Spät, aber kommt: Das Interview mit Tim Kasher, 29, dem sympathischen Frontmann der Band aus Omaha, Nebraska, die seit zwei, drei Jahren gern gesehener Gast auf deutschen Bühnen ist und zuletzt mit „The Ugly Organ“ ein wunderschönes Album veröffentlichte. Natürlich auf Saddle Creek, dem Label aus ihrer Heimatstadt, dessen Popularität sicher auch zur Beliebtheit von CURSIVE beigetragen hat (und vice versa). CURSIVE sind für mich so was wie die Fortsetzung des D.C.-Post-Hardcore-Sounds an anderem Ort zu anderer Zeit mit leicht veränderten Mitteln, grundsympathisch, mitreißend und integer. Vor dem Konzert im Kölner Gebäude 9 saß ich mit Tim Kasher und Saddle Creek Germany-Mann Jens Schewe in der kuschligen Sitzecke des Nightliners, und noch bevor ich das Aufnahmegerät aufbauen konnte, waren wir auch schon mitten im Gespräch. Ja, ein Gespräch, nicht wirklich ein Interview, man unterhielt sich mehr, als dass ein Frage-Antwort-Spiel stattfand, und davon bin ich Fan.
"Ich frage mich ja seit langem, warum die Städte auf meiner amerikanischen Deutschlandkarte andere Namen haben als auf deutschen Karten – bei mir steht Cologne statt Köln, Munich statt München, Nuremberg statt Nürnberg.“
Hm, eine gute Frage. Aber die Deutschen machen das ja auch, denn früher schrieb man zum Beispiel Chikago und San Franzisko.
„Ja, aber werden in Deutschland nicht beide Schreibweisen von Köln verwendet?“
Nein, Cologne wird im Deutschen nicht verwendet, nur sind manche Karten eben zweisprachig. Und da Englisch nun mal die Weltsprache ist ...
„Okay, ich verstehe. Und noch eine andere Sache: Mir fiel auch auf, dass man immer seltener ‚ß‘ als Buchstabe sieht, etwa bei Straße/Strasse. Ich habe das Gefühl, da wird leichtfertig eine interessante sprachliche Eigenheit aufgegeben. Als wir das letzte Mal auf Tour waren, lief da wohl eine Diskussion, das ganz aufzugeben, oder verstehe ich da was falsch?“
Nein, ganz so war das nicht, das hat was mit der Rechtschreibereform und ähnlichen deutschen Eigenheiten zu tun, aber das ist ein ganz anderes Thema. Aber wie kommt es, dass du dich für so was interessierst?
„Mich beschäftigen solche Sachen einfach, ich beobachte das und frage die Leute auch danach. Mein Eindruck war hier etwa, dass die Deutschen voreilig Kompromisse eingehen und sprachliche Eigenheiten aufgeben, aber ganz so ist das ja dann doch nicht. Ich will einfach den Eindruck vermeiden, dass wir tumbe Amerikaner sind, die immer und überall davon ausgehen, dass jeder unsere Sprache spricht. Von daher finde ich es auch interessant irgendwo zu reisen, wo nicht jeder automatisch Englisch spricht – in Deutschland ist das der Fall, je weiter man Richtung Osten kommt.“
Ich sehe das eher positiv: eine gemeinsame Sprache bringt die Leute zusammen, hilft einander zu verstehen.
„Da stimme ich dir zu, und wenn aus diesem Grund jetzt das ‚ß‘ weniger verwendet wird, etwa um zu verhindern, dass Leute wie ich ‚Strabe‘ statt ‚Strasse‘ lesen, ist das ja nicht schlecht. Als wir das erste Mal in Deutschland auf Tour waren, war ich völlig verwirrt, wunderte mich, warum alle Straßen beinahe den gleichen Namen hatten, immer dieses ‚Strabe‘. Dann habe ich endlich kapiert, dass das ‚street‘ bedeutet und alles war viel klarer, hahaha.“
Hast du mal eine andere Sprache gelernt?
„Leider nicht richtig. Meistens lernt man in den USA, von ein paar Staaten mal abgesehen, erst ab der Highschool eine Fremdsprache, meist Spanisch. Ich habe mich an Spanisch und Französisch versucht, aber damals interessierte mich die Schule kein Stück, außer der Englischunterricht und Schreiben.“
Viel mehr als Englisch ist natürlich Musik eine universale Sprache, die in jedem Land verstanden wird. Was für Erfahrungen hast du in dieser Hinsicht gemacht?
„Meine schönste Erfahrung war die Tour in Japan vor ein paar Monaten, denn da haben wir mit so vielen guten Bands zusammen gespielt. Die hatten so starke japanische Einflüsse in ihrer Musik, so was hatte ich noch nie gehört. Das war unglaublich! Aber als ich dann japanische Freunde fragte, ob diese oder jene Band denn auch ihrem Empfinden nach einzigartig und besonders ist, bekam ich zur Antwort, das sei eher Durchschnitt – aber eben typisch japanischer Indie-Rock. Trotzdem war es eine sehr interessante Erfahrung, und letztlich hat die ‚Sprache der Musik‘ da funktioniert wie überall anders auch.“
Kommen wir mal auf deine Heimatstadt Omaha, Nebraska zu sprechen, über deren Szene – speziell die Bands auf Saddle Creek Records – in letzter Zeit sehr viel geschrieben wurde. Was für Bands aus Omaha waren denn davor bekannter, zumindest in den USA?
„Es gibt ein paar Bands aus Omaha, die uns beeinflusst haben. Die waren alle älter als wir und zeigten uns, wie man es auch als Band aus Omaha schaffen kann. Omaha ist eine ‚small big city‘ irgendwo in der Mitte der USA, da aufzuwachsen, ist eben nicht wie in Los Angeles oder New York, wo es coole Clubs gibt, und man als Band theoretisch die Chance hat, von irgendwem entdeckt zu werden und man dann ein Star wird. Wenn du aus Omaha kommst, dann weißt du, dass das niemals passieren wird, von daher verlässt man sich auch nur auf seine Freunde vor Ort. Um mal ein paar Namen zu nennen: MOUSETRAP, MERCY RULE, SIDESHOW – das waren Bands aus Omaha, die es schafften, kreuz und quer durch die USA zu touren. Die haben auch schöne Platten gemacht – wer sich dafür interessiert, wird sie sicher irgendwo im Internet downloaden können.“
Um so erstaunlicher, wie BRIGHT EYES, DESAPARECIDOS, CURSIVE, THE FAINT und andere Saddle Creek-Bands Omaha überhaupt erst auf der Rock‘n‘Roll-Landkarte der USA sichtbar machten, zumindest für uns Europäer.
„Ja, das ist schon sehr schmeichelhaft. Wir sahen die eben erwähnten Bands, beobachteten, wie sie Erfolg hatten und wünschten uns, dass wir eines Tages in ihre Fußstapfen treten könnten: Eine US-Tour, unsere Platten in den Läden außerhalb der Region – und jetzt dieser Erfolg in den USA und Europa und Japan!“
Man könnte aber auch beinahe schon wieder das böse Wort vom Hype benutzen, wenn man gerade auch in Deutschland gesehen hat, wie plötzlich allenthalben über Saddle Creek geschrieben wurde. Nur hält so was ja nicht ewig an.
„Ja, über dieses Thema haben wir schon viel gesprochen. Aber jedes Jahr bringt etwas Neues, für alle von uns ist das eine neue Erfahrung. Aber was passieren wird, das wissen wir nicht, und die Frage, die du gestellt hast, stellen wir uns in Omaha natürlich auch alle. Wie weit geht das, wo erreicht die Welle ihren Höhepunkt? War der schon mit BRIGHT EYES ‚Lifted‘ erreicht? Oder doch erst mit dem nächsten FAINT-Album? Und vielleicht geht das ja einfach so weiter? Aber klar, irgendwie überschreitet so was den Höhepunkt, und dann wäre es schön, wenn sich das Interesse auf einem hohen Level einpendelt.“
Wie beeinflusst so was euer Leben, etwa in der Hinsicht, dass man sich gegen ein Studium und einen Job und für ein Jahr ‚on the road‘ entscheidet?
„Ich denke, ich spreche da für alle Bands: Mit jeder Platte trifft man eine wichtige Entscheidung, widmest du weitere zwei Jahre deines Lebens dieser Karriere, weiter weg von einem ‚normalen‘ Leben. Von daher sind wir bei CURSIVE bei keiner Platte sicher, ob das nicht unsere letzte ist, wir müssen da immer erst durch, um wieder klar zu sehen. Und Erfolg macht die Entscheidung dann natürlich einfacher. Natürlich, wir sind alle noch ziemlich jung, aber wir merken schon auch, dass wir uns der nächsten Phase unseres Lebens nähern.“
Das klingt alles so vernünftig! Wo sind die Partys, die Drogen, die Rock‘n‘Roll-Klischees?
„Haha, nun, wir wissen einfach, dass es im Leben noch mehr gibt als das, was wir momentan machen. Und ja, ich sehne mich manchmal nach einem ‚normalen‘ Leben, denn so gut es derzeit auch läuft, so muss man doch eine Menge Kompromisse machen, seine persönlichen Bedürfnisse zurückstellen. Für mich persönlich könnte ich mir jetzt, da ich als Songwriter so viel positives Feedback erhalten habe, vorstellen in dieser Richtung zu arbeiten. Andererseits ist viel von dem Stress, den man hat, auch selbst verschuldet: Ich muss ja nicht parallel in zwei Bands spielen ... Wenn ich also jetzt so klingen sollte, als ob ich mich beklage – hör‘ einfach nicht drauf, hahaha. Ich bin an allem selber schuld, es macht also wohl Spaß, haha.“
Was sind eure weiteren Pläne? Es wird ja auch wieder Zeit für ein neues Album.
„Ja, bevor wir auf Tour gingen, haben wir sechs neue Songs geschrieben, und drei davon könnten es auf die nächste Platte schaffen. Es läuft gut an, wir werden ganz verschiedene Richtungen einschlagen, und ja, ich denke, auch diese Platte wird wieder ganz anders werden. Das ist uns nämlich wichtig: Die Leute sollen sich fragen, was wir wohl als nächstes machen, anstatt sich darauf einzustellen, eine direkte Fortsetzung des vorherigen Albums zu hören zu bekommen. Wir werden aber wohl frühestens im Dezember mit den Aufnahmen beginnen. davor sind wir noch viel auf Tour, und dann bin ich ja auch noch mit THE GOOD LIFE beschäftigt. Da steht eine EP an und nach zwei Jahren das neue Album, und dann drei Touren.“
Die Einflüsse von CURSIVE sind ja vielfältig, doch bevor ich jetzt Vermutungen anstelle, würde ich gerne von dir was dazu hören.
„Ich bin mit ganz anderer Musik aufgewachsen als die, die CURSIVE heute macht – vor allem mit englischem Pop wie THE JAM, THE BEAT, THE CURE, THE SMITHS, THE CLASH, THE DAMNED.“
Hm, da ist keine Hardcore- oder Post-Hardcore-Band dabei.
„Nein, Hardcore ist kein wirklicher Einfluss, wobei Clint, der Drummer, der sich recht stark ins Songwriting einbringt, derjenige in der Band ist, der durch seine wuchtige Art zu spielen so einen Einfluss einbringt. Ich meine, wir schätzen gewisse Hardcore-Bands, aber das ist nicht die Musik, mit der wir aufgewachsen sind. Außerdem ist unsere Musik aggressiv, was wiederum daran liegt, dass wir die Probleme der Gesellschaft sehen, wir frustriert sind über die Verhältnisse, und Musik zu schreiben und zu machen eine Möglichkeit ist, damit umzugehen. Im Falle von CURSIVE bin ich da eher extrovertiert, bei THE GOOD LIFE eher introvertiert, verzweifelt. CURSIVE ist für mich die Band, die Fragen beantwortet, zu THE GOOD LIFE passt eher ‚Let‘s just have a drink‘.“
Tim, vielen Dank.
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