Man sollte immer aufhören, wenn es am schlimmsten ist, um dann noch eine überflüssige Zugabe zu geben. Folgerichtig endet diese Reihe dann beim nächsten Mal mit der Folge 20 und einer Menge Klein- und Stückwerk am Ende, denn wir sammeln die Reste auf, die keine komplette Seite für sich ergeben, es sei denn, man würde das Ganze unnötig strecken. Da ich aber weder Zeilenhonorar bekomme noch davon leben muss, fassen wir uns kurz, danach wenden wir uns neuen furchtbaren Dingen zu.
JANE’S ADDICTION
Great nothing
Blöd, wenn man auf dem Höhepunkt seiner kreativen Schaffensphase so sehr auf dem Drachen ritt, dass man nur noch die Wahl zwischen dem goldenen Schuss und einem harten Cut hatte, um sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Die ungekrönten Könige eines Sounds, bei dem andere später die Ernte eingefahren haben, trennten sich nach nur zwei regulären Studioalben (die erste LP auf Triple X war eine Live-Platte) und einer Tonne an Live-Bootlegs, die die Band dort einfingen, wo sie am besten war, nämlich auf der Bühne. Nach einer einmaligen Reunion (1997) dann 2001 zehn Jahre später dort wieder anzuknüpfen, wo der Irrsinn aufgehört hatte, ganz ohne Drogen und interne Spannungen, die die Platten zu dem gemacht hatten, was sie waren, kann eigentlich nie funktionieren, egal, wie gut die Musiker auch sind. Das selbstzerstörerische Element weicht Virtuosität. Was bisher aus dem Handgelenk geschüttelt wurde, wirkt auf einmal ambitioniert. Grenzwertige Trips werden durch gemeinsames Yoga und Teeaufbrühen ersetzt. Überraschungsmomente klingen nun kalkuliert, aber Hauptsache (ganz ohne Ironie), man ist gesund. Das erste Reunion-Album „Stray“ ist noch kein echter Stinker, aber dann kam leider noch „The Great Escape Artist“ hinterher. Ein Schatten dessen, was JANE’S ADDICTION einmal ausmachte. Dass die Gitarren von Dave Navarro hier manchmal ein wenig wie die großen Gesten von U2 klingen, reiner Zufall. Irgendwie ist fast alles da, irgendwie aber auch nicht. Perry singt wie früher, die Gitarre schlägt große Bögen, die Rhythmussektion läuft wie geschmiert, aber alles hat man schon gehört, vor allem frischer, besser und schärfer. Immerhin veröffentlichten sie 2009 eine Raritätensammlung mit alten Demos, Live-Tracks und Zeuchs, die ohne eine Reunion wohl nie zustande gekommen wäre. „A Cabinet Of Curiosities“ ist eine der schönsten CD-Boxen, die ich besitze und wärmstens empfohlen, gibt es doch endlich die rohen Demos mal in exzellentem Sound. Wie sehr die Band ihre beiden Reunion-Scheiben letztendlich selber schätzt, kann man an den Songs ablesen, die von den beiden Platten immerhin live gespielt werden. Und so tingeln sie mit einem Best-Of der drei tadellosen Scheiben bis ans Ende ihrer Tage durch die Lande.
THE ROLLING STONES
Got Live If You Want It!
Egal, was man von der bekanntesten „Blues-Coverband“ der Welt halten mag (Paul McCartney), eine offizielle Platte ragt in ihrer Grottigkeit aus dem regulären Katalog heraus. Wer auch immer bei London Records damals durchsetzte, dass dieses Live-Dokument ins Presswerk geschickt wurde, kam entweder frisch aus dem Bootleg-Gewerbe und war Schlimmeres gewöhnt (passt schon) oder man wollte der Band noch eins mitgeben, weil sie das Label bereits in Richtung Decca verlassen hatte. Der Sound von „Got Live If You Want It!“ ist unterirdisch, die Verspieler zahlreich, und der Einzige, der klar und deutlich zu verstehen ist, ist Mick Jagger, während der Rest der Band entweder partiell gar nicht vorhanden ist oder beim Festival drei Bühnen weiter spielt. Das asynchron jubelnde Publikum ist ein nachträglich zugemischter Dauerloop, was man besonders bei „I’ve been loving you too long“ in voller Pracht genießen kann. Wer so etwas veröffentlicht, zugänglich macht und auf Vinyl presst, gehört mit einer Freiheitsstrafe nicht unter lebenslänglich bestraft. Eine der wenigen Live-Platten, bei denen ein Lied ausgeblendet wird und man jeden, der auch nur irgendetwas damit zu tun hatte, mit Gewichten an den Füßen in einem See versenken möchte.
DAVID BOWIE
In Bertolt Brecht’s „Baal“
Ich habe tatsächlich mehr Bowie im Schrank als gesund wäre, darunter auch einige Live-Platten, die eigentlich niemand braucht, die aber wenigstens genießbar sind. Mein Schulfreund war eingefleischter Bowie-Fan, so dass ich mich der Faszination kaum entziehen konnte, zumal er die Angewohnheit hatte, sich bei jeder Gelegenheit (also zu jeder Party) angemessen zu schminken. Mit einem solchen Paradiesvogel aufzulaufen, hob das eigene Ansehen automatisch, zumal sich nicht alle an den Halbirren herantrauten, bei dem Freund aber weniger Berührungsängste hatten. Bowie war im direkten Vergleich zu dem, was die meisten anderen hörten, die reinste Wohltat. Ich muss zugeben, dass meine David Robert Jones-Sammlung bis vor zehn Jahren doch etliche Lücken aufwies, die ich erst nach und nach bei den sich bietenden Gelegenheiten schließen konnte. Aus dem Frühwerk ragt schließlich ein Fehlkauf ganz besonders hervor, nämlich die Mini-LP „David Bowie In Bertolt Brecht’s ‚Baal‘“. Wann immer du mit deiner Band an einem Punkt angelangt bist, an dem das kreative Loch so groß ist, dass dir keine eigenen Texte oder Songs mehr einfallen, dann mach eine Pause oder lass den ganzen Scheiß einfach sein. Schick deine Band nach Hause, nimm Urlaub, irgendwas, aber spiele keine Weihnachtsplatte, kein Coveralbum oder eine Vertonung fremder Texte ein. Was im ersten Moment wie eine verdammt gute Idee und wie ein Ausweg aus der Sackgasse klingen mag, ist mit dem Abstand von ein paar Jahren genau das Material, das es nie und nimmer auf eine normale Setlist von dir schaffen wird. Manchmal willst du auch einfach nicht mehr drüber reden, was genau genommen auch das Zweitbeste ist, was du machen kannst, außer du hättest es gleich gelassen, was natürlich die beste Option gewesen wäre. 1982, als „Baal“ erschien, lagen die Thin-White-Duke-Jahre so weit zurück, dass Bowie schon wieder einigermaßen gesund aussah. „Scary Monsters“ war eben erschienen, da hatte jemand den hervorragenden Einfall, dass das Einspielen von fünf Stücken für eine Fernsehproduktion (mit Bowie als Baal) sicher eine gute Idee wäre, um sich von RCA gebührend zu verabschieden, und der nächste Schritt auf der Leiter nach noch weiter oben. Ja, da ist die Stimme von David Bowie, voluminös, markant und einzigartig wie immer, aber textlich und musikalisch ist das Ganze fernab seiner Möglichkeiten. So wie das eben klingt, wenn man Musik für ein Singspiel oder Musical macht, wenn man eigentlich mehr kann. Als ob ein Spitzenkonditor die Backwaren bei Lidl in den Ofen schiebt, weil ihm alles andere zu stressig erscheint. Bänkelsang, ein bisschen Musical, heiteres Singspiel mit einfacher Orchesterinstrumentierung, viel Pomp an der passenden Stelle, fertig ist die simple Abendunterhaltung. Aus guten Gründen finden sich diese Aufnahmen zumeist auf Raritäten-Bootlegs. Praktisch, wenn das Vinyl aus der 1-Euro-Kiste gerade mal wieder alle ist. Man muss in der Tat nicht alles von Bowie haben, auch nicht als Komplettist. Zum Glück sind es nur fünf Stücke, die bis heute auf eine reguläre Wiederveröffentlichung warten. Von mir aus kann das gerne noch eine Weile dauern.
TRIO
Whats The Password? !!! Ja, „Whats“ !!!!!!
Ja, ja, jede:r feiert die tadellose erste LP, kultet das Live-Tape ab und blendet bei der „Bye Bye“ das Füllmaterial zwischen der Resteverwertung aus. Habe ich eigentlich irgendwann einmal erwähnt, dass ich TRIO 1982 live gesehen habe? Nicht?! Von da stammen meine ersten Live-Bilder, die mit einer Kodak Instamatic mit Würfelblitz gemacht wurden. 1985 waren TRIO durch, die Band hatte sich bei den Touren zur ersten LP ausgebrannt, das perfekt einstudierte Live-Programm war nicht zu toppen, ebensowenig wie der Erfolg der ersten LP. Wer auf „Drei gegen Drei“ nach dem Minimalismus der ersten Platte oder gar nach Peter Behrens am Schlagzeug sucht, sollte viel Zeit mitbringen. Um es abzukürzen: Den Part von Behrens übernahm ein Drumcomputer, er selber ist nur auf dem Coverbildern zu sehen. Hits? Fehlanzeige. Die ganze Platte ist ein einziges überproduziertes Nichts, bei dem viele große Namen zu finden sind, ohne dass dabei etwas wirklich Zählbares herauskommt, was man sich ohne etwas Hochprozentiges im Schädel freiwillig ein zweites Mal anhören möchte. Stephan Remmler wandelt hier mental längst auf Solopfaden und überlässt dem TRIO lediglich die Reste. Der Rework von „Energie“ bringt es dabei perfekt auf den Punkt: So schlimm und grausam konnten die Achtziger sein, wenn man Schulterpolster für die Krönung der Modeevolution hielt und voll auf den Zeitgeist setzte, der sich zum Glück nicht etablierte. Das Schlimmste an der Sache ist aber, dass die Platte als Soundtrack zum Film „Drei gegen Drei“ fungierte. Ein Film, den viele heute gerne wieder aus ihrem Gedächtnis löschen würden, um die knapp neunzig Minuten wertvolle Lebenszeit gegen ein sinnvolles Mittagsschläfchen auf dem Sofa einzutauschen. Eine Scheibe, die nicht mal diejenigen freiwillig auflegen, die sich die zwei Herzen auf die Hoden oder eine Arschbacke haben tätowieren lassen, und garantiertes Gift für jede TRIO-Coverband.
Warum die alle hier stehen? Nächste Frage!
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