WORST OF THE WORST

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(gute Platten kann jeder) - Pt. 14

NEW YORK DOLLS – Lass gut sein, Gevatter

„Am 21. Juli 2006 werden die legendären NEW YORK DOLLS, eine Band, die so ziemlich alles von Punk bis Hair Metal beeinflusst hat, ihr neues sehnsüchtig erwartetes Album ‚One Day It Will Please Us Even To Remember This‘ veröffentlichen.“ Sehnsüchtig? So stand es damals zumindest im Pressetext, den man wie die Zettel mit den ganzen Nebenwirkungen besser niemals lesen sollte.


Jetzt mal im Ernst, der Einzige, der hier Sehnsucht hatte, war doch Steven Patrick Morrissey als ehemaliger Fanclubpräsident. Derselbe Mozzer, den heute manch einer nicht mal mehr im Publikum als stinknormalen Besucher haben möchte, geschweige denn mit Sehnsucht in den Augen.
Wie gut die Idee ist, eine Band 32 Jahre nach ihrem letzten regulären und relevanten Album wieder zusammenzutrommeln? 32 Jahre, selbst wenn die damals gerade ihren Führerschein gemacht haben, sind die inzwischen alle über fünfzig oder wie im Falle der NEW YORK DOLLS bei einer Ausfallrate von drei Fünfteln der ursprünglichen Band inzwischen tot. Ich bin mir sicher, dass zumindest Johnny Thunders sein Veto eingelegt hätte, aber er hatte wie Jerry Nolan und Arthur Kane leider nur noch passives, eingeschränktes Mitspracherecht.

Es lässt ja auch niemand einen alternden Harrison Ford mit achtzig Jahren noch Actionszenen als Indiana Jones drehen. Ach, doch? Ernsthaft? Na gut, mein Fehler, dann klappt das mit einer Band zig Jahre über dem Verfallsdatum bestimmt auch. Etwas Frischfleisch dazu, vielleicht die eigenen Enkel, ab ins Studio und dann auf die Bühne. Die vier „Neulinge“ sind dann aber auch nicht mehr alle so jung. Na ja, dann fällt der Unterschied bei den Gesichtsfalten schon nicht so ins Gewicht.
Immerhin ganze zwei Originalmitglieder, das ist schon mehr als bei manch anderer Kapelle, die bis heute mit nur einer guten Platte im Gepäck tourt, und von denen haben die NEW YORK DOLLS ja immerhin fast zwei (drei, wenn man die „Red Patent Leather“ als posthume Live-LP rotzfrech dazuzählt). Puristen werden darauf bestehen, dass nur die erste LP eine wegweisende Scheibe mit einem Sack voller Hits ist, die bis heute zu Tode gecovert werden. Kann man so sehen, auf der anderen Seite ist die erste LP eine kaum zu toppende Bürde, nach der man sich, wenn wir mal kurz ehrlich sind, eigentlich nur blamieren kann.

Dass es die Band in den frühen Siebzigern mit Plateauschuhen, schlimmen Frisuren, kiloweise Make-up und einem Outfit, das selbst gestandene Transen zum Kopfschütteln gebracht hätte, schwer haben würde mit dem weltweiten Erfolg, erscheint heute nur als konsequent und logisch. Dass es KISS trotzdem geschafft haben, liegt bestimmt an der qualitativ besseren Musik, dem richtigen Marketing und vielleicht ein kleines bisschen an der Pyrotechnik.
Mit der Vorankündigung zur Reunion-Platte war ich jedenfalls zurückhaltend gespannt, wie bei einem Spiel des ehemaligen Kreisligajugendmeisters von 1965, der sich zu einem Revivalkick gegen die aktuelle A-Jugend auf dem örtlichen Bolzplatz in seine alten, inzwischen viel zu engen Trikots zwängen will, um es den Rotzlümmeln von heute noch einmal zu zeigen. Untrainiert, versteht sich, schließlich ist Fußball ja wie Häkeln, das verlernt man nicht.

Halten wir fest, die Zutaten sind dieselben wie damals. Honky-Tonk-Klavier, die Background-Frauenchöre der zweiten LP, Mundharmonika, Sylvain Sylvain an der Gitarre, David Johansen am Mikro, schlimme Frisuren, alles da, bis auf das Make-up, die Klamotten und die Plateauschuhe, bei denen sich die beiden betagteren Herren durchaus die Hüfte brechen könnten, wenn das mal schief läuft. Gut, David Johansen klingt immer noch ein klein wenig wie Ernie aus der „Sesamstraße“, aber der Alkohol, der über die Jahre an den Stimmbändern vorbeigeflossen ist, blieb nicht ohne Wirkung, schlimm ist das aber nicht.
Erste Eindrücke: Wo früher Aggression herrschte, regieren heute die Harmonien, man spielt das eine oder andere eben ein wenig schneller, weil man ein respektabler Musiker geworden ist, schließlich hatte man ja ein paar Jahre zum Üben.
Immerhin gibt es ein paar schneller gespielte Kleinhits mit „Gimme luv“, „Punishing world“, „Gotta get away from Tommy“. Hätte eine ordentliche EP werden können, wenn da nicht die Kehrseite der Medaille mit „Maimed happiness“ und dem ganz schlimmen Bar-Song wäre. Wenn wir kurz drüber nachdenken und die rosarote Brille absetzen, kommen wir zwangsläufig zum Schluss, dass es auch keiner der so genannten „besseren Songs“ es auf die erste LP geschafft hätte. Vielleicht wären sie auf die zweite LP gekommen, dann wären sie heute allerdings auch längst vergessen. Stimmt nicht? Na gut, dann nenn mir doch einfach spontan mal drei Songs der zweiten LP. Nein, nicht nachschauen, auswendig! Aha, dachte ich mir es doch.
Hand in den Schritt, Hose hochziehen, Butter bei die Fische. Ehrlich, das schlimme Material überwiegt bei weitem. Beschwingte Schlendersongs ohne Hitcharakter, keinen davon würde man ohne nachzusehen, nur über das Radio gehört, den NEW YORK DOLLS zuordnen.

Würde auf der Teilnehmerliste nicht stehen, dass sich auch „Gäste“ ins Studio eingezeckt haben, um den Schampus wegzusaufen, würde man auch nie darauf kommen, dass hier Michael Stipe von R.E.M., Iggy Pop und ein paar andere ein paar Takte zum Besten gegeben haben, was unter dem Strich ohnehin kaum ins Gewicht fällt. Qualitativ haben solche Gastauftritte auch nur selten etwas zur musikalischen Aufwertung beigetragen, schließlich ist es egal, ob ein Refrain von Iggy Pop oder von Hans Zimmer mitgeträllert wird, so lange sie den Song nicht geschrieben haben.
Es gibt sehr viele kreuzbrave Standards auf der LP mit dem doppeldeutigen Titel, der bei näherem Hinsehen nicht so ganz von sich überzeugt klingt, eher so als wäre man froh, dass man immerhin noch ein letztes Mal den Arsch hochbekommen hat, bevor es ab in den Seniorenstift geht.

Hier und da gibt es immerhin ein paar gekonnte Kniffe, die letzten Endes aber nicht darüber hinwegtäuschen können, was diese Platte ist: ein Alterswerk mit teils schwerfälligem Altherrenrock, der alles von der Gefährlichkeit eingebüßt hat, wofür die Band einmal stand. Brauchen wir Alterswerke? Vielleicht braucht der eine oder andere Musiker das für die Rente oder für sein Ego. Musikalisch innovativ oder wegweisend sind diese aber so gut wie nie, denn wer sein Pulver nicht schon mit Anfang zwanzig verschossen hat, der hat seine Jugend tatsächlich sinnlos vergeudet. Nicht verschwendet, nein, lediglich verplempert!

Immerhin bin ich mir sicher, dass Morrissey wochenlang mit einer Tennissocke in der Hosentasche durch die Gegend gerannt ist, andererseits hat er musikalisch seit zig Jahren selber schon nichts mehr gerissen und freut sich alleine über die Tatsache, dass es immer noch eine Plattenfirma hinter dem Horizont für ihn gibt, die sich seiner erbarmt.
Manchmal ist es besser, wenn man nein sagen kann, nämlich dann, wenn man nicht mehr zur Speerspitze gehört, die ihrer Zeit voraus ist, sondern vielmehr zur Schwanzfeder geworden ist, die nur deswegen noch nicht ausgefallen ist, weil das Gefieder ganz schön verklebt ist. Auf eine Art ist es ja wirklich schön, dass die alten Herren noch einmal Spaß miteinander hatten, nur hätte es dann auch gereicht, wenn sie sich ein paar Tage zum gemeinsamen Musizieren in einer alten Garage eingemietet hätten, um entweder nichts aufzunehmen oder das Ganze anschließend klammheimlich verschwinden zu lassen.

Das Allerschlimmste an der Sache ist, dass dieser Platte noch zwei weitere folgten, so sehr hatten sie Spaß am gemeinsamen Musizieren im betreuten Wohnen. Danke, Steven. Danke vielmals. Wenn man schon mal untot ist, kann man glatt auch noch mehrmals beißen, selbst wenn die Dritten nicht mehr ganz so gut in Schuss sind. Why? Manchmal bekommt man solche Dinger als Promo, die nehmen als Pappschuber-CD dann nicht wirklich Platz weg und sind „not for sale“ oder, wie in diesem Falle anders formuliert, „nahezu unverkäuflich“.