WORST OF THE WORST

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Gute Platten kann jeder – Vol. 12

THE STOOGES

Wenn die Band, die fast im Alleingang das Ende der Hippie-Ära besiegelte, sich 33 Jahre später (also 2007) noch mal zusammentut, um eine neue Studioplatte einzuspielen, dann sollte man es eigentlich vorher wissen. Hätte sie hingegen eine neue Live-Platte aufgenommen, die vielleicht mal nicht nach Bootleg klingt, hätte man es ebenfalls ahnen können.


Aber nein, nein und nochmals nein. „The Weirdness“, eine neue Scheibe von Pop und den beiden Asheton-Brüdern, die muss man einfach haben, weil ... ja, eben, weil das Hirn aussetzt, sonst wegen nix. Dabei birgt so eine Platte, auch ohne die Altersmilde der Band, ein ähnliches Risiko wie bei den NEW YORK DOLLS. Ihr eigentliches Metier war die Bühne, nicht das Studio, wobei die STOOGES auf ihren drei regulären Studio-LPs durchaus lieferten und deutlich erkennen ließen, was sie so besonders machte. Die Radikalität kam allerdings erst bei den Live-Auftritten richtig zur Geltung, wenn die Band die Schranken zwischen heiliger Bühne und dem Publikum durchbrach, Iggy Pop kreischte, in der Menge badete, fauchte und Dinge tat, die seinen Körper bis heute zeichnen. Wenn man zwischen die Lederritzen von Iggy schauen könnte, ließen sich die Narben erblicken, die er offenbar mit Stolz trägt.

Wer wissen will, wie sich Terror auf einer Bühne 1970 angehört haben muss, der gebe sich „Have Some Fun: Live At Ugano’s“ der STOOGES, das zwar nicht durch brillanten Sound glänzt, aber mit dem Saxophon und einer Band am Rande des Wahnsinns ganz schön die Nerven strapaziert. Das fand man damals entweder auf Drogen richtig geil, kam auf einen ganz schlimmen Trip oder tat einfach so, als hätte man es verstanden, um das Geschlechtspendant abzuschleppen, das ebenfalls vorgab, es wäre hip und hätte jeden einzelnen verdammten Ton in Gänze erfasst und verarbeitet.

Man muss also schon sehr naiv oder ein glatter Vollidiot sein, wenn man von über sechzigjährigen Herren, die ihre dreimal 15 Minuten of fame bereits hatten, auch nur etwas annähernd Geniales, Radikales und Bewegendes erwartet, das sie nicht bereits in den Siebzigern vollbracht hatten, als sie noch voll im Saft und vor allem auf Drogen standen. Andererseits soll es ja auch Optimisten geben, die in der Fußgängerzone mit den Zeugen Jehovas oder mit schilderschwingenden Quarkdenkern diskutieren, in der Annahme, dass sie hier jemanden zurück auf den Pfad der Vernunft führen könnten.

Wer in den Siebzigern als Protopunk-Band im wahrsten Sinne des Wortes die Bühnen unsicher machte, hat, wenn sie es denn richtig gemacht haben, gar nicht mehr die körperlichen Reserven, um den Scheiß noch mal mit derselben Intensität durchzuziehen. Man stelle sich Iggy Pop heute vor, wie er leguanartig jede einzelne Scherbe auf der Bühne in seinen Hautfalten absorbiert, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen. Der Mann trinkt heute nur noch Tee und schwimmt täglich zwei bis drei Stunden, um sich fit zu halten. Der wirft nix mehr ein und prügelt sich anschließend mit dem Publikum, der schont sich. Würden die STOOGES also etwas abliefern, das auch nur halb so hell glänzen könnte wie eine „Fun House“ oder eine „Raw Power“? Nope!

Generationen von Punkbands haben sich aus dem Nachlass der STOOGES bedient, sich inspirieren lassen und in Sachen Härte so ziemlich alles ausgelotet, was mangels Technik in den Siebzigern noch nicht denkbar war. Insofern machen die STOOGES einiges richtig, indem sie erst gar nicht versuchen, richtig hart oder gar härter als damals zu klingen. Das wiederum ist auch schon die Schattenseite, denn wer will schon brave, saturierte STOOGES hören, die nun ihr musikalisches Können unter Beweis stellen, weil sie nicht mehr die zornigen jungen Menschen von damals sind, bei denen dringend etwas rausmusste. Hey, wir sind jetzt Musiker. Saturiertheit und Altersmilde stehen einer Band wie den STOOGES wiederum nicht gut zu Gesicht, also warum überhaupt, wenn nicht für viel Geld und gute Worte? Hatten sie noch etwas anderes zu sagen?

Nach den ersten Stücken stellen wir fest: Iggy muss inzwischen auf seine Stimmbänder achten; die Asheton-Brüder haben offenbar viel Zeit damit verbracht, ein wenig zu üben. „The Weirdness“ hat ein paar gute Ansätze, zündet aber zu keiner Sekunde und ist oft genug einfach viel zu lang. „The end of christianity“ ist hier ein Paradebeispiel. Du denkst, dass bei diesem Song längst alles gesagt ist, aber es kommt noch eine Kurve, noch eine und dann nervt es schließlich einfach nur noch. Bezeichnend ist das BEATLES-Cover „I wanna be your man“, das nicht frei von unfreiwilliger Komik ist, weil es eines der härteren Stücke dieser Doppel-LP ist, die nur drei bespielte Seiten hat.

An dieser Stelle sollten wir kurz innehalten und uns vor Steve Albini verneigen, der seinen Job als Aufnahmetechniker hervorragend gemacht hat, denn es klingt so, wie die Band eben klingt. Verneigen müssen wir uns ein zweites Mal vor ihm, weil er professioneller Tontechniker ist und sich bei dieser Session garantiert die halbe Zunge abgebissen haben muss, um nicht zu platzen. Hätte er etwas gesagt („Jungs, sechs Minuten, ist das euer Ernst?“ oder „Laaaaangweilig!“), wären die Aufnahmen garantiert niemals fertig geworden, zumindest nicht in seinem Studio.

„I’m fried“ ist ein Song, der vieles richtig macht, bis dann das multiple Saxophon zum Aufbruch läutet. „O solo mio“ kann mit dem Gitarrenriff überzeugen und funktioniert als Song auch ganz gut, nur die Länge, die ist auch hier das große Manko. „She took my money“ ist ein grauenhaft schräges Stück, das nirgendwohin führt außer kurz aufs Klo oder zum Kühlschrank, damit es schneller vorbei ist.

Gut, es ist nicht alles scheiße, „Mexican guy“ hat was, mit der leichten Slidegitarre, nur braucht man dafür eben auch keine Band wie die STOOGES. Es kann gut sein, dass ich die Paradedisziplin der Band (langsame gefällige Stücke mit Saxophon – ich war immer bei fiesen Stücken mit ätzendem Saxophon) verdrängt habe, aber das ist dann ausnahmsweise auch mal ein Song, der wieder viel zu lang ist, immerhin kann man sich dazu gelassen einen reinlöten.

Unter dem Strich viel Standard, der damals vielleicht gut gewesen wäre, heute aber bieder und brav klingt, weil jede Schülerkapelle heute roher und brachialer lärmt. Als musikalische Weiterentwicklung geht es aber auch nicht durch, weil Iggy in den ganzen Jahren dazwischen weit besseres Material abgeliefert hat. Der Titeltrack (wieder eine Botschaft?) ist bezeichnend dafür, er klingt wie etwas, das Iggy Pop bereits Jahre zuvor im Duett mit Debbie Harry schon ähnlich, dort aber vor allem härter und mit wesentlich mehr Spielfreude gemacht hat. Bevor du suchen musst: „Well, did you evah!“

Alles ganz nett, aber eben nur „nett“! File under Seniorenwerk, das keiner wirklich braucht, außer vielleicht die Asheton-Brothers, weil es mit der Rente allmählich knapp wurde. Alte Bands sollen sich ja wieder zusammentun dürfen, ich bin da gar nicht so, aber häufig wäre es schön, wenn sie in der Garage ihres Vorortdomizils bleiben würden, um dort auf Zimmerlautstärke lustig vor sich hin zu musizieren. Wer muss oder will, kann auch ruhig auf Tour gehen, ein paar Blöde finden sich ja immer, die ihre musikalische Entwicklung irgendwann mal eingestellt haben und nur noch Radio oder die guten alten Sachen hören.

Und wer jetzt meint, dass die „Ready To Die“-LP danach ja noch schlimmer wäre, nun da steht zwar IGGY AND THE STOOGES drauf, allerdings wäre „Iggy und der letzte Stooge“ richtiger, weil Ron Asheton hier leider schon in ein Erdmöbel umgezogen war. Also maximal eine durchschnittliche Iggy Pop-Platte, auf der ein STOOGES-Mitglied trommelt.

Weil es sich anbietet, wollte ich an dieser Stelle eigentlich eine Band wie ABBA lobend erwähnen, die Riesensummen ausgeschlagen haben, die ihnen geboten wurden, um vor Leuten die Seniorenkasper zu geben. Wer nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, der weiß, wie so etwas endet, nämlich würdelos. Anschließend ist es zu spät, der bis dahin makellose Ruf ist ruiniert. Avatare hingegen halten ewig und haben eine Bombenkondition, ohne zu altern. Allerdings haben ABBA mit „Voyage“ exakt dasselbe überflüssige Rentenwerk verbrochen wie die STOOGES, nur eben wesentlich erfolgreicher.

Man sollte einfach wissen, wann Schluss ist. Warum? Siehe oben, oder anders ausgedrückt: reine Dummheit. So etwas weiß man wirklich vorher. Auch hier wird es sicher einen geben, der das Ding abfeiert. Dann die Gegenfrage: Hast du die ersten STOOGES-Platten je gehört und verstanden? Ich meine wirklich verstanden?