Neil Young – Der verrückte Pferdeflüsterer
Ein Kandidat für gleich mehrere Drecksperlen, und einer der ganz wenigen Künstler, die ich einerseits respektiere, um andererseits gleichzeitig schreiend weglaufen zu wollen. Kaum ein anderer Musiker hat derart oft seine Fans mit Richtungswechseln und schlimmen Platten vor den Kopf gestoßen wie Neil Young, der auch dann Musik veröffentlichte, wenn er eigentlich gar nichts zu sagen hatte, aber irgendwie doch musste. Andere nehmen wenigstens Drogen oder pimpern irgendeine Berühmtheit, um ihrem Leben wieder so etwas wie einen Sinn mittels Schlagzeile zu geben. Neil Young dagegen spielte inmitten dieser inneren Leere einfach ein paar Platten ein.
Grundsätzlich habe ich immer dann ein Problem, wenn der Herr „nölt“ (also „singt“), was er sehr häufig und leidenschaftlich gerne tut, statt sich auf das Gitarrenspiel zu konzentrieren und andere ans Mikro zu lassen, die nur Kraft ihrer Stimme keinen Autolack abbeizen können.
In der noch zu etablierenden Kategorie „Remixte und alternativ remasterte Klassiker“, die sich dadurch auszeichnen, dass ein störendes Element entfernt und durch ein anderes oder eben gar nicht ersetzt wurde, wären Neil Young-Platten – „Jetzt ohne nervigen Gesang!“ – ein Verkaufsschlager. Ebenfalls ganz vorne dabei: Bob Dylan ohne Mundharmonika oder BON JOVI ohne Richie Sambora, also frei von Gitarrensoli in wirklich jedem Song. Denkbar wären zig Metal-Platten, aus denen alle unnötigen Gniedelsoli entfernt wurden, um so die Songs auf das Wesentliche zu reduzieren, was aus manchen Scheiben hörbare Mini-LPs machen würde. Ein gutes Beispiel, wie das Ganze sich anhört, wenn man so etwas ernsthaft betreibt, ist die „Cut The Crap Rebootet“ von MOHAWK REVENGE, auf der ein Tüftler und Musiker alle schlimmen Elemente, die THE CLASH auf der ursprünglichen LP (siehe Teil 4 dieser Reihe) von Bernie Rhodes zugefügt wurden, wieder entfernt hat. Da das Ganze dann nur noch die Gesangsspuren enthielt, wurde anschließend alles neu von ihm eingespielt, so wie es nach den ersten Demoaufnahmen hätte klingen sollen. Jetzt ist es eine Top-LP.
Doch zurück zum grantelnden Neil. Will man bei Young zielsicher in die Gülle greifen, empfehle ich eine Scheibe aus der Phase, in der er bei Geffen Records unter Vertrag stand. Nach meiner bescheidenen Meinung – und nur die zählt in diesem Moment, weil ich tippe und du nicht – liegt hier die Chance auf einen „Treffer“ bei mindestens 80%. Weil ich mich nicht so ganz entscheiden konnte, bekommt der Zausel gleich ein Doppelfeature. Zuerst möchte ich daran erinnern, dass der Herr, der in den letzten Jahren eine klare Kante gegen Trump und Streamingdienste fuhr, mit CRAZY HORSE fantastische Alben hingelegt hat, und die CROSBY, STILLS, NASH & YOUNG-Sachen, bei denen vornehmlich die anderen den Gesang übernahmen, ebenfalls hervorragende Perlen zu bieten haben, auf die sich so mancher Karohemdenträger aus Seattle nur zu gerne berufen hat.
„Trans“ (LP, Geffen, 1982)
Ein Gesamtpaket aus schlimmstem Artwork, Computerlayout, KRAFTWERK für Arme und, was ich ganz besonders hasse, Vocoderexperimente. Okay, er nölt hier nicht, aber die seichten New-Wave-Songs, die mit Perwoll bei 60 °C gewaschen wurden, bringen selbst in einem steckengebliebenen Fahrstuhl noch jede:n zum Gähnen. Dass der Mensch bei den Aufnahmen angeblich wieder einmal keinerlei kommerzielle Interessen verfolgte, kann man so oder so interpretieren. Wer keine Ideen für gute Songs hat oder sich in einer Krise befindet, weil das Kind krank ist, sollte sich doch lieber seiner Familie widmen und alle anderen Termine absagen. Noch so ein Stinker auf Augenhöhe, der bei dieser Gelegenheit zu erwähnen wäre: Nick Cave und seine „Ghosteen“-LP, die auf Albumlänge dasselbe Songschema ganze elfmal wiederholt. Eine wunderbare Scheibe, wenn man Einschlafprobleme hat, aber keinen Bock auf Mathe und Schäfchenzählen. Dummerweise schläft mir davon wahlweise immer erst ein Bein oder das linke Ohr ein, dann kribbelt es und ich bin wieder hellwach.
Wüsste man nicht, dass bei „Trans“ Neil Young am Werk war, könnte man auch eine italienische New-Wave-Kombo dahinter vermuten, die an ihrem Korg mal eben nach der beiliegenden Gebrauchsanweisung ein wenig rumgeschraubt und dabei ganz nebenher eine Platte aufgenommen hat, weil zufällig das Band lief. Dazu dieser verfremdete Gesang, der schon damals (1982) altbacken klang. Ein paar Stücke zeigen kleine Gitarrenwerke, die an den „alten“ Young erinnern, sind dann aber ebenfalls so weichgespült, dass es unter dem Strich nahtlos im Rest untergeht. In jeder aufrichtigen Fanhitliste garantiert auf einem der drei hinteren Plätze zu finden.
„Everybody’s Rockin’“ (LP, Geffen, 1983)
Ganz knapp hätte es auch „Old Ways“ werden können, die Country-Scheibe, bei der man sich schon beim ersten Song mitten in einem alten „Winnetou“-Streifen mit Lex Barker am Bass befindet. Eine Platte, die auch ziemlich schlimm ist, aber nicht ganz so tragisch wie sein Rockabilly-Desaster, etwas, das er definitiv nicht kann. Hüftsteife Songs, die sich anhören, als hätte man einem mit Gicht geplagten Großstädter einen Stock in den Arsch gerammt, ihm einen viel zu engen Anzug verpasst und dann mit vorgehaltener Pistole gezwungen, um sein Leben einen Sound zu spielen, der ihm ebenso fremd ist wie mir das Verspeisen von fermentierten Leguaneiern.
Im Prinzip bekommt man mit dem Tonträger genau das, was uns das beknackte Cover mit dem vielen Rosa schon eindeutig sagen wollte: Tu’s nicht! Alleine die Zimmerecke macht mich bei längerem Hinsehen schon völlig fertig. WER fotografiert so etwas? Wer denkt sich so ein Coverartwork aus und warum? Na gut, immer noch vergleichsweise harmloser Augenkrebs, wenn man die eigentliche Platte ohne Drogen oder harten Alkohol ertragen muss.
Beim erneuten Anhören fällt mir auf, wie schamlos sich Neil Young hier bei alten Recken, Blues-Standards und bekannten Hits bedient, um sie in seinen sehr mittelmäßigen Songs zu assimilieren. Als ob man einem inselbegabten Fußballer eine Geige in die Hand gedrückt hätte. Immerhin, das Nölen hält sich in Grenzen, die Qualität der Stücke ebenfalls, denn die sind nahezu durchgehend unterirdisch, sofern er sich nicht mit platt geliehenen Standards gerade noch so ins hintere Mittelmaß rettet.
Irgendwo zwischen Verkehrsunfall, „Europa-Interpreten spielen bekannte Songs“ und Fremdschämen, dazwischen dann ein Song wie das verlorene „Wonderin’“, der tragischerweise nicht ganz so schlimm ist, im direkten Vergleich dafür das Gesamtelend nur noch schlimmer macht. Wahrscheinlich ein Ausrutscher, der auf eine ganz andere LP hätte kommen sollen, dort aber nicht passte und liegengeblieben ist, um nun hier das fahle Licht der Welt zu erblicken.
Wer weiß, was Neil Young in diesen schweren Jahren zwischen 1982 und 1985 durchmachen musste, welche Drogen er genommen hat und warum er nach den erwähnten Scheiben überhaupt in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde? Wenn es nach mir ginge, würde ich den Antragstellern wochenlang die schlimmsten Verbrechen ihres Vorschlages vorspielen, bis sie grün anlaufen, um sie anschließend zu fragen, ob sie sich das auch wirklich gut überlegt haben.
Die beiden erwähnten Scheiben klingen mehr nach einer Parodie der enthaltenen Musikstile, statt nach ernsthaften Versuchen, künstlerisch etwas hinzulegen, das über eine pflichtgemäße Erfüllung des Plattenvertrags hinausging, aus dem man gerne raus wollte. Wenn es dazu nur Singleauskopplungen gibt, die nicht einmal echte B-Seiten enthalten, weiß man, dass das Songpolster bulimisch war. Bei guten Platten gibt es immer Überschuss, der herausgesiebt wurde, aber wenigstens als B-Seite einer 7“ taugt und etwas vom Glanz des kreativen Flows in sich trägt. Kackplatten mit Singles haben B-Seiten, die schon auf der LP nur als Füller aufgenommen wurden, weil die Plattenfirma eine LP wollte und keine EP mit zwei guten Songs. Knödel-Neil und seine musikalischen Ausflüge: schwierig. Neil mit CRAZY HORSE oder CS&N hingegen kann man durchaus hören.
Warum ich diese (und andere) Scheiben von Neil Young besitze? Ein Herr mittleren Alters, also Ü50, veräußerte vor ein paar Jahren seine Plattensammlung auf dem Asperger Flohmarkt, drei Umzugskisten voll, 1,- Euro je Platte. Die Plattenhändlergeier kreisten hinter, über und neben mir, keine Zeit zum Nachdenken, nur zwei Hände und gerade mal ein Hirn. Die richtige Frage wäre natürlich gewesen: Was soll das alles komplett kosten? Aber gut, ich war im Stress, wollte Neil Young noch mal eine Chance geben und erwarb, neben ein paar Klassikern, eben auch das Geffen-Intermezzo (minus die letzte gute „Life“-LP), ein Kunststück, das ich unlängst vor drei Jahren mit einem Stapel Zappa/MOTHERS OF INVENTION-Platten auf dem Cannstatter Hofflohmarkt bravourös wiederholt habe. Da hätte ich mir fast einen Bruch geschleppt, nur um anschließend zu Hause festzustellen, dass die Hälfte der Tonträger durchaus auch in der Sonne hätte dahinschmelzen können.
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