THE DAMNED - Music For Unpleasure
Zum Glück hatte ich diesen Teil hier nicht zur letzten Ausgabe parat. Das hätte ja was gegeben, Coverstory, großes Interview und dann so was. Ein Stinker in der Diskografie, mit der man die Band sicher auch heute noch verärgern könnte, wenn man ihnen diese LP von 1977 nur ordentlich unter die Nase reiben würde, als Fan versteht sich. Es gibt sie, die Aussetzer in der Vita einer Band – sonst wäre diese Reihe ja auch haltlos – und derer auch wahrhaft tragische, so wie diese LP.
Der normale Abstieg einer Band, die nicht viel zu sagen hat, beginnt in der Regel unmittelbar nach der ersten LP. Manche behaupten ja unbeirrbar, dass es nach dem Demo bergab ging, was in etwa der normalen Qualitätskurve des musikalischen Schaffens einer mit viel Elan und großen Ideen gestarteten Band entspricht, die voll im Saft steht, tagtäglich probt, manchmal sogar zweimal, und einen Vorrat an Songmaterial anhäuft, von dem die besten Stücke schließlich auf der ersten LP landen – sofern sie so lange durchhalten. Die „nicht ganz so guten Stücke“ aus der ersten Schaffensphase erscheinen, zusammen mit ein paar neueren, halbgaren Songs auf der zweiten Platte, und – wir ahnen es – bei der dritten LP quengelt bereits die Plattenfirma. Dann werden auch die Überreste und halbfertigen Skizzen verbraten, hastig noch etwas auf der Studiotoilette geschrieben, damit die Platte voll wird, fertig. Dieser Leistungsabfall, der eigentlich nichts anders besagt, als dass sich die Band nach nur einer LP ruhig hätte auflösen können, denn mehr war einfach nicht drin, betrifft erschreckend viele Bands, die nach der vierten oder fünften Platte endlich ein Einsehen haben, um sich wichtigeren Dingen, beispielsweise einem richtigen Job zu widmen, aber darum geht es hier diesmal nicht.
Bei THE DAMNED ist der Verlauf komplett untypisch, zumal sie sich mit einigen On-Off-Phasen ja bis heute erstaunlich lang und für meine Begriffe sogar ganz gut gehalten haben. Hier ist der Stinker das Zweitwerk, das zwischen zwei absoluten Hit-Scheiben eingeschoben wurde. Eine LP, für die man heute immer noch gerne sein gutverzinstes Geld von damals zurückhaben möchte, sofern man die Platte nicht schon damals auf einem Flohmarkt oder in einem Secondhand-Laden für Münzgeld eingetauscht hat, wie ich das damals als zorniger, junger Mensch getan habe. Ja, ich war seinerzeit schnell beleidigt und bin es bei dieser Platte in der Tat noch bis heute, denn „Music For Pleasure“ ist keinesfalls ein Totalaufall, aber eben eine schrecklich tragische Platte, bei der jeder Ton wehtut, einfach weil er so schrecklich scheiße klingt.
Aber der Reihe nach: THE DAMNED hatten 1977 bereits die erste Punk-Single überhaupt im Kasten, daneben mit „Damned Damned Damned“ eine LP, die vor Hits nur so strotzte. Manche atmen da erst einmal kurz durch, statt sich mit nicht gar so viel Hitmaterial, einem Schlagzeuger, der abwanderungswillig nach einem neuen Club sucht, und einem neuen zweiten Gitarristen gleich wieder in ein Studio einzumieten, weil sich der Kessel noch warm anfühlte. Kann man machen, klappt bestimmt auch das eine oder andere Mal, geht aber eben manchmal komplett in die Hose. Während andere Bands händeringend nach kompetenten Produzenten und Studios suchen mussten, die mit dem neuen Sound etwas anfangen konnten, oft aber nur Hippies fanden, was das Endresultat der Aufnahmen nachhaltig beeinflusste, steuerten THE DAMNED zielgerichtet ein ebensolches Hippietriumvirat aus dem PINK FLOYD-Umfeld an, um ihre zweite LP einzuspielen. Nick Mason, der PINK FLOYD-Schlagzeuger, hatte nicht nur keine Ahnung, er zeigte offenbar auch keinerlei Interesse daran, dass das Resultat seinen eigenen Erfahrungshorizont überschreiten könnte. Brian Humphries als Aufnahmeleiter hatte ebenfalls schon für „Ummagumma“ gearbeitet, war aber ebenfalls nullkommanull punkkompatibel, was den Sound anbelangte. Ein vorprogrammierter Griff ins Klo, der hoffentlich teuer war.
Ich erinnere mich noch an das erste „Auflegeerlebnis“ in den frühen Achtzigern, bei dem das bescheuerte Coverartwork schon nichts Gutes verhieß. Gut, heute weiß ich, dass es wohl eine Hommage an die Werke von Wassily Kandinsky gewesen ist, aber im Plattenregal dachte ich zunächst, dass hier etwas falsch einsortiert gewesen sein musste, schließlich erkenne ich den Bandnamen auf dem Cover bis heute nur mit viel gutem Willen oder einer entsprechenden Menge Alkohol als solchen. Beim Kauf hinkte ich ein paar Jahre hinterher, war aber trotzdem ahnungslos. Aha, ein zweiter Gitarrist an Bord, das muss dann die nächste Stufe sein, so wie bei den Metalbands, die damit ordentlich Druck machen können, und Soloausflüge des einen Saitenhelden mit den besseren Fähigkeiten ermöglichen. Die Nadel senkt sich, es knistert – lausige Pressung –, wir starten mit „Problem child“, zweifellos ein Hit, der aber irgendwie nicht so richtig zünden will. Irgendwas stimmt an dieser LP nicht. Zweiter Song: „Don’t cry wolf“. Ebenfalls eine Singleauskopplung, wie auch „Problem child“ und „Sick of being sick“ mit der falschen A-Seite, die es nicht mal auf die LP geschafft hat, aber egal. Drei Singles, die zur LP ausgekoppelt wurden, das macht man doch nicht, wenn das keine Hits sind. Nach dem ersten Durchlauf war ich einigermaßen ratlos. Da sind gute Songs drauf, aber irgendwas ist falsch. Kein einziger davon brannte auch nur annähernd so hell wie die gerade mal mittelguten der ersten Platte. Lag es an meiner Anlage? Nö, bei anderen Platten funktionierte das weiterhin sehr gut. Nadel mit der Lupe untersuchen, ob der Saphir noch dort ist, wo er hingehört, war also überflüssig. Zweiter Durchlauf, keinerlei Besserung. Wo ist eigentlich die zweite Gitarre? Ich höre nur eine. Warum klingt das so beschissen wie ein Demo, das man maximal bei der Plattenfirma einreicht, damit man Kohle für ein gescheites Studio schnorren kann? Warum ist der Sound so mumpfig und gleichzeitig so dünn, so farb- und konturlos? Und welcher Depp hat dieses Cover verbrochen?
Interessanterweise stammen die Singleauskopplungen aus derselben Aufnahmesession wie die der LP, aber jede einzelne davon klingt deutlich kontrastreicher und lebendiger, allerdings ballert auch keine so richtig wie die beiden Stiff-Singles davor. Grandios im Studio gescheitert, eine Erfahrung, die ich mit anderen Platten später noch öfter machen durfte, weil hinter dem Mischpult ein verkeimter Hippie saß, der selbst mit Kifferkrautrock noch heillos überfordert gewesen wäre. Tragischerweise kann man das ganze Dilemma problemlos nachhören, denn mit den Peel Sessions, die noch in der klassischen Vierer-Besetzung eingespielt worden waren, hat man gleich zwei Songs aus den „Music For Pleasure“-Aufnahmen, die man damit 1:1 vergleichen kann. Den LP abstinenten Überhit „Sick of being sick“, der sein Dasein als Single-B-Seite fristen musste, und „Stretcher case“. Im direkten Vergleich klingen die von Nick Mason für ein deutlich höheres Budget produzierten Songs wie von einem Gehörlosen mit Tinnitus und Schweißmauken lustlos abgemischte, halbgare Demos. Man erkennt das Potenzial, spürt, dass hier gutes Material vorhanden ist, das aber von einem unambitionierten Handwerker einfach mal so hingelümmelt wurde. Wär’s ein Musiker gewesen, hätte man den Kerl problemlos aus der Band werfen und ersetzen können, aber einen Produzenten mit dieser Reputation und diesen Rechnungen? Manchmal ist es eben nur der große Name, der Rest lediglich heiße Luft. Es kam, wie es kommen musste: Rat Scabies stieg noch vor dem Release das erste Mal aus der Band aus, die Platte floppte und Stiff ließ die Band nach nur zwei Scheiben fallen. So hätte die Geschichte wie bei einigen anderen Bands der ersten Welle enden können, aber keine zwei Jahre später legten THE DAMNED mit „Machine Gun Etiquette“ einen zweiten Meilenstein hin, der erneut aus fast ausschließlich Hits bestand, und auch so klang wie „Music For Pleasure“ hätte klingen müssen. Captain Sensible war an die Gitarre gewechselt, Rat Scabies wieder an Bord, Vanian einfach Vanian, für den Bass hatte man den kürzlich verstorbenen Algy Ward verpflichtet und die Hits klangen einfach Wow!
Meine erste Inkarnation der „Music For Pleasure“ wanderte in eine Flohmarktkiste und wurde für schmales Geld veräußert. Über die nächsten Jahre war diese LP eine der Platten von THE DAMNED, die ich auf Flohmärkten am häufigsten in den Händen hielt. Irgendwie wollten sie viele einfach nicht haben, was mich nicht wirklich verwunderte. Irgendeine Band verbrach ein Cover, das der Kandinsky-Verbeugung ähnelte – wahrscheinlich ein Originalwerk –, was das Überblättern einfacher machte. Als ich irgendwann beschloss, der Platte eine zweite Chance zu geben, tauchte sie nicht mehr auf. Zum Glück, denn irgendwann vor zwanzig Jahren nahm sich Earmark der LP an, remasterte das Ding heimlich ein wenig mit den damaligen Mitteln und brachte sie im Klappcover mit der ganzen Elendsgeschichte rund um die vermaledeite zweite LP erneut heraus. Gut klingt sie zwar immer noch nicht, aber wenigstens etwas besser, und das Cover hatte nicht die typischen Flohmarktspuren, die sich ungeliebte Platten mit der Zeit in Holzkisten zwangsläufig zuziehen.
Ja, das hätte eine gute Platte werden können, aber manchmal geht man auch zum falschen Friseur oder Zahnarzt. Dann läuft man danach wochenlang wie ein Volldepp durch die Gegend oder hat immer noch üble Zahnschmerzen, weil der falsche Zahn gezogen wurde. Im Falle einer LP wird das Ganze dann zu einem Kapitel, über das man lieber schweigt. Erstaunlicherweise haderten THE DAMNED offenbar aber auch mit den meisten Songs der Platte, denn im Gegensatz zum Erst- und Drittwerk befinden sich recht wenige Stücke davon auf einer der zahlreichen Live-Platten, die die Band immer dann veröffentlichte, wenn sonst gerade nichts anstand oder die Miete fällig war. Warum in der Sammlung? Weil’s THE DAMNED sind und ich sonst kein Hobby habe, mit dem ich mein sinnloses Leben aufwerten könnte.
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