Einmal mehr wirft Tim Kasher mit seiner Band aus Omaha, Nebraska einen desillusionierten Blick auf die großen und kleinen Dinge des Lebens und verpackt dies in herrlich schräge Hymnen, wie nur CURSIVE sie spielen können. Wer so selbstbewusst und sich seiner selbst bewusst ist, braucht sich nicht mit jedem Album neu zu erfinden, muss aber trotzdem hungrig bleiben, um keinen reinen Nostalgietrip abzuliefern. Die Marke CURSIVE will gepflegt sein.
Auf „Devourer“ scheint es viel um Enttäuschung und Frustration zu gehen. Bist du mittlerweile nicht alt genug, um die Dinge einfach so zu akzeptieren, wie sie sind?
Das wäre wohl eine erwachsene Herangehensweise. Aber ich habe keine Kinder, also habe ich nicht wirklich den Anspruch, erwachsen zu sein. Ich denke, es ist gut, weiterhin unsere Vorstellungen vom Leben zu hinterfragen und Fragen zu stellen. Wahrscheinlich sind es die wirklich Erwachsenen, die mit der Zeit abstumpfen und denen alles egal ist. Sie werden gleichgültig und akzeptieren ihre Rolle im Leben.
Die Single „Up and away“ handelt von Bedauern und verpassten Chancen. Aus persönlicher Perspektive, welche Chancen bietet das Leben eines Künstlers und welche Chancen nimmt es dir?
Ich bin mir nicht sicher, ob es mir wirklich etwas genommen hat. Ich genieße das Tourleben und bin zufrieden mit den Entscheidungen, die ich getroffen habe. Aber ja, „Up and away“ beschäftigt sich mit den anderen Möglichkeiten, die man im Leben hätte haben können. Es geht um das Bedauern, das viele Menschen spüren, wenn sie älter werden und sich fragen, ob sie den richtigen Weg im Leben eingeschlagen haben. Für mich selbst gilt das aber so nicht. Ich habe nie damit gerechnet, in einem Haus am See zu wohnen, mit Kindern, die um mich herumrennen. Aber ich denke, dass es nur menschlich ist, wenn viele Leute in meinem Alter sich fragen, was hätte sein können.
Welche Perspektive nimmst du auf „Devourer“ ein?
Eines der übergreifenden Themen könnte sein, dass ich ein Auge auf den humanistischen Ansatz in der westlichen Welt werfe. Genau das fühlt sich besonders unbehaglich an, wenn man aus den USA kommt, wo Kapitalismus und Imperialismus schon so lange außer Kontrolle sind, wie ich zurückdenken kann. Ich konzentriere mich bei dieser Betrachtung gerne auf die westliche Welt, weil ich es unfair finde zu sagen, dass es ein menschliches Problem ist. Es gibt viele Menschen da draußen, die den Planeten nicht ausbeuten und es nicht verdienen, dass man mit dem Finger auf sie zeigt.
Das klingt jetzt sehr politisch.
Wir betrachten uns nicht als eine offen politische Band. Es ist nur natürlich, dass persönliche Probleme, die für viele Menschen relevant sind, auch in politischen Problemen verwurzelt sind. Meine Präferenz ist es, kleine Geschichten zu erzählen, die oft einen politischen Unterton haben.
Im Zuge des Albums hast du gesagt, dass du alle Kunst verschlingst, die du in die Finger bekommen kannst. Hat sich das im Laufe der Jahre noch gesteigert oder bist du wählerischer geworden?
Wahrscheinlich bin ich wählerischer geworden. Geschmäcker werden mit zunehmendem Alter raffinierter und wir bekommen ein besseres Gespür dafür, wo unsere Interessen liegen. Als ich zwanzig war, habe ich vielleicht einfach alles vom Regal genommen und ausprobiert. Aber ich denke auch, dass viele Menschen mit zunehmendem Alter abstumpfen und weniger interessiert an Kunst sind, weil sie das Gefühl haben, ihre Lieblingsfilme und -bands bereits gefunden zu haben. Ich empfinde das Gegenteil. Es gibt immer noch so viel Spannendes auf der Welt und ich bemühe mich, begeisterungsfähig zu bleiben. Man muss trainieren, sich für Neues zu begeistern, sonst greift man auf Altes zurück und wird nostalgisch.
Ist diese hohe Rate des Konsums auch ein Antrieb für dich als Künstler?
In gewisser Weise könnte es das sein. Meistens bin ich aber einfach neugierig und will neue Dinge entdecken. Wenn ich den ganzen Tag Musik höre, denke ich am Ende nicht, dass es Zeitverschwendung war, weil ich so viel Neues gelernt habe. Ich weiß nicht, wie viel davon wirkliches Lernen im wörtlichen Sinne ist und wie viel einfach nur Genießen und Nachdenken.
Ihr habt als CURSIVE eine Menge Songs veröffentlicht. Die Pausen zwischen den Alben sind mittlerweile recht lang geworden, aber ihr kommt immer wieder zusammen, um neue Songs zu schreiben. Was ist die Inspiration und Motivation, immer wieder in der gleichen Konstellation neue Musik zu machen?
Da gibt es ein paar Dinge, die mir in den Sinn kommen: Wir verstehen uns gut, haben diese Gruppe von Musikern über viele Jahre aufgebaut und mögen es, wo wir sind. Ich mag alle Bandmitglieder sehr und den Beitrag, den sie leisten. Es sind all diese sehr einfachen Freuden. Nachdem ich CURSIVE so lange gemacht habe, parallel zu THE GOOD LIFE und meinen Solosachen, habe ich aber auch erkannt, dass es viele Menschen da draußen gibt, die schätzen, wenn ich Dinge unter dem Namen CURSIVE mache, denn damit bekomme ich die meiste Aufmerksamkeit. Jeder liebt RADIOHEAD, aber sehr viel weniger Leute hören Thom Yorkes Solosachen oder THE SMILE, aber sie lieben RADIOHEAD. Darüber hinaus liebe ich aber natürlich auch den Stil und das Genre, für das CURSIVE stehen.
Du hast bereits angedeutet, dass du mit den Entscheidungen, die du im Leben getroffen hast, eigentlich recht zufrieden bist. Also blickt der Tim von heute auf den jungen Tim aus den Anfangstagen von CURSIVE wohlwollend zurück?
Wenn ich zurückblicke, bin ich beeindruckt, dass ich so viel geschafft habe, obwohl ich ständig unterwegs war und nur Mist gebaut habe. Für meine Freunde und mich war es einfach eine große, ständige Party. Ich bin froh, dass ich mich davon nicht überwältigen ließ, sondern es trotzdem geschafft habe, fast jeden Tag zu schreiben und die Dinge im Griff zu behalten. Ich denke aber auch daran, dass ich mich in jüngeren Jahren mal weniger um die Karriere gekümmert habe und nicht so viel am Laufen hatte. Trotzdem bin ich sicher, dass mein zwanzigjähriges Ich mein fünfzigjähriges Ich sieht und ziemlich begeistert ist, dass ich meine Miete zahlen kann.
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