WORST OF THE WORST

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(gute Platten kann jeder) - Vol. 15+16

MUDER CITY DEVILS
The white ghost ist ein Schatten seiner selbst


Der ursprüngliche Weg der MURDER CITY DEVILS, von den ersten Fingerübungen bis zur Perfektion und anschließenden Implosion, umfasste gerade mal fünf kurze Jahre. Das selbstbetitelte Erstwerk war nur die Vorbereitung auf „Empty Bottles Broken Hearts“ und „In Name And Blood“, zwei Scheiben mit enormer Hitdichte, die man einfach nicht mehr toppen konnte. Zwei Gitarren, die um das beste Riff wetteiferten, ein begnadeter Coady Willis am Schlagzeug, die göttliche Orgel von Leslie Hardy und natürlich der unverwechselbare Nichtgesang von Spencer Moody. Wer die Band auf der damalige Tour erleben durfte, wird davon noch heute mit leuchtenden Augen berichten können. Selbst als der Gitarrist mit Gips auf der Bühne saß und das Set nur gerade mal etwas mehr als eine halbe Stunde dauerte, war das immer noch grandios. Den Begleitweg säumen sieben 7“s und die 10“ „Thelema“ als Ausklang, bei der man bereits erahnen konnte, dass eine volle LP wohl nicht mehr drin war. Die „R.I.P.“-Live-LP des Abschiedskonzertes war der Schwanengesang, bei dem man es hätte belassen sollen. Dass hier die Luft raus war, war unüberhörbar, denn die Live-LP war ein One-Take, inklusive Soundproblemen am Anfang und einer fehlenden Leslie Hardy, die zu diesem Zeitpunkt längst aus der Band ausgestiegen war. Bis dahin hatte man einen Sack voller Hits für die halbe Ewigkeit in der Tasche, da kann man es dann auch gut sein lassen, denn das Feuer war nur noch kalte Asche.

Nachdem sämtliche Ableger bis auf BIG BUSINESS nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Tofu waren und die ab 2006 wieder einsetzenden Reunion-Shows gut liefen, erschien 2012 mit „Every Day I Rise“ noch mal eine vernachlässigenswerte 7“, bei der die Band nur noch ein Schatten ihrer selbst vor 2001 war. Ganz offensichtlich fehlte nicht nur eine Gitarre, sondern auch das gute Händchen für griffige Songs. Die 7“ hätte man durchaus verschmerzen können, wäre niemand auf die dumme Idee gekommen, 2014 auch noch „The White Ghost Has Blood On His Hands Again“ hinterherzuschieben, die alles falsch machte, was sie in den ersten fünf Jahren der MURDER CITY DEVILS richtig gemacht hatten. Vielleicht hat ihnen jemand eingeflüstert, dass sie unbedingt eine neue Platte brauchen würden, um Konzerte zu spielen. Eine Platte mit Stücken, die ohnehin keiner hören will, weil man mit den besten Songs der ersten drei LPs und Singles locker ein eineinhalbstündiges Set bestreiten kann, plus Zugaben. Das Schlagzeug sticht nach wie vor heraus, aber der dünne Sound mit nur einer Gitarre, dazu eine Orgel, die irgendwo im hintersten Eck steht, die 50-Dollar-Produktion und das Fehlen von wirklich großen Ideen präsentiert eine Band, die 13 Jahre nach ihrem eigentlichen Verfallsdatum verbissen und verkrampft der eigenen Form hinterherläuft. Gute Ansätze sind zwar vorhanden, werden aber mehrfach mit groben Stiefeln getreten. War Biss in den ersten Jahren vor allem technisches Können, wird es handwerklich unbeholfen, sobald man „harte Töne“ anschlagen will. „Pale disguise“ klingt in seinen schlimmsten Momenten so schräg und leierig, als würde die Orgel den Song bewusst boykottieren. „Old flame“, „Don’t worry“ und „Hey playboy“ hören sich nach uninspiriertem, ziellosem Jammen an, in der Hoffnung auf eine zündende Idee, die dann doch nicht mehr rechtzeitig kommt, weil der Song leider schon aus ist. Die Band ist verkrampft, uninspiriert und nur ein Schatten ihrer selbst. Wer nach einem Hit auf „The White Ghost Has Blood On His Hands Again“ suchen sollte, wird auch nach mehrmaligem Durchhören der gerade mal acht Songs (okay, ihr macht nach so langer Zeit eine neue Platte und habt wie viel Material?) nicht fündig, denn es gibt kein einziges Stück, das auch nur in die Nähe von „gut“ kommt. Im Kontext des Restwerkes ist die LP noch schlimmer als die posthume Veröffentlichung eines allerersten Demos, denn das kann man immerhin noch damit entschuldigen, dass man noch nicht so richtig spielen konnte. Tourt mit dem alten Scheiß, macht das, solange ihr Spaß habt, aber lasst die Finger bitte von neuem Material.

Eine der wenigen Scheiben, die ich ob ihrer Grauenhaftigkeit gerade eben noch so abstoßen konnte, bevor sich das Elend herumgesprochen hatte. Der Käufer wird mich auf ewig verfluchen, aber besser er plagt sich damit ab als ich.


THE SISTERS OF MERCY
Gnade!


Den frühen Zugang zu den Schwestern verdanke ich niemand anderem als Adam Riese von ÄNI(X)VÄX, mit dem ich damals Tapes tauschte. Bei den meisten Tauschpartnern beschränkte es sich auf Punk und Hardcore, bei Adam, der ja bekanntermaßen in einer Krachkapelle sang, gab es auch mal Wave und Sachen, die den Horizont in ganz andere Richtungen erweiterten. Viele lokale Bands aus Münster waren dabei, Psychobilly und eben Schwarzkittelmusik. So kam ich durch ihn auf Bands wie SKELETAL FAMILY, SUNNY DOMESTOZS, DIE WALTONS, NEW DAWN FADES und eben THE SISTERS OF MERCY, die schon 1983 in Münster spielten, was man auf dem „The Lights Shine Clear Through The Sodium Haze“-Bootleg unschwer nachhören kann. Hier kannte die Schwestern zu der Zeit zumindest niemand aus meinem Freundeskreis, was sich durch die Tapes aus Münster schlagartig änderte. Ab diesem Zeitpunkt inhalierten wir die SISTERS OF MERCY, schließlich war das ein Sound, mit dem man auch mal das andere Geschlecht beeindrucken konnte.

Von meiner Klassenfahrt 1984, die nach London ging, schleppte ich alles an Singles und Maxis nach Hause, was ich von den SISTERS OF MERCY in die Finger bekommen konnte, in den Jahren danach auch die Bootlegs der ersten Releases, für die ich doch etwas zu spät kam. Dieser monotone Sound, die sonore Stimme von Andrew Eldritch, diese Mischung aus völlig entrückten Coverversionen und Eigenmaterial und die Tatsache, dass man dazu heimlich tanzen konnte, waren in meinem damals kleinen musikalischen Universum einzigartig. Selbst der permanente Austausch von Bandmitgliedern, die der Mann mit der Sonnenbrille ablegte wie Einwegsocken, taten dem Vergnügen in den ersten drei Jahren keinerlei Abbruch.

Ich denke, wir können uns gefahrlos darauf einigen, dass der Schlagzeuger das einzige konstante Bandmitglied ohne jegliche Verschleißerscheinungen war, egal in welcher Besetzung die Sisters auch aufgetreten sind. Plattentechnisch war der Doktor Avalanche stets eine Bank, auch wenn die Qualität der Tonträger bei der restlichen Band mit jedem weiteren Release kontinuierlich abnahm. „The First And Last And Always“ stellte 1985 eine Zäsur nach all den Maxis und Singles dar, zeigte aber, dass die Band auch auf LP-Länge durchaus funktionierte. Auf „Floodland“ schlichen sich dann schon ein paar Füller ein, dafür sah die Band mit Patricia Morrison (GUN CLUB, THE BAGS, LEGAL WEAPON) so gut aus wie nie, was man auf den zum Album produzierten Videoclips in der MTV-Heavy-Rotation regelmäßig serviert bekam. Böse Zungen werden behaupten, dass „Vision Thing“ die schlimmste LP der Sisters mit dem größten Magensäurefaktor ist, die sie sich je anhören mussten. Noch böser gespaltene Zungen werden anmerken, dass sie niemand dazu gezwungen hat. Tatsächlich ist die LP, die mit Tony James (GENERATION X, SIGUE SIGUE SPUTNIK) eingespielt wurde, ein ziemliches Armutszeugnis, mit dem sich das angespannte Verhältnis zu Eldritchs Plattenfirma nicht gerade verbesserte.

Leider entspricht es insofern nicht ganz der Wahrheit, als dass es gar nicht die schlechteste Platte der SISTERS OF MERCY ist, denn es gibt da noch etwas, das so ekelerregend und grauenhaft ist, dass selbst eine gierige Plattenfirma mit Knebelvertrag für zwei weitere Alben freiwillig von künftigen Releases Abstand nahm. Andrew musste vertraglich liefern und gab das „SSV“-Album ab. Wer die „SSV“-Aufnahmen (SSV=Screw Shareholder Value) kennt, weiß, wovon die Rede ist. Kommerziell absolut unvermarktbares Material, ganz in der Tradition der großen Mittelfinger-Alben, die schon andere Künstler wie Lou Reed, Prince oder Neil Young abgeliefert haben, damit die Plattenfirma sie vorzeitig aus ihrem Vertrag entlässt. Ein 74 Minuten langes Elektromartyrium, garantiert ohne einen einzigen echten Song, den es zum Glück lediglich als CD-Bootleg gibt. Als reguläres Album hingegen bleibt „Vision Thing“ furchtbare Grütze, die man immerhin noch anhören kann, selbst wenn sich das Gähnen mehrmals einstellt. Bei der „SSV“ hingegen grenzt der Hörgenuss hingegen schon an Selbstverstümmelung. Die Weigerung von Eldritch, seither neues Material zu veröffentlichen, kann man nur honorieren. Wenn jemand erkannt hat, dass das Pulver verschossen ist, darf er sich auf seinen Lorbeeren auch durchaus mal ausruhen.

Was heute als SISTERS OF MERCY sporadisch tourt, ist die Altersversorgung von Eldritch und es kann mit der Wahrscheinlichkeit von exakt 12,37% ein toller Abend werden. Beide Konzerte, die ich gesehen oder vielmehr wegen des Nebels nicht gesehen habe, waren furchtbar. Das letzte Mal war 1993, zusammen mit den RAMONES in der Böblinger Stadthalle, ziemlich genau zehn Jahre, nachdem mich die Band für sich begeistern konnte.

Warum steht die hier? Als Mahnmal, wie bösartig man als Musiker gegenüber seiner fürsorglichen Plattenfirma sein kann. Jetzt aber raus hier ... Macht mal jemand das Licht im Saal an und legt ... ähm ... gute Musik auf?