Nach „Get Fixed“ von 2019 ist gerade anlässlich des 25. Geburtstags der ergo 1995 in Omaha, Nebraska gegründeten Band um Tim Kasher die „It’s Gonna Hurt“-12“ erschienen. CURSIVE sind von jeher eine Band mit einem ausgesprochen Trademark-Sound, und den mache ich an Kashers Gesang fest, der eigenwilligen Rhythmik und dem bei vielen Songs eingesetzten Cello – schon in den Neunzigern war das so, als Kasher und Band Teil der gehypeten Szene um das Saddle Creek-Label waren. Ich nahm den runden Geburtstag zum Anlass, Tim, der schon lange in Los Angeles lebt, meine Fragen zu stellen.
Tim, 2020 hätte ihr damit verbringen können, 25 Jahre CURSIVE zu feiern Was hast du dieses Jahr stattdessen gemacht?
Ich habe das gemacht, was die meisten von uns gemacht haben, nämlich zu Hause sitzen und mir die nächsten Schritte zu überlegen, ha. Für CURSIVE war eine Reihe von Terminen mit der Band THURSDAY geplant, die abgesagt werden mussten, sowie ein paar Festivals, die auf nächstes Jahr verschoben wurden. Dafür habe ich jede Menge Musik als auch andere Sachen geschrieben.
Inwiefern wurde dein Leben sonst von Corona beeinträchtigt?
Ich weiß, dass ich mich unglaublich glücklich schätzen kann, dass diese Pandemie für mich keine unmittelbaren, direkten Konsequenzen hat. Ja, ich war nicht in der Lage, meinen „Beruf“ auszuüben, also auf Tour zu gehen, aber ich habe es geschafft, mich über Wasser zu halten. Die USA haben bei der Bekämpfung des Virus einen lausigen Job gemacht, trotzdem bin ich dankbar für das bisschen Entschädigung, das ich erhalten habe, weil alle Konzerte ausgefallen sind. Frag mich in ein paar Monaten noch einmal, vielleicht schlage ich ja andere Töne an, wenn diese Geldquelle versiegt.
Solche Jahrestage dienen normalerweise als Anlass, zurückzublicken und das Ganze zu reflektieren. Oder bist du eher der Typ, der immer nur nach vorne schaut?
Das ist schon eine hübsche Zahl, die einem das Gefühl vermittelt, etwas geschafft zu haben. Ich habe unsere Geburtstage nie gezählt, also hätte mich nicht jemand auf diesen Meilenstein hingewiesen, bin ich mir nicht so sicher, ob mir das aufgefallen wäre. Du weißt schon, Zeit ist ein Konstrukt, bla bla, ich tue einfach, was ich eben tue, und so ein Jubiläum ist wie ein Gradmesser für unsere Anstrengungen. Das ist cool, und ich bin froh, dass CURSIVE es geschafft haben, so lange so lebendig zu bleiben.
Nun, falls du magst, nimm uns mit zurück nach 1995 und Omaha, Nebraska. Wie war dein Leben damals, was waren deine Hoffnungen, Ideen, Pläne, Träume ...?
Ich war ein Kind, das dachte, es sei erwachsen. Jetzt bin ich erwachsen und frage mich, wann ich ein „richtiger“ Erwachsener werde, ha. Langsam wird mir klar, dass das nie passieren wird. Von mir aus, ich ziehe es vor, ein Kind zu sein. Damals, 1995, war ich ein College-Student und Pfleger in Teilzeit, den ständig Tagträume quälten, ein erfolgreicher Irgendwas mit Musik zu werden. Jetzt bin ich stolz darauf, was für ein erfolgreicher Irgendwas auch immer ich geworden bin!
Und was davon ist in deinem Leben im Jahr 2020 Realität geworden?
Mein Leben ist heute sicherlich ein bisschen anders. Einerseits besser, weil ich das Glück habe, mich nur den Projekten meiner Wahl widmen zu dürfen, in einem Zustand konstanter Beschäftigung mit Musik und Schreiben. Ich liebe das, ehrlich. Andererseits ist es auch schlechter, weil ich nicht mehr der junge Kerl bin, der die ganze Nächte brüllen und ausflippen kann, und am nächsten Morgen geht alles von vorn los. Sicher, in gewisser Weise hat dieser entschleunigte Erwachsenenmodus, in dem ich mich jetzt befinde, auch seine Vorteile. Ich habe etwa seltener einen Kater. Aus mir ist wohl doch noch ein erwachsenes Etwas geworden ...
Auf dem letzten Album „Get Fixed“, das vor einem Jahr digital und erst Anfang 2020 physisch veröffentlicht wurde, gibt es einen Song namens „Black hole town“ – über Omaha? Wie kommt es, dass die Orte, an denen wir aufwachsen, so lange in unserem Leben „herumspuken“?
Ehrlich gesagt war es gar nicht beabsichtigt, dass das Lied von Omaha handelt, aber ich kann schon verstehen, dass viele diese Schlussfolgerung ziehen. Es sollte allgemein um Heimatstädte gehen, an welchem Ort du auch immer wohnst, und die sich anfühlen, als würden sie einen runterziehen. In diesem Sinne ja, für mich ging es einmal um Omaha – damals, als ich zwanzig war, als ich meine Heimatstadt nicht schnell genug hinter mir lassen konnte. Gleichwohl liebe ich Omaha und respektiere meine Herkunft und wie sie mich geprägt hat.
Via Instagram hast du ziemlich deutlich gemacht, dass du die Biden/Harris-Kampagne unterstützt. Warum?
Einfach, um das Richtige zu tun. Ob man zehn oder zehn Millionen „Follower“ hat, es ist unsere kollektive Verantwortung, gegen die Art von Korruption, die die Trump-Regierung verbreitet hat, aufzubegehren.
Wie auch das Ox seid ihr auf Social Media angewiesen, um Fans und Unterstützer zu erreichen. Trotzdem hast du dich vor einigen Wochen dem Werbeverbot auf Facebook angeschlossen. Wie ist deine Beziehung zu sozialen Medien, wie haben sie sich über die Jahre verändert und was sollte da in Zukunft passieren?
Ich würde gerne in eine Welt ohne soziale Medien zurückkehren, aber ich möchte vermeiden, dass man mich für einen Dinosaurier aus längst vergangenen Zeiten hält, haha. Aber ich glaube nicht, dass es schwer ist zu erkennen, dass die sozialen Medien viele Stimmen verstärkt haben, die früher zu Recht ungehört geblieben wären. Sicher, sie haben auch eine Menge Gutes bewirkt und die Menschen auf vielfältige Art zusammengebracht – aber auch großen Schaden angerichtet, der vielleicht irreparabel ist. Wir müssen nicht alles erfahren, was die Menschen „wirklich“ denken, verstehst du? Wir haben bezahlte Werbung auf unserem Facebook-Profil beendet, weil wir diesem Unternehmen nicht einen verdammten Cent mehr in den Rachen werfen sollten. Aber klar, wir benutzen Facebook immer noch als Mittel zur Kontaktaufnahme mit unseren Fans, da es sonst schwierig wäre, ein kleines Unternehmen wie unseres online zu betreiben, wenn es keine „Verkaufsstellen“ wie Facebook gäbe. Und was die Zukunft betrifft? Regulierung! Hört mit diesem „Wildwest-Tage des Internets“-Schwachsinn auf und lasst uns anfangen, Regeln aufzustellen, was „Nachrichten“ sind und was „nachrichtenbasierte Unterhaltung“ ist.
Vor ein paar Jahren hast du 15 Passenger gegründet, dein eigenes Label. Bloß eine Basis für deinen eigenen Output oder gibt es größere Pläne?
Vor allem ist es eine Firma, die unserer Musik ein Zuhause gibt. Aber wir haben auch ein paar andere Projekte veröffentlicht, die uns am Herzen liegen, und ja, vielleicht kommt in Zukunft noch mehr.
Hat der Name etwas zu tun mit der hierzulande unbekannten, für 15 Personen zugelassenen Fahrzeugklasse, zu der du als toureder Musiker vermutlich eine enge Verbindung hast?
Ja, 15 Passenger verweist auf diese Art von Van, der für mich, während wir unterwegs waren, weit weg von daheim, so viele, viele Jahre ein Zuhause war.
Erzähl uns doch zum Schluss noch etwas über diese 12“-Veröffentlichung auf dem deutschen Label Door Closed Monkey Dead.
Die EP „It’s Gonna Hurt 25 Years“ ist ein besonderes Geschenk zu unserem Jubiläum, das sich unser lieber alter Freund Olli Wyczisk ausgedacht hat. Wir haben Olli vor gut zwanzig Jahren kennen gelernt, bei einer unserer ersten Europatouren, und wir sind seitdem in Verbindung geblieben, auch weil er über all die Jahre unser Tourbegleiter war. Olli war ganz vernarrt in unseren Song „It’s gonna hurt“ vom „Vitriola“-Album, also bat er ein paar befreundete Musiker in Deutschland, ein Cover und eine Art „Remix“ davon aufzunehmen. Diese Versionen sind großartig geworden, ich liebe sie. Auf der B-Seite der Platte gibt es einen bislang unveröffentlichter CURSIVE-Track aus unserer „Vitriola“-Songwriting-Session. Dieses Stück hat einige Textfassungen durchlaufen, und um diesen Prozess zu demonstrieren, haben wir jetzt zwei unterschiedliche Varianten des Songs ausgewählt. Ich bin neugierig, welche den Leuten besser gefällt.
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