WORST OF THE WORST

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Gute Platten kann jeder – Vol. 4

THE CLASH – Mir doch egal, ich bin dann mal weg

Stell dir vor, du bringst eine Box heraus, die das gesamte Schaffen deiner Band dokumentiert, eine Band, die wegweisend, prägend und wirklich mal groß war, und du lässt in dieser „Komplettbox“ ganz bewusst eine Platte unter den Tisch fallen. Okay, für die meisten ist das doch schwer nachvollziehbar, weil kaum jemand mal vor 140.000 Leuten gespielt hat – und einmal nackt durchs Stadion flitzen halt nicht als Bandauftritt zählt.


Wenn du also als Band mit bewegter und großer Vergangenheit ein großartiges Boxset in Form eines Ghettoblasters veröffentlichst, mit allem, was relevant ist, Schnickschnack, Videos, pipapo, und du dabei deine letzte Veröffentlichung mit keinem Ton und Wort erwähnst, dann sagt das mehr als Désirée Nick, wenn sie einen im Tee hat. Das Verschweigen einer kompletten Platte? Okay, Herbert Grönemeyer hat das bei seiner Retrospektive und seiner ersten LP auch gemacht, aber Herbert hatte weder Erfolg in den USA noch mehrere Top-eins-Hits in mehr als vier Ländern dieser Welt, also kein Vergleich mit THE CLASH.

Dass das sechste Album „Cut The Crap“ in der „Sound System“-Box fehlt, hat gute Gründe. Einer davon dürfte sein, dass die überlebenden Bandmitglieder, die nach dem viel zu frühen Tod von Joe Strummer an der Entstehung dieses Vermächtnisses beteiligt waren, diese Platte einstimmig nicht als Release der Band betrachten, der andere, dass sie scheiße ist und so auch niemand Tantiemen kriegt, den sie für ein Arschloch halten.

Dazu muss man die Entstehungsgeschichte von „Cut The Crap“ (wieder mal ein Plattentitel, der eine fast unverhohlene Botschaft enthält) etwas näher betrachten, bevor man sich beim Anhören derselben als gestandener CLASH-Fan gleich mehrfach übergeben möchte. Eine Band, etwa zwei Jahre über dem Zenit, kurz vor dem Abgrund, kaputt getourt, ausgelaugt, zerstritten wie ein altes Ehepaar, das sich nur noch anknurrt. Topper Headon raus mit Nadel im Arm, Bernie Rhodes gegen den Willen der meisten (aller außer Joe) als Manager wieder dabei und Mick Jones schließlich ebenfalls hinauskomplimentiert. Übrig blieben Joe Strummer und Paul Simonon, die sich auch nicht mehr allzu viel zu sagen hatten. Dass eine Band vom Input der Mitglieder lebt, vom Zusammenspiel verschiedener Standpunkte, Einflüsse und Ideen, ist nur dem ein Rätsel, der einen kreativen Prozess ebenso wenig versteht wie die Wirkung von Hefe, Temperatur und Ruhe auf einen Teig. Die einen haben dann halt fluffige Brötchen, andere mit denselben Zutaten eben nur ein steinhartes Brot, mit dem man allenfalls Enten im Dorfteich versenken kann.

Meinungsverschiedenheiten unter Bandmitgliedern bringen oft großartige Ergebnisse hervor, auch weil man es den anderen Arschlöchern noch mal richtig zeigen will. Es gibt Bands, die pressen in einem letzten gemeinsamen Akt purer Abneigung und Hass noch ein „weißes Album“ aus dem Darm. Andere setzen als Schlusspunkt „Cut The Crap“, auch weil der letzte gemeinsame Akt eigentlich „Combat Rock“ hieß, was sich ebenfalls als selbstreflektierender Plattentitel deuten lässt. Halbe Mannschaft von Bord, die Ideen spärlich, und von Simonon sowie den gleich drei neuen Ersatzmitgliedern kam ganz offensichtlich keinerlei Input. „Cut The Crap“ wurde ausschließlich von Joe Strummer und Bernard Rhodes geschrieben. Wenn der Manager einer Band Credits beim Songwriting bekommt, dann läuft etwas ganz gewaltig schief. Wer die halbgaren Demos von einem der Bootlegs kennt, kann immerhin erahnen, dass Punk noch eine Rolle spielte und der eine oder andere Song durchaus mehr Potenzial hatte als das, was sich schließlich auf der fertigen Platte befand.

Vor der LP erschien die „This Is England“-7“, auch erhältlich als 12“mit zwei B-Seiten-Tracks, die immerhin noch ein normales Schlagzeug haben und einigermaßen nach einer „Band“ klingen, Heldentaten sind beide nicht. Strummer spielte die Songs halbfertig ein und begab sich dann auf einen Trip nach Spanien, um Urlaub zu machen und Abstand von allem zu gewinnen. Rhodes hatte die halbgaren Songs und die Mission, daraus eine Platte zu produzieren. „Tschüss, ich bin dann mal weg.“ – „Okay, mach dir keine Sorgen, erhol dich gut, ich krieg das schon hin, Gruß an die Familie! Bernie“. Hat er hingekriegt, der Bernard, und wie Oliver Hardy sagen würde: „Da hast du uns ja mal wieder eine schöne Suppe eingebrockt.“
Um das Wenige nicht allzu dürftig erscheinen zu lassen, packte Rhodes alles drauf, was ihm an Overdubs, albernen Stadion- und Kinderchören (wenn bei deiner Lieblingsband ein Kinderchor auftaucht, ist es an der Zeit, sich von den T-Shirts und Devotionalien zu trennen, solange du noch was dafür bekommst) und elektronischem Bombast im Studio unter die Finger kam. Der eigentliche Witz: Die Band hatte für diese Platte ganze drei Gitarristen zur Verfügung, richtig hören kann man maximal einen, wenn überhaupt. Warum Topper Headon gehen musste, erschließt sich auch nicht so ganz. Das seelenlose 08/15-Drumcomputer-Schlagzeug hätte er selbst auf schlimmstem Entzug im Halbkoma noch programmieren (lassen) können. Die komplette Scheibe klingt künstlich, mehrfach zu Tode überfrachtet, so dass eigentlich auf dem Backcover „Überproduziert und overovergedubbt von Bernard Rhodes“ stehen müsste. Rhodes war vielleicht brauchbar als Manager, aber nicht als Musiker und Produzent. Selbst als Manager hätte er erkennen müssen, dass das Endresultat nicht nach der Band klang, die er eigentlich nach bestem Wissen und Gewissen durch das vor ihnen liegende Tal des Elends leiten sollte.

Dann kommst du schließlich irgendwann aus dem Urlaub zurück. Dein Manager berichtet dir stolz, dass er im Studio eine Menge Geld sparen konnte, weil er die anderen gar nicht erst dorthin eingeladen hat. Außerdem ist die Platte schon im Presswerk. Alles erledigt, damit du dich noch etwas ausruhen kannst, bevor es damit auf Tour geht. Die Konzerte wurden passend dazu in ein paar Stadiondiscotheken gebucht, denn das ist jetzt der brandneue heiße Scheiß und künftige Sound deiner Band. Brauchst dich nicht zu bedanken, wozu sind Freunde schließlich da? Man muss keine fünfzig Cent dafür opfern, um sich vorzustellen, wie die Gesichter von Joe Strummer und dem Rest der Band aussahen, als sie „ihre Platte“ das erste Mal hören durften und feststellen mussten, dass es sich nicht um einen Witz handelte, denn die Türen waren verschlossen, damit ja keiner früher gehen konnte. Einige Lieder sind immerhin noch so gut, dass sie auch durch Elektrostampfsound nicht kaputtzukriegen waren: „This is England“, „Dirty punk“, und „We are the Clash“. Letzteres mit Abstrichen, weil es in der Stadionchor-Atmo einfach kurz vor albern und nach PINK FLOYD und „The Wall“ klingt. Die Aufzählung der schlimmen Stücke spare ich mir an der Stelle, es sind noch neun weitere auf der LP, wir können uns aber auf acht einigen, damit jeder noch seinen weiteren „nicht ganz so schlimmen Song“ rauspicken kann, ohne rumrechteln zu müssen, ich bin da ja nicht so.

Die Aufmachung ist so spartanisch wie passend (wieder Geld gespart), und die Tatsache, dass man ein gut erhaltenes Vinylexemplar mit 36 Jahren auf dem Buckel für schlappe zehn Euro bekommt, obwohl die Platte als Vinyl nur ein Mal im Jahr 1989 nachgepresst wurde, spricht durchaus für sich. Man nennt solche Platten und Ereignisse eigentlich „Schwanengesang“, eigentlich. Nur dazu müsste er aber ein letztes Mal in seinem Todeskampf einen wunderschönen Gesang angestimmt haben, was hier leider nicht der Fall ist. 1986 waren THE CLASH dann nach einer letzten Tour endlich Geschichte und diese LP bei gelegentlichen Wiedertreffen ganz sicher ein Tabuthema. „Don’t mention that record.“ Auch wenn die Soundbox ohne diese Scheibe nicht ganz vollständig ist, vermisst sie letztlich doch keiner. Wem sie fehlt, der kann sie sich für ein, zwei Euro in jeder zweiten Secondhand-Butze kaufen und heimlich dazupacken, wobei Joe Strummer dann definitiv nicht mehr bequem liegt. Warum? Zweieinhalb gute Songs und letztendlich als CD unverkäuflich, weil geschenkt für einige Menschen noch zu teuer wäre. Immerhin hatte ich nie das Bedürfnis, mir dieses Ding als LP zu meiner ansonsten tadellosen CLASH-Sammlung zu stellen.

Klugscheißerbonus: Die allerschlimmste Platte haben THE CLASH bereits 1981 eingespielt! 1981? Ja, genau. Ellen Foley und ihr Album „Spirit Of St. Louis“, ein hormongesteuerter Liebesbeweis, wie er seichter und biederer kaum hätte ausfallen können. Ein belangloses Pop-Album, das von der kompletten THE CLASH-Besetzung eingespielt wurde, die auch knapp die Hälfte der Songs geschrieben hat, produziert vom verliebten Mick Jones höchstselbst. Die Erinnerung verblasst glücklicherweise bereits bei Erreichen der Auslaufrille. Lässt sich problemlos noch hinter „Cut The Crap“ einsortieren. Ein heißer Tipp für alle, die sich ihren THE CLASH-Schrein noch ein wenig mehr beschmutzen wollen.