WORST OF THE WORST

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Gute Platten kann jeder – Vol. 6

EDITORS – Nach dem Demo ging’s bergab ...

Als 2005 mit „The Back Room“ das EDITORS-Debüt erschien, war ich hin und weg. Endlich einmal wieder frischer Wind im gitarrenbehafteten Dunkelgenre, bei dem nicht nur permanent auf die Schuhspitzen gestarrt wurde. Dann diese Stimme von Tom Smith, der sich zwar nur von intravenös gespritzter Gemüsebrühe ernährt, aber ein Timbre hat, das Bäume versetzen kann. Neben der LP gab es einen ganzen Sack voller 7“s, Maxi-CDs mit B-Seiten, für die andere Bands locker einen Auftragskiller bestellt hätten, um wenigstens an einen Song dieser Güte zu kommen. Die EDITORS verschleuderten dieses Material auf zahllosen Tonträgern geradezu, sie hatten’s ja.


2002 als SNOWFIELD gegründet, gab es hier einiges Material, das offenbar dringend rausmusste, damit der Kessel nicht platzte. Bei der CD gab es eine Edition mit einem Gig aus dem Paradiso in Amsterdam, also waren auch noch die richtigen Läden im Blick. Eine Band, die sofort meine war und mich für einige Zeit mit dem Zusammentragen des bisher erschienenen Materials beschäftigte. Jeder einzelne Song der LP ein Hit für die Ewigkeit, großartige Texte, alles passte, vom Cover bis zu den Tonträgern mit Autogrammen, die man über die Band-Website ohne Aufpreis für damals noch überschaubares Porto bestellen konnte.

Zwei großartige Konzerte später (darunter eines in der Schorndorfer Manufaktur) dann „An End Has A Start“. Eine Scheibe, die nach den ersten Takten klickt. Goldenes Handwerk mit einem begnadeten Schlagzeuger, einem soliden Bass, der einzigartigen Stimme, viel glücklichem Händchen und einem Gitarristen, der in seinem Autistenkämmerchen einen Geniestreich nach dem anderen erfand. Was die Gitarre bei „Weight of the world“ zelebriert, kann man nur hinbekommen, wenn man sehr, sehr viel Zeit mit Üben auf seinem Bett verbracht und nicht mit Mädchen rumgemacht hat. Alles greift perfekt ineinander, und manche Momente, so dick hier auch aufgetragen wird, verursachen noch heute ein Kribbeln im Nacken, manche sogar feuchte Augen, denn es geht um Abschied, ums Sterben, verpackt in großartigen Songs, die auch nach 500 Mal Hören immer noch nichts von ihrem Glanz eingebüßt oder sich abgenutzt haben. An anderen Bands habe ich mich über die Jahre wirklich sattgehört, die ersten beiden EDITORS-Platten und das Rundumwerk funktionieren nach wie vor tadellos. Für ein Konzert mussten wir jetzt schon nach München fahren.

2009 dann „In This Light And On This Evening“ ... Nach den ersten drei Tönen wusstest du, dass hier etwas nicht stimmt. Das Cover hätte schon als Warnung dienen müssen. Pathossynthesizer, Bombast, verfremdete Vocals, wo waren die Gitarren? Ah, da hinten ... Hinfort mit dir, Gelassenheit. Lass uns fett auftragen, 281 Effekte darüberlegen, alles bis zum Anschlag pushen, um so zu kaschieren, dass wir eigentlich keine echten Ideen haben. Den Platinstatus des Vorgängers, der bereits am Veröffentlichungstag erreicht war, und mehr als eine halbe Million weltweit verkaufter Exemplare verkraften eben nicht alle Bands gleich gut. „Bricks and mortar“ hat wenigstens noch eine gute Melodie, ist aber vollgestopft mit überflüssigem, albernem Schnickschnack, wo vorher noch Luft war, so dass die Songs atmen konnten. Am Ende biegen wir in etwas ab, das merkwürdig schräg klingt, wie eine dieser Glückwunschpostkarten, bei denen die Knopfbatterie fiepend ihren Geist aufgibt. „Papillon“ ist der einzige Song der Platte, der es bis in die Setliste von 2019 geschafft hat, und der einzige, der – obwohl er nach dem dritten Mal schon nervt – selbst in seiner Überlänge noch so etwas wie Hitcharakter besitzt. Der Sound: Discostampf, der nur durch die Melodie und Tom Smiths Stimme gerettet wird. Gitarre? Fehlanzeige. Bis heute kann ich mich immer noch über die Mönchschöre beölen, „Oooaaahaaaaaaa“, die jemand untergemogelt hat. Mit etwas mehr Geld hätte man hier locker auch noch ein paar Streicher und einen Vorschulchor unterbringen können, war aber wohl nicht im Etat enthalten.

Anschließend wird es stockfinster und es bleibt bis zum Ende auch so. Belanglose Stücke, dicht unter der Wasseroberfläche, schlimme „Hahaaa“-Chöre, ein Schlagzeug, das durchgehend wie programmiert klingt, obwohl hinter dem Instrument ein echter Könner seines Fachs sitzt. Dazu die nahezu völlige Abwesenheit von dem, was auf den ersten beiden Alben zu einem tragenden Element wurde: Gitarre! Wenn sie doch mal da ist, dann so verfremdet, dass man die Band nur noch am Gesang erkennt. Der Sound wurde durchgehend bis zum Anschlag komprimiert und aufgeblasen. „The big exit“: Grauenhaft. „The boxer“: Autsch ... Wer das nackte Elend in Kurzform will, hört sich „Eat raw meat = Blood drool“ an. Dieser Song enthält absolut alles, was diese Platte so abgrundtief schlimm macht, und wird doch noch durch das an triefendem Pathos kaum zu überbietende „Walk the fleet road“ getoppt. Okay, die EDITORS hatten schon immer Pathos in ihren Stücken, aber noch nie so viel, dass es aus dem belegten Brötchen links und rechts fett auf den Boden triefte. Man kann sich Brillantine in die Haare kämmen, man kann den Kopf aber auch mit ranzigem Salatöl einschmieren, das funktioniert fast genauso gut, stinkt aber und lockt Fliegen an. Wer das „Glück“ hatte, sich die Version mit den fünf Bonusstücken zuzulegen, der bekam noch etwas mehr Gelegenheit, leise in sein Kissen zu weinen. Für „This house is full of noise“ möchte man die Band heute noch ohrfeigen oder mit einem Berufsverbot drohen.
Eine Band, die sich nach nur zwei Platten für einen schlimmen Stilwechsel entschieden hat. Lass uns einfach mal was Dummes tun! Was die EDITORS bis dahin einzigartig machte, war bis auf die Stimme komplett weg. Ruhige Passagen, die in Harmonie mit lauten als Ganzes funktionierten, Klavier, ein Gitarrist, der sich einen abschrubbt, was das Zeug hält, aber auch komplett zurücknehmen kann, fantastische Melodien, getragene Momente voller Größe – all das gibt es hier nicht. Hier ist man in erster Linie aufdringlich laut, wo es nur geht.

Dann kam das Konzert im LKA (die Karten hatten wir vor Erscheinen der LP gekauft). Es war die Kündigung für den Gitarristen Chris Urbanowicz, der das halbe Set über damit beschäftigt war, sich zwischen ein paar Kurzeinsätzen und dem Drücken von drei Tasten mit Hochprozentigem abzufüllen, weil ihm stinklangweilig war, schließlich war er an den neuen Songs kaum beteiligt. Am Ende war sein trauriger Blick auch noch glasig, denn ihm war offenbar klar, dass die „freundschaftliche Trennung“ kurz bevorstand. Wenn dann keine drei Monate später gleich zwei neue Gitarristen präsentiert werden, kann man sich nachträglich durchaus ein wenig verarscht vorkommen.

Im weiteren Verlauf haben die EDITORS zwar nie wieder einen solchen Vollmist wie „In This Light ...“ abgeliefert, haben aber auch nie wieder die Größe und Hitdichte der ersten beiden LPs hinbekommen, schon gar nicht diesen einzigartigen Gitarrensound, der den Unterschied ausmachte. Manchmal fällt die Summe der einzelnen Teile eben doch größer aus, und wenn zwei neue Gitarristen nach weniger klingen als der eine davor, dann ist die Frage schnell beantwortet, wer sein Handwerk besser beherrscht. Die folgenden Platten wurden allesamt mit unenthusiastischem Wohlwollen aufgenommen. Das letzte Konzert ging „in Ordnung“, aber die Luft ist raus, was man schon daran sehen konnte, dass das in einer wesentlich größeren Halle angesetzte Konzert Wochen vorher in eine Location mit halber Kapazität verlegt wurde, die auch nicht proppenvoll war.

Warum? Weil ich die Hoffnung nicht aufgebe, manchmal bin ich stur. Aber ich stelle fest, dass ich diese Scheibe auch nach über zehn Jahren Abstinenz noch mindestens genauso sehr hasse, wie bei den ersten verzweifelten Versuchen, mit ihr doch noch Freundschaft zu schließen.

METALLICA – Außer Konkurrenz

Ich konnte mich einfach nicht entscheiden, weil aus meiner Sicht die Entengrütze, die Zahl der wirklich, wirklich guten Veröffentlichungen („Kill ’Em All“, „Ride The Lightning“, „Master Of Puppets“, „Garage Inc.“, „Creeping Death“, „Jump In The Fire“) von teilweise wirklich schlimmen Platten derart übertroffen wird, dass ich mich nicht auf den einen besonders verhassten Liebling festlegen konnte.

Es soll ja Menschen geben, die „Load“ und „ReLoad“ für gelungene Scheiben halten, Exoten, die beim Schlagzeugsound von „St. Anger“ keinen Brechdurchfall bekommen, Menschen, die zu „S&M“ I und II Beischlaf zelebrieren, und ganz Verwegene, die sich „Lulu“ mehr als zweimal freiwillig angehört haben.

Nur interessieren mich diese ebenso wenig wie „Kenner“, bei denen die Zeitrechnung mit dem „Schwarzen Album“ beginnt und auch schon wieder endet. Letzten Endes hätte die bloße Erwähnung von METALLICA nur zu sinnlosen Endlos-Diskussionen und letzten Endes zu Streit geführt, weil jede:r eine gefestigte Meinung dazu hat, was das persönlich schlimmste Album ist, deswegen lassen wir das. Ich glaube übrigens fest daran, dass es die nächste Platte sein wird.