CURSIVE

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Die kleinen Städte und die bösen Religiösen

Mit ihrem Album „The Ugly Organ“ von 2003 bewiesen CURSIVE aus Omaha, Nebraska, dass eine Melange aus versiertem, emotionalem Hardcore und dringlichem Indierock auch außerhalb von Washington D.C. möglich ist. Außer einer Tour mit THE CURE 2005 und zahlreichen Releases alten beziehungsweise unveröffentlichten Materials, waren CURSIVE seither jedoch kaum präsent. Während ihre Freunde und Saddle Creek-Labelmates wie die BRIGHT EYES in große Städte und – zusammen mit Bruce Springsteen – in große Stadien zogen und auch in Deutschland im Indie-Mainstream ankamen, blieb es um die vom Quintett zum Quartett zurückgeschrumpften CURSIVE ruhiger, bis sie sich jetzt mit dem geradezu epischen „Happy Hollow“ zurückmeldeten. Vor einem ausverkauften, aber angenehmen Konzert im Wiesbadener Schlachthof habe ich mich mit dem überaus sympathischen Sänger Tim Kasher unterhalten.


Seit „The Ugly Organ“ sind drei Jahre vergangen. Was ist in der Zeit passiert?

Niemand von uns hatte es besonders eilig. Wir brauchten auch eine kleine Auszeit, um zu wissen, ob und wie wir ein neues Album aufnehmen wollten. Besonders wegen des Erfolges, den wir mit „The Ugly Organ“ hatten – für uns enorm und unerwartet, denn wir waren ja vorher relativ unbekannt –, wollten wir nicht im Schnellschussverfahren ein weiteres Album hinterherschicken, so nach dem Prinzip: „Lasst uns den Erfolg nutzen!“. Wir wollten sicher sein, dass wir ein neues Album aus den richtigen Gründen machen würden, und uns selbst sicher sein, wie es werden sollte. Natürlich fragt uns jeder, warum es so lange gedauert hat, und: „Macht ihr euch keine Sorgen, dass die Fans euch vergessen?“, aber das ist für uns kein Kriterium. Für uns ist wichtig, dass wir gute Songs schreiben, mit denen wir selbst zufrieden sind.

Auf eurer letzten Platte hattet ihr noch eine Cellistin, jetzt habt ihr euer Line-up ausgebaut. Ist es nicht schwierig, mit so vielen Leuten zu arbeiten?

Wir experimentieren gerne und probieren verschiedene Wege aus, wenn wir die Möglichkeit dazu haben. Aufgrund des Erfolges hatten wir natürlich auch ein größeres Budget, und es war einfacher, die Bläsergruppe und Streichinstrumente dazu zu nehmen. Für uns ist das aufregend, mit neuen Möglichkeiten zu spielen, und wir hoffen natürlich, dass es funktioniert und den Leuten auch gefällt. Grundsätzlich schreiben aber nur wir vier die Stücke, und wir verbringen Monate damit, die Songs in dieser Kernbesetzung auszufeilen. Und erst, wenn wir die Demos aufnehmen und ins Studio gehen, fangen wir an, Elemente hinzuzufügen. Viele Ideen kommen von unserem Produzenten Mike Mogis, er hat die meisten Keyboards und solche Sachen eingespielt. Wir spielen ja auch live mittlerweile zu acht und das klappt eigentlich sehr gut.

Euer neues Album hat dieses „Happy“ im Titel. Ist es wirklich happier als „The Ugly Organ“? Auf dem Pressezettel heißt es: „This is fun“.

Ich glaube, ich weiß, was sie damit meinen, aber natürlich ist es kein total lustiges oder fröhliches Album. Eine der Grundideen des Albums war die Frage, was für mich von Bedeutung ist. Es geht auf dem Album sehr viel um Dinge, die mich beschäftigen, die ich interessant finde. Und trotzdem ist das, was dabei rausgekommen ist, irgendwie auch ein Rock’n’Roll-Album. Das ist vermutlich der Grund, weshalb es einerseits auch so „happy“ wirkt, andererseits geht es um das, was für mich von tieferer Bedeutung ist.

In gewisser Weise ist es ja ein Konzeptalbum. Der erste und der letzte Song bilden einen Rahmen, und im letzten zählst du alle vierzehn Songs auf, wie die sieben Posaunen in der Johannes-Offenbarung.

Anfangs wollten wir es auch noch wesentlich mehr konzipieren, aber dann entschieden wir uns, es offener zu halten, so dass man sich auch einfach die einzelnen Songs anhören und daran Spaß haben kann. Wir wollten nicht als eine Band betrachtet werden, die alles immer in ein Konzept zwingen will. Aber es steckt definitiv ein Konzept dahinter, wenn man sich die Mühe macht, es zu entdecken.

Einerseits erzählen die Songs sehr persönliche Geschichten, andererseits gibt es einige Themen – besonders Religion –, die immer wieder auftauchen. Wie kam das und was ist deine Einstellung zur Religion?

Als wir einige Songs geschrieben haben, fiel uns auf, dass die Songs jeweils unter zwei oder drei Kategorien fallen, wenn nicht unter alle drei gleichzeitig. Es gibt dieses Thema, in einer Kleinstadt zu leben und die Frustration, die damit verbunden ist, es geht um Religion und es geht um verschiedene Formen von Sexualität. Und als es darum ging, das Album zusammenzustellen, haben wir uns überlegt, wie all diese Songs zusammenpassen, dass es ein Ganzes ergibt. Diese Kleinstadtsituation ist das, was uns umgibt, und Religion ist dort sehr präsent, denn wenn du in Nebraska beispielsweise in einen kleinen Ort mit circa 4.000 Einwohnern kommst, hast du dieses Schild, das die Bevölkerungszahl und die verschiedenen Kirchen anzeigt, und dann hast du dort vielleicht zehn Kirchen, was einfach wahnsinnig viel ist.

In dem Song „Babies“ singst du: „I’m not the chosen one / You’re not the chosen one (...) / Let’s not choose anyone“. Das klingt wie eine sehr politische Aussage gegen Führungspersonen und Macht.

Ich würde es nicht als eine explizit politische Aussage bezeichnen. In dem Song geht es mehr um echte Menschlichkeit. Religion will einen immer glauben machen, es gäbe etwas Mächtiges, Spirituelles, Größeres als uns, das über uns entscheidet und der Mensch müsse etwas Besonderes sein. Aber für mich spielt das keine Rolle, wir müssen nichts Besonderes sein, wir müssen uns einfach gegenseitig respektieren. Natürlich ist es schwer, zu verstehen, dass wir nur kurz da und dann wieder weg sind, aber so ist es nun mal und darum geht es auch in dem Song.

Ihr wart auch an den „Vote for change / Rock against Bush“-Touren beteiligt. Bush wiedergewählt, wie siehst du diese Sache jetzt?

Das ist ein weiterer Grund, warum sich Religion als Thema in unserer Musik wieder findet, denn es ist erschreckend, welchen Einfluss die christlichen Fundamentalisten in Amerika haben, trotz der Kritik, die zum Glück immer wieder an ihnen geübt wird. Und ich finde es sehr bedrohlich, wie in einem aufgeklärten Land Christen eine solche Macht ausüben können. Ich glaube aber auch nicht, dass, hätten die Demokraten gewonnen, das Problem einfach verschwunden wäre, eben weil die Christen so präsent sind und es auch einfach zu viele Wähler sind, als dass man sie ignorieren könnte. Denn obwohl Amerika eigentlich ein säkularisierter Staat ist, behaupte ich, dass er das faktisch nicht ist, dass es die Trennung von Staat und Kirche nicht gibt. Es gibt auch diesen Darwin-Diskurs in den USA und es ist einfach frustrierend, wenn man sieht, welchen Schaden Religion in ihrer Wissenschaftsablehnung anrichtet. Es ist Irrsinn, das, was in der Bibel steht, als allgemeingültig zu betrachten, denn es sind einfach nur uralte Mythen oder eine Form von Philosophie, aber man kann es nicht Wort für Wort glauben. Und das ist eine Gefahr, die von den fundamentalistischen Christen ausgeht.

„Dorothy dreams of tornadoes“ handelt davon, dass Dorothy sich wünscht, ihre Heimatstadt würde von einem Tornado heimgesucht. Das klingt ziemlich hart im Kontext von etwa New Orleans.

Die Idee dieses Dorothy-Charakters ist quasi eine Personifizierung dieser Kleinstadtlangeweile und der Vorstellung des Amerikanischen Traums und dem Leiden, das mit seinem Scheitern verbunden ist. Und was sie sich wünscht, ist, dass der Tornado aus ihren Träumen kommt und sie wegträgt aus ihrer frustrierenden Hausfrauenexistenz und all den Alpträumen ihres realen Lebens. Sie wünscht sich, auf eine freiere, unbeschwertere Art Frau sein zu können, als in diesem „puritanischen“ Moloch.

Einige eurer Songs klingen wie Gebete, du singst Sachen wie „Dear preacher“ und „Lord, let us go“. Das heißt, trotz dieser antireligiösen Haltungen gibt es starke Gospelreferenzen?

Ja, ich mag diese Widersprüchlichkeit, denn selbst wenn es gegen Religion ist, ist es immer noch ein Spiritual. Gospelmusik finde ich wunderschön, es ist so episch, wenn darin eine höhere Macht gepriesen wird. Und bei uns wird es halt antireligiös eingesetzt, weil es ein Plädoyer für Menschlichkeit ist und diese Gottfigur anprangert und sagt: „Lass uns wir selbst und frei sein, wir brauchen dich nicht.“ Und mir gefällt auch, den Gospel zu benutzen für eine Hassbotschaft an die Religion.

Es gibt diese Zeilen „I’m not exactly a salesman / Sure there’s a product I’m selling / Guess you can say I’m an actor / Though acting is not what they after“. Inwiefern handelt das von dir oder von euch als Band?

Das ist eine weitere Geschichte, die wir benutzen, die mit diesem Kleinstadtkosmos zusammenhängt und davon erzählt, wie jemand in eine größere Stadt zieht und sich dort mit persönlichen Problemen konfrontiert sieht. Jemand, der sich in dem Konflikt befindet, dass er versucht, ein Schriftsteller oder Künstler zu sein, und als er sieht, dass er nur ein Produkt verkauft, und bemerkt, wie er sich prostituiert. Es ist auch ein sehr ruhiger Song, der für mich ein bisschen wie ein „Ugly Organ“-Outtake klingt.

Du sprichst immer wieder diese Kleinstadtthematik an, und ihr werdet ja immer mit diesem Saddle Creek-Mythos verbunden. Nun ist Conor Oberst mittlerweile nach New York gezogen und versucht sich dort als Künstler. Gibt es diese Omaha-Szene immer noch, und fühlt ihr euch immer noch damit verbunden?

Ja und nein. Conor hat das vor Jahren gesagt, wie gut es ist, diese Szene zu haben, und dass es wichtig ist, sie zu erhalten, aber man kann das nicht einfach ewig wiederholen, was wir zusammen gemacht haben. Und darüber in Nostalgie zu verfallen, hat etwas davon, sich immer mit seinen glorreichen Highschool-Football-Zeiten verbunden zu fühlen, und von Männern mittleren Alters, die sich an irgendeine [/b]Touchdown-Vergangenheit klammern. Aber das ist vorbei und wir hatten Spaß zusammen, und würde ich dem ewig hinterher trauern, würde ich mich in fünf oder zehn Jahren ärgern, wenn ich sehe, was ich jetzt gerade verpasst hätte.
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