131 Ausgaben und 28 Jahre Ox ohne ein DIE TOTEN HOSEN-Interview – Drummer Vom und Ex-Drummer Wöllie mal außen vor gelassen. Irgendwie passte das nie mit uns, aber ... warum eigentlich nicht? Den Ausschlag, das Angebot für einen Interviewtermin anzunehmen, gab für mich letztlich das Bonus-Album zum neuen Longplayer „Laune der Natur“, „Learning English Lesson 2“, mit 25 erstklassigen Coverversionen von unbestreitbaren Punk-Klassikern, jeweils mit dem Originalsänger als Gast. Und so saß ich Ende März in Düsseldorf im Besprechungsraum hinter dem Instrumenten- und Backline-Lager der Band mit Campino zusammen – und warf nach dem Gespräch meinen Zettel mit Fragen weg, denn irgendwie hatten wir uns über ganz andere Themen unterhalten, als von mir angedacht. Zum Beispiel über Celtic Rock, wie ihn FLOGGING MOLLY spielen, die auf dem aktuellen Ox-Cover zu sehen sind.
Campino, habt ihr jemals überlegt, solche „folkloristischen“ musikalischen Elemente in eure Musik einzubauen?
Natürlich. Echte, authentische Volksmusik ist etwas Großartiges. Leider haben wir Deutschen dazu ein gestörtes Verhältnis, weil diese Musik im Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit teilweise auch missbraucht worden ist. Das, was hierzulande als „Volksmusik“ deklariert wird, hat auch nichts mit dem zu tun, was man beispielsweise in Irland singt. In vielen Ländern ist Volksmusik die wahre Protestmusik. Sie drückt das ganze Lebensgefühl der Menschen aus. Das ist ein Hammer-Fundus. Würden wir allerdings zum Beispiel Elemente der irischen Folklore in unsere Lieder einbauen, müssten wir erstmal unsere Verbindung dazu rechtfertigen, sonst käme das aufgesetzt rüber. Wenn wir wüssten, wie wir das hinkriegen, würden wir so etwas sicher häufiger machen. Wir hatten kürzlich Lied, das an irische Musik erinnerte; das hat es aber nicht auf das Album geschafft. Ein Beispiel, wie es funktionieren kann, ist „Das Mädchen aus Rottweil“ mit seinen Balkan-Anklängen. So etwas mögen wir total. Aber viel weiter können wir uns dem Thema nicht nähern, ohne dass es sich komisch anhört. Wir müssen aufpassen, dass das, was wir machen, immer noch ein bisschen nach den Hosen klingt, glaubwürdig. Wir sind ja nicht die DROPKICK MURPHYS.
Der Österreicher Andreas Gabalier ist erfolgreich darin, sich als „Volks-Rock’n’Roller“ zu inszenieren.
Künstler wie Andreas Gabalier oder auch Helene Fischer haben ein gutes Management. Sie schauen über den Tellerrand hinaus, klauen sich geschickt das Beste aus anderen Welten und pressen das dann in eine Form, die für ihre Hörer bequem ist. Aber lass uns nicht weiter über Gabalier reden. Ich denke da lieber an unsere Freunde von den BIERMÖSL BLOSN, die Well-Brüder, die zusammen mit Gerhard Polt auftraten – das sind Volksmusiker, die können dir was zu dem Thema erzählen! Sie kommen aus den bayerischen Kellern und Stuben, in denen mit solcher Musik selbst die CSU angegriffen wird. Sie pflegen eine jahrhundertealte Tradition mit den entsprechenden Instrumenten und sind sehr wache Geister. Um noch einmal auf die irische Folklore zurückzukommen: Natürlich waren wir auch immer Fans von Bands wie THE POGUES. Und ich glaube, ein Lied wie „Bis zum bitteren Ende“, dieses Glorifizieren des Betrunkenseins, ist ganz nah dran an solchen irischen Weisen, da geht es ja auch gelegentlich ums Feiern. Man findet also bei uns durchaus Parallelen zu solcher Musik.
Ihr betreibt „Traditionspflege“ auf andere Weise, mit „Learning English Lesson 2“ geht ihr „back to the roots“.
Du fragst nach unseren Wurzeln? Das Singen habe ich im Publikum bei der Düsseldorfer EG gelernt – zu Fortuna ging ich damals noch nicht, die hatten was gegen Punks, das Verhältnis von Fortuna zur Punkszene war, höflich umschrieben, ambivalent. Natürlich habe ich wie alle anderen Kids im Ratinger Hof, wenn da Bands wie WIRE gespielt haben, mitgesungen und das alles zelebriert. Damals hatte man nicht die eine Lieblingsband. Wir waren Punks und wenn eine Gruppe, die sich selbst als „Punkband“ bezeichnete, in der Stadt war, dann ging man dahin, egal ob die nun aus Belgien kam oder aus Berlin, ob sie AUSWURF hießen oder KATAPULT. Es ging ums Dasein, um die Unterstützung. Das war das Geniale an der Szene und daraus entstand ein enormer Schatz an großartiger Musik. Wir könnten locker noch zehn weitere solcher Coverscheiben machen, die alle nicht schlechter wären, einfach weil die Songs damals so gut waren. Viele davon gingen aber unter, einfach weil zu viel in zu kurzer Zeit rauskam. Wenn du mit so einer Welle hochgespült wirst, besteht eben auch immer die Gefahr, dass dich diese Welle mit ins Nirvana zieht, wenn der Hype vorbei ist.
Es gibt Ausnahmen ...
Wenn du auf uns anspielst: Wir sind zu spät gekommen! Da war schon keine Welle mehr da.
Zeitlich lassen sich die von euch zu neuem Leben erweckten Stücke klar eingrenzen, von 1977 bis 1982. Danach kam auch noch gute Musik – oder erinnert man sich altersbedingt dann doch eher die Sachen, die man als Teenager, in der Jugend gehört hat?
Nein, da bin ich viel offener, als sich das jetzt anhört. Wenn wir Zeit hätten, würden wir uns auch mal durch diese „Nuggets“-Compilations mit all diesen Garage-Bands aus den Sechzigern wühlen. Es hat ja schon vor ’76/’77 dermaßen gekracht in der Musik, denk nur mal an „Kick out the jams“ von MC5. Dieses Rohe und Raue gab es also schon vorher, wir Kids waren damals nur etwas zu jung dafür. Die Phase ab ’77 haben wir am deutlichsten miterlebt. Danach gab es zwar immer noch viel tolle Musik, auch aus anderen Genres, doch geprägt hat uns nunmal der Zeitabschnitt, der jetzt auf „Lesson 2“ zu hören ist. Wobei wir ja bei „Lesson 1“ eine noch knappere Zeitspanne ausgewählt hatten, diesmal ist die „zweite Welle“ noch dabei, wir müssen ja nicht immer so penetrant exakt sein. Das ist jetzt ein Gemisch aus Liedern von Freunden und Stücken, die man immer schon mal machen wollte.
War es leicht, an die „Originale“ ranzukommen und zum Mitmachen zu überreden?
Als wir „Lesson 1“ aufnahmen, war es viel schwieriger, die ganzen Leute zu kontaktieren, damals gab es noch kein Facebook, kein Internet. Da mussten wir richtig detektivisch vorgehen, um die Leute zu finden. Damals, Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger, war bei den Protagonisten der alten Punk-Szene auch eine große Verbitterung festzustellen. Sie hatten Punkrock hinter sich gelassen, viele wollten nicht mehr darüber reden, lieber nach vorne schauen, etwas Neues anfangen. Heute ist das anders, es gibt eine gewisse Distanz dazu. Die Künstler wissen das anders einzuschätzen und haben erkannt, dass das damals für die meisten wohl die wertvollste Zeit in ihrer Biografie war. Entsprechend sind sie bereit, viel offener darüber zu reden und zu lachen. Die Punkbewegung hat jetzt einen festen Platz in deren Leben, man sieht ja, wie viele von ihnen eine Reunion gewagt haben.
Was man beim Rebellion Festival in Blackpool, wo du auch gerne mal bist, ja deutlich sieht.
Ja, ich war letzten Sommer da und es hat mir total Spaß gemacht. Natürlich ist das ambivalent, es gibt da durchaus auch traurige Momente, wo man sich denkt, dass sich eine Band nicht so gut gehalten hat. In der Erinnerung ist sowieso alles viel geiler. Andererseits erlebt man auch Bands, die mit Würde gealtert sind und durchgehalten haben. Das ist dann eine Bestätigung für mich, ebenfalls weiterzumachen. Du siehst ihnen an, dass es Spaß macht, zusammen älter zu werden und über das Leben zu lachen. COCK SPARRER in Blackpool zu erleben, wenn von der ersten bis zur letzten Reihe alle mitsingen, das ist das Größte! Das sind Momente, in denen man dem Gefühl, wie man es früher auf Konzerten hatte, am nächsten kommt.
Und weiß man dann, wenn man Bands wie COCK SPARRER sieht, dass man locker noch zehn Jahre hat mit dem, was man selbst so macht?
Es gibt Beispiele in jede Richtung. Schau dir die ROLLING STONES an. Die haben mich lange Zeit gar nicht interessiert, doch seit einer Weile achte ich nun darauf, was sie machen. Sie sind über siebzig. Aber wer sonst bringt eine Headline wie „ROLLING STONES in Kuba!“? Ich habe mir auch ihre Ausstellung in London über ihr Lebenswerk angeschaut, die mit extrem viel Liebe zum Detail gemacht wurde. Ich lief da bestimmt zwei Stunden rum und hatte großen Spaß. Sie haben Bühnengarderoben ausgestellt, irgendwelche Zettel mit Setlists, die Wohnung von Keith Richards und Mick Jagger war als Nachbau zu sehen, inklusive des überfüllten Aschenbechers in der Ecke. Das sah genauso aus wie die Wohnungen von irgendwelchen Punks zu unserer Zeit. Jedem, der irgendwann mal leidenschaftlich mit Rockmusik in Verbindung gekommen ist, geht bei so etwas das Herz auf – ganz gleich, ob man nun der Meinung ist, dass die Stones heutzutage noch relevant sind oder nicht. Wobei die letzte Coverplatte ja wirklich toll war. Sie kehren zu ihren Wurzeln zurück und spielen mit herrlicher Lebensfreude. Ein weiteres Beispiel ist Iggy Pop, der die Fackel mit großer Würde weiterträgt. Ganz zu schweigen von Nick Cave– bei dem spricht niemand übers Alter. Ich freue mich heute über eine seiner Shows genauso, wie ich mich damals über BIRTHDAY PARTY gefreut habe. Die Spannung überträgt sich mit der gleichen Intensität wie damals. Das sind alles herausragende Leute, die mit ihrer Musik immer noch jederzeit einen tollen Abend bescheren können. Warum sollen wir uns alle den Kopf zerbrechen, wie lange es noch geht? Neulich starb Toni von GROBER UNFUG, vor einer Weile Schwabe von den RAZORS ... so etwas passiert einfach, die Einschläge kommen langsam näher. Aber die Lektion kann ja nicht sein, jetzt kein Bier mehr zu trinken. Unser Leben weiter zu zelebrieren, das Glück zu würdigen, dass es uns noch so gut geht — das würden auch all diese Leute von uns wollen. Und drei Kreuze, dass wir selber noch hier sind.
Um noch mal auf „Lesson 2“ zurückzukommen: Coverversionen können die Hölle sein ...
Gerade dann, wenn man das Original kennt. Es ist schwer, so ein Cover gut hinzubekommen. Ich bitte jedenfalls jetzt schon um Verzeihung und möchte loswerden, dass es uns mit diesen Liedern nicht darum geht, damit anzugeben, wen wir alles kennen, sondern allein um den Spaß, die Lieder mit den Musikern, die sie geschrieben haben, neu einzuspielen. Ich glaube, sie freuen sich auch darüber, dass ihre Songs auch heute noch Wumms haben und man damit Party machen kann.
Ich hatte ja mitbekommen, das da so eine zweite Coverplatte kommt, und da konnte man im Ausland feststellen, dass die Musiker und Labels richtig Bock darauf hatten, „Great, DIE TOTEN HOSEN!“ hieß es da. Irgendwie habt ihr im Ausland bis runter an die „Basis“ ein ganz anderes Standing in der Punk-Szene als hierzulande.
Da hast du Recht. Deshalb fahren wir auch so gerne nach Argentinien. Wir sind dort viel klarer als harte Band definiert und auf den Konzerten herrscht immer eine unglaubliche Energie. So anders wahrgenommen zu werden, motiviert uns sehr. Andererseits weiß ich auch, dass alles, was in Argentinien, in Südamerika für uns läuft, ohne das musikalische Schaffen in Deutschland gar nicht möglich gewesen wäre. Unsere deutschen Texte sind unsere Existenzberechtigung, alles andere machen irgendwelche anderen Jungs besser.
Bei eurem JOHNNY MOPED-Cover stößt man auf den Namen Maria Frege ...
Das ist meine Schwester. Billy Bragg und Kirsty MacColl haben das Stück „Darling, let’s have another baby“mal live zusammen im Duett gesungen, und mir hat das so gut gefallen, dass ich eben meine Schwester gefragt habe, ob sie nicht den weiblichen Gesangspart übernehmen könnte – Johnny und ich singen den männlichen Part.
Woran wir Spaß haben, all die großen alten Bands, das ist für das Musikbusiness nicht ohne Risiko: Die großen Festivals buchen alle die immer gleichen alten Bands, neue Headliner kommen nicht nach ...
Was schlägst du vor, ein Rockverbot ab fünfzig? Das fände ich gut, dann müsste ich auch nicht mehr ran und könnte besten Gewissens einfach aufhören. So bleibt mir nichts anderes übrig, als das selbst zu entscheiden und das ist verdammt schwer. Du hast aber insofern Recht, als dass das Überleben für Musiker heutzutage schwieriger ist. Die Menschen geben weniger Geld für Musik aus, stattdessen für Computerspiele, neue Fernseher und Handys. Da wird nicht mal eben ein Zwanziger riskiert für eine Neuentdeckung, man geht auch nicht mehr in einen kleinen Club, um sich eine unbekannte Band anzusehen, sondern gibt sein Geld aus für das, was man kennt. Eine Markengläubigkeit, die uns natürlich zupasskommt, aber ich kann dennoch objektiv beobachten, dass diese Entwicklung für neue Bands nicht gut ist. Das Gleiche gilt für die Denkweise vieler, dass man richtig Geld spart, wenn man sich bei einem Festival für 200 Euro 100 Bands anschauen kann. Das macht es den Veranstaltern von Einzelkonzerten natürlich schwer. Aber welchen Tipp sollte man Nachwuchsbands geben, außer dass sie sich den Arsch abspielen und irgendwas draufhaben müssen, damit die Leute trotzdem kommen.
Was letztlich immer schon so war.
Ja, es war immer schon so. Wenn man mal überlegt, in welch starker Konkurrenz zueinander die Punkbands in England damals standen, wie viele Bands es gab – und wie schlecht die Bands in kleinen Clubs da bis heute behandelt werden. Da war Deutschland immer schon ganz anders. Andererseits spielen hier aber auch längst nicht so viele junge Leute ein Instrument. Und während im HipHop derzeit eine Menge geht, tut sich in der Gitarrenmusik aktuell nicht so viel. Da fragt man sich schon, wo die neue junge Band ist, die so richtig was anzündet, vor der man wirklich Angst hat. Da ist Rap für Vierzehnjährige viel interessanter, und im HipHop gibt es eben auch echt gute Leute, richtige Sprachtänzer, die gut mit Worten umgehen können. Ich kann verstehen, wenn man darauf abgeht.
Apropos Rap: Im „Kleingedruckten“ eures neuen Albums stößt man auf den Namen Marten Laciny alias Marteria, der auch schon an „Ballast der Republik“ als Co-Autor mancher Stücke beteiligt war.
Wir haben uns vor Jahren angefreundet, selbst unsere Kids kennen sich. Über die Jahre hat sich ein Vertrauensverhältnis entwickelt und da bleibt es nicht aus, dass man sich gegenseitig seine Musik vorspielt und den anderen nach seiner Meinung fragt. Manchmal fahren wir zusammen in die Ferien, da schreibt man dann auch mal morgens nach dem Frühstück was zusammen, und entsprechend viel haben wir diesmal für die Platte gemeinsam gemacht, die Hälfte ungefähr. Beim Texten und dem Jonglieren mit Worten verstehen wir uns blind.
Macht das das Kreativsein einfacher, wenn man jemanden hat, mit dem man sich Bälle zuspielen kann, statt allein im stillen Kämmerlein zu sitzen?
Auf jeden Fall. Ich bin immer schon ein Mannschaftsspieler gewesen und habe große Freude daran, mit jemandem gedanklich Pingpong zu spielen. Also nicht nur jemandem gegenüberzusitzen, der sagt „Irgendwas stimmt da nicht“, sondern einen zu haben, der eine Alternative bietet: „Wie wäre es damit?“ Das Schönste zwischen Marten und mir ist, dass es da kein Ego gibt. Was gut ist, wird genommen. Wir sitzen wie zwei Schuljungen an einem Tisch, dazwischen ein Aufnahmegerät, und wir lachen uns schief, wenn uns eine lustige Zeile einfällt. Zwischendurch gehen wir eine Runde ballspielen oder spazieren, und es ist eine riesiger Spaß, mit ihm zu arbeiten, er ist einfach ein irres Talent, was Sprache angeht. Er ist ein großer Gewinn für mich.
Hast du ein Problem damit, dir einzugestehen, dass du fürs Schreiben Hilfe brauchst? Man gibt ja doch gerne mal den Einzelkämpfer.
Nein, ich muss mir nichts beweisen. Die Musik entsteht zum Beispiel zu 90% im Kollektiv und am Ende der Session wird mehr oder weniger ausgewürfelt, wer welches Lied kriegt. Klar, Kuddel ist bei uns derjenige, der sich da am meisten einbringt und dabei am schnellsten ist, einfach weil er von uns der beste Musiker ist. Aber alle anderen sind zu einem bestimmten Moment genauso entscheidend, weshalb wir schon seit dem ersten Album alle Lieder gleichmäßig auf die Bandmitglieder verteilt haben. Da ging es nie darum, wer was einspielt, sondern Hauptsache das Endergebnis ist gut. Unser Schlagzeuger Trini hat damals bei den Aufnahmen nicht einmal Schlagzeug gespielt, aber er konnte einen unheimlich guten Strammen Max machen und stand den ganzen Tag in der Küche. Wer was zu welchem Lied beigetragen hat, ist uns wurscht. Beim Texten haben wir uns früher bei irgendwem in der Wohnung zusammengesetzt und versucht, was zu Papier zu bringen, aber nach 15 Minuten war immer bei irgendwem die Geduld zu Ende, dann fängt man an herumzualbern, und so kommt man über ein bestimmtes Level nicht hinaus. Da stellte ich dann für mich fest, dass sobald es um was Ernsteres geht oder um Gedanken, für deren Ausformulierung es Zeit braucht, ich mich lieber zurückziehe und alleine bin. Und so ist über die Jahre ja schon das eine oder andere gute Ding zustanden gekommen.
Die Texte, die du schreibst, die ihr schreibt, etwa „Geisterhaus“ oder „Lass los“, die werden von Millionen Menschen gehört und gelesen und haben für viele eine Art „Lebenshilfefunktion“. Gute Texter haben es drauf, so zu schreiben, dass viele Menschen sagen: „Genau so geht es mir, genau so fühle ich mich!“ Das bringt auch eine gewisse Verantwortung mit sich, oder?
Du arbeitest ja immer darauf hin, Gefühle zu transportieren und es gibt nichts Schöneres, als wenn dir einer sagt: „Ich sehe es genau so, wie du es beschrieben hast.“ Das ist das, worum es geht. Mit dem Wort „Verantwortung“ würde ich aber vorsichtig umgehen. Ich glaube daran, dass es um Vibes geht, und dass es Gift ist, wenn du fortwährend eine aggressive, zynische Grundhaltung hast, die überall reinspielt – weil du aus der Nummer nicht mehr rauskommst. So etwas tut mal gut, aus der Wut heraus, ab und zu braucht man das, aber wenn du das immer mit dir rumträgst, zerfrisst es dich. Am Ende des Tages muss der Spaß am Leben dominieren. Vieles ist scheiße, trotzdem feiere ich das hier ab. Und wenn du von „Verantwortung“ sprichst, auch wenn ich das Wort nicht in den Mund nehmen würde,sehe ich das höchstens in der Form, dass ich es gutfinde, wenn die Leute sich nach dem Hören unserer Scheiben besser fühlen. Zynismus ist „lustig“, auch wenn man so etwas wie Punk neu entdeckt und erst einmal alles niedermachen möchte. Eine Zeitlang macht das echt Bock, aber ich habe mich irgendwann entschieden, dass das für mich nicht das Hauptthema ist – dafür ist das Leben zu kurz.
Der Text von „Pop & Politik“ klingt wie ein „Best-Of“ der dümmsten Facebook-Posts, die man sich so auf seinem Profil einfangen kann.
Es ist schon heftig, wofür man sich heutzutage rechtfertigen muss. Solche Meinungen gab es schon immer, aber in Zeiten des Internets, kriegt man das viel mehr ins Gesicht gerieben. Ich glaube, dass Hasskommentare und Mobbing die Menschen immer angreift. Stell dir vor, du verfasst einen Artikel und hundert Leute schreiben „Du Arschloch!“ drunter. Da kann man so tun, als ob das einen nicht juckt, als ob das an einem abprallt, aber irgendwas bleibt immer hängen. In Ansätzen habe ich so etwas auch schon mal erleben müssen, aber ich denke, wer nicht selbst erlebt hat, wie es ist, wenn die ganzen Tageszeitungen einen niederschreiben, der hat keine Ahnung davon, wie es sich anfühlt, wenn man wie eine Sau durchs Dorf getrieben wird. Egal, ob du wirklich Scheiße gebaut hast oder vielleicht gar nichts dafür kannst. Das ist extremer Druck, der da ausgeübt wird. Wir haben vor Jahren diese Band Aid-Geschichte gemacht ...
Das war 2014, eine Neuauflage von „Do they know it’s christmas?“, um Geld zu sammeln für die Betroffenen der Ebola-Epidemie in Westafrika.
Genau. Dafür sind wir tierisch angegangen worden. Es gab ein großes Geschrei, wie scheiße das alles ist, wir würden uns nur aufspielen, und wo gingen die Gelder überhaupt hin? Alle hatten großen Spaß daran, das zu zerreißen, doch was bleibt am Ende? Keiner hat dann mehr darüber geredet, dass dieses Projekt mehr als fünf Millionen Euro eingebracht hat. Davon wurden unter anderem in Sierra Leone Krankenhäuser und Schulen für Kinder gebaut, die ihre Eltern durch Ebola verloren haben. Wir haben Anfang des Jahres eine Mitteilung dazu über Facebook verbreitet. Aber glaubst du, irgendeine Zeitung hätte darüber berichtet? Ich habe dazu nichts gelesen. Ich habe aber noch Kontakt zu einem Arzt, der dort arbeitet und mir gelegentlich schreibt, um mir über die Entwicklung zu berichten. In solchen Momenten denke ich mir, das war die Scheiße wert, die ich über mich ergehen lassen musste.
Als Band unterstützt ihr seit vielen Jahren schon die Organisation Pro Asyl. Warum ist euch deren Engagement so wichtig?
Wir verfolgen die Arbeit von Pro Asyl schon lange. Diese Institution ist aufrichtig und macht einen guten Job. Als unsere Partnerschaft begann, kämpfte Pro Asyl um Aufmerksamkeit für ihr Anliegen. Dabei konnten wir helfen. Mittlerweile haben sie diese Aufmerksamkeit, und wir beschlossen irgendwann, dass wir mit denen durch dick und dünn gehen und nachhaltig mit ihnen zusammenarbeiten. Nicht nur für eine Saison, nicht nur ein Infostand bei einer Tour, sondern grundsätzlich. Und wenn es von deren Seite ein wichtiges Anliegen gibt, dann verbreiten wir das auch über unsere Kanäle. Allerdings wollen wir die Menschen damit nicht penetrieren, es soll jeder selbst entscheiden, was er davon hält. Ähnlich ist es mit Oxfam. Mit denen waren wir damals sogar in Afrika, haben uns intensiv informiert und dadurch erst verstanden, wie sie arbeiten. Dass sie einerseits Entwicklungshilfe vor Ort leisten, etwa in Flüchtlingslagern, andererseits aber auch versuchen, hier bei uns politisch Druck zu machen, was wieder ein ganz anderer Ansatz ist als der von Ärzte ohne Grenzen, die sich aus Selbstschutz und zum Schutz von Menschenleben überhaupt nicht politisch äußern, um nicht zwischen die Fronten zu geraten. Aber je mehr man sich charitymäßig einbringt, desto schneller nutzt sich das auch ab und desto größer die Gefahr, dass Leute anfangen, dir daraus einen Strick zu drehen und zu behaupten, man würde sich aufspielen, sich wichtig machen. Das ist immer ein Spagat, man muss aufpassen, dass es nicht zu viel wird.
Siehst du Musiker in der Pflicht, nicht nur zu unterhalten, sondern sich zu gesellschaftlichen Themen zu äußern?
Das kann und will ich nicht für andere beantworten. Wir kommen aus einer Generation, in der man nicht nur die Musik gut finden musste, sondern auch die Typen dahinter. Wenn du so willst, geht es hier wieder um das Thema „Glaubwürdigkeit“, das vom Punk hängengeblieben ist. Ich kann nicht trennen zwischen dem Lied und dem Künstler, der das singt. Ist das ein Scheißtyp, macht es für mich die Musik kaputt. Ich hatte da vor langer Zeit mal ein Erlebnis mit einer Band namens THE RAINMAKERS aus den USA: Ein super Album, aber dann sah ich sie auf einem Konzert in Bochum in der Zeche. Die spielten ihre Songs gut, aber ich musste die Typen dazu sehen und war enttäuscht: Das waren so klassische amerikanische Rockaffen. Danach konnte ich mir die Platte zuhause nicht mehr anhören. Umgekehrt gibt es das natürlich auch: schwache Platte, aber live der totale Abriss, und dann knallt die Platte doch. So funktioniert das eben bei mir. Für uns ist klar, dass wir unsere politische Gesinnung nicht verstecken wollen. Insgesamt hat das Bewusstsein für so etwas bei vielen Bands aber stark nachgelassen – schau doch mal, wie viele Künstler überhaupt kein Problem damit haben, sich irgendeinen Scheiß über die Bühne hängen zu lassen, Werbung für Getränkefirmen zum Beispiel. Dieses Sponsoring ist ein ganz gefährliches Thema, und viele Bands machen es sich da sehr einfach. Bei Acts, die ohnehin schon recht bekannt sind, fragt man sich anlässlich solchen Sponsorings, ob die diese Kohle jetzt auch noch nötig haben. Oder sie lassen sich von irgendeinem Autohersteller einen Wagen vor die Tür stellen. Andere machen eine Modestrecke im Musikexpress und sind froh darüber, wenn sie den Anzug mit nach Hause nehmen dürfen. Entschuldigung, aber das ist mir alles zu dünn. Das bin ich nicht — das bin ich nie gewesen. Die Leute können über mich sagen, was sie wollen, aber sowas hab ich nie gemacht. Vielleicht bin ich da mit meiner Einstellung ein wenig altmodisch und der heutigen Generation ist das nicht mehr so wichtig, aber da diskutiere ich nicht. Den Leuten da draußen scheint es aber auch egal geworden ist. Silikon oder Natur – scheißegal. Playback oder live – was soll’s? Oberflächlichkeit über alles? Ich bin so nicht.
Auf jeden Fall ballst du bei dem Thema die Faust in der Tasche.
Nur manchmal (lacht).
Zum Schluss: Das Artwork.
Dass das ein Tigerkopf ist, sieht man ja. Und da das Album „Laune der Natur“ heißt, ist da dann alles an Tieren ins Bild eingebaut worden, was unser Grafiker Dirk Rudolph, der auch schon das „Ballast der Republik“-Cover gemacht hat, in die Finger bekommen hat. Dieses Mal sollte es bunt werden – die Welt ist schon grau genug.
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