AC/DC gehören fest zu meiner frühesten musikalischen Selbstfindung, wie bei anderen etwas später die Feststellung, dass da unten zwischen den Beinen etwas ist, das man nicht nur zum Pinkeln benutzen kann. In musikalischer Hinsicht war ich frühpubertär, denn während andere 1976 angeblich auf SEX PISTOLS-Konzerten herumlungerten, saß ich vor dem Radio und hörte das erste Mal AC/DC. Daneben verliebte ich mich auch in Debbie Harry von BLONDIE, aber dazu kommen wir später. In diesem Jahr wurde ich ganze zehn, andere spielten lieber mit ihrer Carrera-Bahn oder mussten die Nachmittage durchlernen, weil sie in den Augen ihrer Eltern nicht ganz so helle waren.
Ich lernte jede AC/DC-Platte soweit auswendig, dass ich damals mit der Wette „Ich erkenne jeden AC/DC-Song nach spätestens drei Takten“ jederzeit bei „Wetten, dass ...?“ hätte auftreten können. Zu blöd, dass die erste Sendung erst 1981 ausgestrahlt wurde und ich nicht nur zur falschen Zeit am falschen Platz war, in meinem Alter hätte ich bei der Live-Sendung auch mittendrin immer noch ins Bett gemusst.
Jede neue AC/DC-Platte war ein Fest, welches auch die australischen Originalpressungen einschloss, weil sich die Music-Box, mein Ludwigsburger Lieblingsplattenladen, auch um diese Pressungen bemühte, durch den ein da schon elfjähriger Rotzlümmel das erste Mal mit Blues in Berührung kam, der nicht aus der Plattensammlung seiner Eltern stammte. Auf „High Voltage“ covern sie „Baby please don’t go“ von Big Bill Broonzy, ein Song, der mir im Verlauf meiner Pubertät noch gute Dienste erweisen sollte und auf „T.N.T.“ „School days“ von Chuck Berry.
1980 durchlitt ich, wie viele andere Jugendliche auch, ein ähnliches Trauma wie das, das Mädchen bei der Trennung von TAKE THAT durchmachen mussten, nur dass bei ihnen keiner gestorben war, aber ich gab Brian Johnson bis 1981 eine Chance. Meine musikalischen Interessen hatten sich bereits mehr und mehr den verwahrlosteren Bands zugewandt, dennoch war ich immer noch für eine Prügelei zu haben, wenn es darum ging, ob AC/DC oder SAXON die bessere Band waren. Die richtige Antwort hätte rückblickend natürlich MOTÖRHEAD lauten müssen, aber wir waren halt dumm.
Im Schaffen von AC/DC, das ich zwischen „Powerage“ und „For Those About To Rock“ an den Release-Tagen sklavisch verfolgte, gibt es nach hinten raus mehrere Ausfälle und potenzielle Kandidaten. Bei der Veröffentlichung von „For Those ...“ regnete es übrigens, und es war selbstverständlich ein Rock’n’Roll-Freitag. Warum ich das noch weiß? Weil das LP-Cover immer noch leicht wellig ist und Spuren von meinem Fahrradgepäckträger aufweist. Hätte ich nur zwei Wochen gewartet, dann hätte ich dieselbe LP bereits für 7,90 DM kaufen können. Die in meiner Erinnerung am schnellsten verramschte LP, die sich jeder Laden in zu großen Stückzahlen auf Lager gelegt hatte, weil sich „Back In Black“ wie geschnitten Brot verkauft hatte. Ab hier war ich irgendwie beleidigt und gab mein Geld lieber für komische Bands mit wilden Frisuren aus.
Bleibt die Frage, warum so viele Flitzpiepen heute AC/DC abkulten, darunter Typen, denen ich nicht für Geld die Hand schütteln würde? Dabei ist die Antwort so naheliegend. Gut 50% der frühen Texte bewegen sich im Unterleibsbereich, sind einfach zu verstehen und sprechen unterbewusst all die verklemmten Typen an, die selbst zum Onanieren noch das Licht ausknipsen, damit sie sich beim versehentlichen Anblick nicht allzu sehr vor sich selbst ekeln: Typen wie Markus Söder, die gerne Bad Boys wären, aber nicht dürfen, weil der Job zu gut bezahlt ist, oder Leute, die eine scheckheftgepflegte Harley fahren, weil sie es sich leisten können, die aber bis zur „Back In Black“ absolut nicht spüren, wo die musikalischen Wurzeln liegen, und dass das sehr viel Blues ist, der einfach nur ein wenig härter gespielt wurde. So, einmal tief durchatmen.
Knapp vorbei: „Flick Off The Switch“. Bei dem Cover habe ich mich, ganz ohne Witz, jahrelang gefragt, warum der Angus sich so strecken muss, um den viel zu großen Pokal auf diesem Wandregal abzustellen. Ja, der Angus ist klein, trotzdem. Ich saß in den Neunzigern aber auch stundenlang vor diesen 3D-Bildern und habe die Einhörner nicht gesehen, die es da angeblich gab, kann mir dafür aber allen anderen überflüssigen Scheiß merken, wie die Augenfarbe von Olive Oyl.
Auch knapp vorbei: „If You Want Blood“, die ich mir 1978 bei Lerche in Stuttgart gekauft hatte. Ich weiß es, weil ich auf der Heimfahrt in der S-Bahn das Cover auswendig gelernt habe, um daheim angekommen völlig sprachlos vor meiner Anlage zu stehen, weil Bon Scott klang, als hätte er während des Sets mehrmals Helium inhaliert. Bis heute bin ich der festen Überzeugung, dass irgendein Depp beim Mastering gepennt haben muss und das Ganze einfach zu schnell abgespielt hat. Am Anfang alles noch gut. Publikum, fette Gitarre, Sound vielleicht ein wenig zu mumpfig ... aber dann steht da eine Maus mit zwei großen schwarzen Ohren am Mikrofon, die erst noch in den Stimmbruch kommen muss. Es gibt eine ganze Reihe exzellenter Live-Bootlegs, die tausendmal besser klingen als „If You Want Blood“ mit Bon im Disneyland. Dabei stimmt sonst so gut wie alles. Top-Auswahl an Killersongs, nur alles ein klein wenig zu schnell. Zum Glück hat mein Plattenspieler heute Pitch-Control und ich kann das Tempo ein wenig zurückschrauben. Mittlerweile habe ich mit der Scheibe meinen Frieden geschlossen.
Nun aber. Der eigentliche Stinker heißt „Fly On The Wall“ (endlich!), eine Ansammlung belangloser Songs ohne Seele, auf der AC/DC so klingen wie jede zweite ADAC-Kirmes-Coverband mit dicken Bäuchen und Bandshirts von H&M, die im Trockner eingegangen sind. Die Scheibe, zu der sich Guttenberg und Söder im Modellbahnkeller die Wurst pellen, weil sie beinharte Rocker sind.
Beim Erscheinen von „Fly On The Wall“ hatte ich mich längst aus veröffentlichungsnaher Anschaffung ausgeklinkt. Ohne nachzusehen: Benenne auf Anhieb auch nur einen Song der LP. Aha! Siehste!? „Shake your foundations“ wäre die einzig richtige Antwort gewesen, obwohl die Single-Auskopplungen „Danger“ (pfrt) und „Sink the pink“ (pffrzt) waren. Letztere immerhin mit „Shake your foundations“ als B-Seite. „Flick Off The Switch“ mit ihrer furztrockenen Produktion hatte immerhin noch drei Singles, die „Fly ...“ hat lediglich einen Song, der es dauerhaft in die Live-Setliste geschafft haben dürfte, was viel über den einstigen Hitmotor AC/DC im Jahr 1985 sagen dürfte. Da war es, das Loch, das nach Bon Scotts Tod bei anderen Bands längst eingetreten wäre. Die ersten beiden LPs in den Jahren AC/DC n. BS proklamierten noch trotzig „wir können es auch ohne“. Bestand „Flick ...“ schon zur Hälfte aus Füllern, war die Luft danach einfach raus. Dass man Phil Rudd durch einen anderen Schlagzeuger ausgetauscht hatte, fiel mir lange nicht auf, erst das Bild mit Kippe auf der Rückseite machte mich stutzig.
Die Diskussion um Brian Johnson ist an dieser Stelle müßig. Diskutieren Sie mit, wenn Sie die Fähigkeit besitzen, einen Bon Scott wiederzubeleben, alles andere ist nicht zielführend. Du bekommst den besten AC/DC-Sänger, der verfügbar ist. Punkt! Nein, Axl Rose zählt in diesem Kontext nicht, du Depp. Einer der besten Witze überhaupt, wie ich finde. Man kauft sich eine Karte für ein AC/DC-Stadionkonzert und bekommt Axl Rose. Wer da nicht lachen kann, hatte wahrscheinlich eine Karte, die schlagartig unverkäuflich wurde oder einen beschissenen Geschmack, weil er „zwei Legenden“ zum überteuerten Preis von einer bekam und sich stattdessen freute.
Wer diese Platte in seiner AC/DC-Top-10-Albenliste führt, lässt sich auch beim Abkupfern fremder Dissertationen erwischen oder hatte in seinem Kinderzimmer ein Franz Josef Strauß-Plakat hängen, um sich daran zu erinnern, auf welche Seite der Bettdecke die Hände gehören. Im Prinzip ist auf dieser LP nahezu alles mies, vom Coverartwork (fly on the holzwall) über die dumpfe Produktion bis hin zu den Songs aus der Restekiste, die man bei den letzten beiden Platten noch nicht einmal für B-Seiten genommen hätte. Immerhin wurde es danach nicht mehr schlechter. Die meisten von uns werden dann doch irgendwann erwachsen, und was beim Fahrradreifen flicken, Mofa frisieren und Schweißen der ersten Rostlaube noch wunderbar funktioniert hat, wird irgendwann einmal zum Soundtrack, den man nur noch aus dem Regal zieht, wenn man mit den alten Kumpels in den viel zu engen Lederjacken einmal im Jahr um die Häuser zieht, sprich: sich im Schrebergarten auf den Designerklappstühlen einen reinlötet, um über „alte Zeiten“ zu philosophieren, von denen man insgeheim froh ist, dass sie längst vorbei sind.
Warum sie hier steht? Geschenkte Plattensammlung eines Kollegen. Gaul!
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