos fortsetzen könnte. Wie sehr habt ihr auch diese Krisenherde im Auge?

Wir bekommen das schon mit. Denn ich spiele ja, wie eben bereits erwähnt, in einer Band. Mit der kommen wir viel herum und sehen viel und tauschen uns darüber aus. Zudem sind wir alle älter geworden. Und mit zunehmendem Alter steigt auch das Interesse an politischen Dingen in aller Welt. Und wir alle haben mittlerweile Kinder und empfinden Verantwortung ihnen und der Zukunft gegenüber. Ich habe mich vor der Wahl zum Beispiel mit meiner sechsjährigen Tochter zusammengesetzt und ihr zu erklären versucht, was für ein Riesending es – aller Kritik an Clinton zum Trotz – wäre, wenn mit ihr zum ersten Mal eine Frau Präsidentin der USA werden würde. Sie fragte in diesen Tagen auch extrem viel und oft nach und war richtig enttäuscht, als ich ihr dann mitteilen musste, dass die Frau es nicht geschafft hat. Das fand ich beeindruckend.

Hat deine Tochter das neue Album schon gehört?

Ja. Und nicht nur sie. Ich habe ja noch zwei Jungs, acht und vier Jahre alt. Und sie alle wissen natürlich, dass es Daddys Band ist. Sie lieben es, wenn Tim schreit, denn das halten sie für lustig und tanzen dazu quer durch den Raum. Und mein Ältester fragt bereits nach den Texten und will wissen, um was es da genau geht. Auch wenn ich BAD RELIGION höre, deren Texte ja nun wirklich nicht immer so leicht zu begreifen sind. Bei ihm muss ich schon aufpassen, was ich zu Hause und im Auto höre, haha.

Welche Rolle spielen deiner Meinung nach die sozialen Medien bei der, überspitzt ausgedrückt, Verrohung und immer größer werdenden Idiotie der Menschen?

Eine sehr große Rolle. Man muss sie mit Vorsicht gebrauchen. Heutzutage ist es ja durch schnell im Netz veröffentlichte Kommentare und Fotos leicht, jemand anderen an den Pranger zu stellen. Und wenn es nur um sein Outfit in der Schule geht, für das andere ihn niedermachen. Früher geschah das alles in Echtzeit. Man war in der Schule, bekam eine Ansage, reagierte darauf – und die Sache war geregelt. Heutzutage sieht die ganze Welt zu. Das macht mir ehrlich gesagt eine ganze Menge Angst.

Bei euren Konzerten sehe ich immer wieder Menschen im Publikum, bei denen ich den Eindruck habe, sie gehen zum Gig und trinken und feiern. Aber sie interessieren sich nicht wirklich für die Texte, für die politisch brisante Botschaft, die ihr als Künstler vermitteln wollt. Kennst du das Phänomen beziehungsweise stört dich das?

Ich kenne dieses Phänomen, ja. Und es wird immer solche Leute geben. Aber das ist in Ordnung. Mir ging es damals als Teenager ja genauso. Ich hörte beispielsweise die DEAD KENNEDYS, die ja nun wirklich ultra-politisch waren. Und ich hatte absolut keine Ahnung, um was es bei ihnen ging. Ich wusste nur, es war etwas Ernstes. Und genau das ist es: Irgendwie bekommt man dann doch etwas mit und setzt sich mit der Botschaft hinter der Musik auseinander.