DANZIG Teufelnocheins
Eigentlich könnte man das Ganze kurz fassen und damit argumentieren, dass Glenn Danzig ja wohl eine ganze Menge suboptimaler Platten veröffentlicht hat und damit der Zweck der Reihe – Ausreißerspotting – ein weiteres Mal verfehlt wäre. Ja, kann man durchaus, aber dann wäre diese Seite hier leer und bis hierhin lief es für den kleinen Mann aus New Jersey ja auch ganz gut. „Blackacidevil“ ist ein klassischer Gamechanger, ein Karrierekiller, es markiert den Einstieg in einen langen Weg durch die Dunkelheit und ist nach wie vor ein geradezu tragisch schlechtes Album.
Also der Reihe nach. 1987 „entdeckte“ Rick Rubin SAMHAIN bei einem Konzert für sich, sah darin die Chance für etwas Größeres, wenn man „nur klitzekleine Änderungen“ vornehmen würde, und überzeugte Glenn davon, dass es eine gute Idee wäre, so ziemlich alle außer ihm rauszuschmeißen und gleich auch noch den blöden Bandnamen über Bord zu werfen, wenn wir schon mal dabei sind. Glenn weigerte sich zumindest in einer Personalie, seinem alten Kumpel Eerie Von (Eric Stellmann), der schon zu MISFITS-Zeiten die Bandfotos geschossen hatte, hatte beim Rest aber keinerlei Bedenken. Gitarrist raus, nach zig Rehearsals John Christ rein, letzte SAMHAIN-Aufnahmen, Schlagzeuger raus, Chuck Biscuits rein, neuer Bandname, der auf den Chef lief, fertig ist die „Supergroup“ oder was auch immer Rick Rubin darin sah. Vielleicht sah er in Glenn den neuen Jim Morrison, der mit zwei sehr fähigen Musikern und einem Buddy die Bühnen der Welt erobern und nebenher jede Menge Platten verkaufen sollte.
Die Debüt-LP war ein staubtrockener Felsen, bei dem ich jahrelang mit dem Sound haderte und mir daher ein Tape fürs Auto gemacht hatte, das mittels Equalizernacharbeiten einen dreckigeren Gitarrensound bekam. Dieser Mix aus Blues, Metal-Anleihen, Hardrock, tonnenschweren Riffs, diesem extravaganten Schlagzeugspiel und dem unverkennbaren Gesang stand alleine auf weiter Flur. Bereits zur ersten LP gab es ein VHS-Homevideo, eine Seltenheit, auf dem die Band schlicht und ergreifend großartig aussah. Das war weit, weit weg von den ganzen Kaspermetallern mit frisch geföhnten Haaren, Bandanas und 200 Freundschaftsbändchen, da standen vier Kerle, drei groß, einer nicht, in der Wüste und heulten den Mond an. Die Videos liefen bei „Headbangers Ball“ auf MTV und es gab erstmals Poster in den gängigen Metal-Magazinen mit dem Mann, der alle MISFITS-Hits geschrieben hatte. Interviewversuche, ob Print oder im TV, waren nicht selten höchst unterhaltsamer Natur, wenn ein Glenn Anzalone so überhaupt gar keine Lust hatte, auf dämliche Fragen mehr als einsilbig oder gar jovial zu antworten, wie viele seiner Kollegen. Wenn der miesepetrige Glenn keinen Bock auf die Kindergartenfragen hatte, dann war der schlecht vorbereitete Interviewer schnell blank und stand da wie ein Depp, so wie es eigentlich immer sein sollte, wenn man seinen Job nicht richtig macht. Andererseits stand man sich so dem ganz, ganz großen Durchbruch auch immer ein wenig selbst im Weg, weil er das Bad-Boy-Image verinnerlicht hatte und manchmal eben seine Klappe nicht halten konnte, wo andere die Lippen zusammengepresst oder einfach alles weggelächelt hätten. Wäre Glenn Danzig Diplomat, wäre sein Land das mit den meisten erhaltenen Kriegserklärungen, quasi wie Nordkorea 5.0.
Bei der ersten Tour standen wir fassungslos im Stuttgarter LKA vor dem riesigen Büffelschädel als Drumriser, holten uns eine persönliche Verwarnung eines Bühnenbediensteten ab, nachdem wir verbotenerweise ein Foto gemacht hatten – mochte der Glenn gar nicht –, und waren nach dem Konzert einfach nur fassungslos. Die Bootlegs schossen schneller aus dem Boden, als man „138“ sagen konnte, und Anfang der Neunziger waren DANZIG der pure heiße Scheiß. Mit „Lucifuge“ gab es die perfekte LP. Hier passte alles, der Sound, der Look, das begleitende Homevideo, und vom ersten bis zum letzten Song gab es nicht einen einzigen Ausfall. Bei der Tour waren wir selbstredend wieder am Start, und wir wurden nicht enttäuscht. Großes Kino für kleine Leute in einem Laden, der seither nie wieder so voll war, weil die Feuerwehr und sämtliche Behörden ein gewichtiges Wort mitzureden hatten. Ja, ins LKA gehen theoretisch 2.500 Menschen rein, wenn man das Falt- und Stapelverfahren kennt.
„How The Gods Kill“ war dann noch einen Ticken bombastischer, nur zwei oder drei Füller, der Rest wieder ein Sack voller Hits, von denen andere Bands eine komplette Karriere lang zehren müssten. Diesmal gab es das Video in der CD-Box mit dem Giger-Relief dazu, wir waren im Farbfernsehen angekommen. Zur Tour wäre ich da gewesen, aber ich musste zum Glück arbeiten, so dass mir das Trauerspiel in der Messehalle erspart blieb. Zur Ehrenrettung: Es lag an der Halle, nicht an der Band. Zur „Danzig 4“-LP, die ebenfalls noch eine Menge Hits enthält, bröckelte es bereits bei der Band. Chuck Biscuits hatte sich unmittelbar nach den Aufnahmen in Richtung SOCIAL DISTORTION verabschiedet. Sein extraordinäres Schlagzeugspiel ist ein wesentlicher Bestandteil von DANZIG in der ersten Inkarnation und eigentlich von jeder Band, in der er die Felle malträtierte. Sein körperliches und technisch hochwertiges Spiel erkennt man mit geschlossenen Augen, weil er immer das Quäntchen mehr spielt, das eigentlich nicht nötig wäre, das aber den Unterschied macht. Einer der Drummer, denen ich einen ganzen Abend lang problemlos bei der Arbeit zusehen könnte. Die Tour wurde mit Joey Castillo von B’LAST absolviert, anschließend implodierte die Band am 05.06.1995 irgendwo in Südamerika. Rick Rubin hatte sich längst anderen Spielsachen zugewandt und das Management ermutigte Glenn, dass seine Genialität alleine sicher auch ausreichen würde.
Leider setzte Mr. Anzalone auf ein lahmes Pferd. Die einstige Band, die alles hätte reißen können, war zum Soloprojekt mutiert, und die Inspiration kam ausgerechnet von den Vorbands zur letzten Tour, KORN und MARILYN MANSON. Was mag sich Glenn gedacht haben? „Ach, MINISTRY, SKINNY PUPPY, MARILYN MANSON, was die können, kann ich schon lange!“ Eben nicht. Auf „Danzig 4“ befanden sich schon erste Songs und Videos, die Hinweise darauf gaben, was kommen sollte. Glenn behielt Joey Castillo als Angestellten, lud Jerry Cantrell von ALICE IN CHAINS für drei Songs ein, suchte sich mit Hollywood Records – Disney, ausgerechnet – ein neues Label und zimmerte einen Karrierestopper zusammen, den man nur aufnimmt, wenn man unbedingt aus einem Knebelvertrag raus will oder aber in eine Tischplatte voller Koks gefallen ist. Da hatte Def Jam Recordings ihm schon zum Abschied hinterher gewunken. Voller Tatendrang gründete er 1994 mit Verotik auch noch seinen eigenen Comicverlag und sammelte dort eine illustre Schar großartiger Zeichner um sich. Leider schrieb Glenn Danzig hier die meisten Geschichten selber, zumeist Storys, die auf einen bedruckten Bierdeckel passen. Schön anzusehen, aber man ist beim Lesen verdammt schnell durch.
„Blackacidevil“ erschien 1996, im selben Jahr wie „Antichrist Superstar“ von MARILYN MANSON, was der Band den Durchbruch verschaffte. Das ist in etwa so blöd wie am selben Tag zu sterben, an dem ein Superstar erschossen wird, niemand wird über dich reden. Andererseits enthielt diese Platte auch Kracher, während „Blackacidevil“ durch völlige Hitfreiheit glänzt. Mit nur einer Platte hatte Glenn alles ausradiert, was DANZIG einzigartig und groß gemacht hatte. Das „Produced by Glenn Danzig“ half auch nicht unbedingt. Ich für meinen Teil würde mit meiner Band lieber einen Gehörlosen an den Endmix lassen als Glenn auch nur in die Nähe eines Mischpults. Wobei es zwei Phasen gibt, die „Klingt noch nicht ganz scheiße, weil die Aufnahmeleiter und Techniker nicht stillsitzen konnten“- und schließlich die finale Beethoven-Phase.
Man fragt sich auch nach den vierten Durchquälen – ja, habe ich gemacht –, wie manche Songs wohl in klassischer Besetzung geklungen hätten, ohne den bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Gesang und den Effekt-Overkill? Ich bin mir sicher, dass „Come to silver“ und ein, zwei andere Songs durchaus Potenzial haben, aber in dieser Konstellation war niemand mehr da, der es musikalisch kongenial umsetzen konnte, um aus der Summe der Teile mehr zu machen. Hier stimmt absolut gar nichts, selbst das Artwork ist beschissen, wenn man mal vom Martin Emond-Cover des Rereleases absieht, das in der zwei Jahre später nachgeschobenen „Limited Edition“ wenigstens mal nach was aussieht. Zur Nullpromotion kam das konsequente Dropping durch die Disney-Firma, die sich das alles ganz anders vorgestellt hatte. „Huch, das ist ja gar nicht familientauglich!“ Für Glenn begann damit mit wechselnden Gefährten die lange Reise durch die Wüste der Plattenfirmen. Auch der 2000er-Remix mit den drei Bonussongs, von denen zwei in klassischer Besetzung sicher funktioniert hätten, kann absolut nichts. Es ist und bleibt eine furchtbar misslungene LP.
Why? Ich habe alles von dem kleinen Giftzwerg, in jeder Konstellation, und leide mit.
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