Meine erste Begegnung mit Punk hatte ich 1979. Ich war gerade aufs Gymnasium gekommen, und da liefen zwei Brüder rum, drei, vier Jahre älter als ich, mit schwarzen Motorradlederjacken, und einer hatte eine Armbinde, auf der stand "Sex Pistols".
Die sahen komisch aus, das Wort "Sex" war so öffentlich gefährlich, fand ich, denn kurz zuvor hatte ein Freund Ärger bekommen, weil er das Wort "Votze" mit Kreide auf Nachbars Garagenwand geschrieben hatte.
Votze mit V, obwohl wir uns nicht sicher waren, ob das nicht doch mit F geschrieben wird. Akademische Diskussionen mit elf Jahren, und wir hatten ja sowieso keine Ahnung. Wir spielten lieber mit Lego oder bauten Hütten im Wald.
Musik interessierte mich nicht wirklich, das änderte sich erst, als ich mir zwei, drei Jahre später einen Stereo-Cassettenrecorder von meinem Ersparten kaufen durfte. Ab da nahm ich Musik aus dem Radio auf, kaufte bald meine erste Single, stellte selbst Tapes mit Radioaufnahmen zusammen.
Und ab da wusste ich, wo in unserer Kleinstadt die beiden Plattenläden sind. Und im Fenster des einen, neben dem Schuhaus Mayer - das hat sich wie eine Fotografie in mein Gedächtnis eingebrannt - lag im Schaufenster das Album "Opel-Gang" von DIE TOTEN HOSEN.
Ich muss davor stehen geblieben sein, betrachtete das Cover mit dem aufgebockten, babyblauen Rekord-Kombi, und irgendwas verstörte mich. Gekauft habe ich die Platte nicht, ich hörte lieber YES, YAZOO, IDEAL und FOREIGNER, aber ungefähr ein, zwei Jahre später dann fand ich diese Platte bei einer Freundin.
Angehört, aufgenommen, und ich war begeistert. Absolut alle Lieder auf dieser Platte sind phantastisch, ich würde sogar so weit gehen, sie als eine der fünf besten deutschen Punkplatten aller Zeiten zu benennen.
Und Himmel, wie grandios war es, bei der Klassenfahrt dem Busfahrer ein Tape mit "Opel-Gang" unterzujubeln - spätestens bei "Hofgarten" flog es raus, die Klassenlehrerin brachte den Schweinkram mit hochrotem Gesicht in die letzte Reihe zurück, mit dem Kommentar "Wir sprechen uns noch!".
Und der ganze Bus johlte.Zwischenzeitlich waren die Hosen bekannter geworden, liefen bei "Formel Eins", der wöchentlich Videoclip-Show, verwirrten mit dem komischen Rap-Song "Hip Hop Bommi Bop", doch ein echter Fan wurde ich nicht, hörte zunehmend lieber Düsterkram wie SISTERS OF MERCY.
Aber die Hosen blieben im Hintergrund präsent, die waren Punks, ich war einer, das passte. Und dann der Skandal, als die Hosen auf der "Bis zum bitteren Ende"-Tour in unser Kaff kamen - ein Konzert im "Jugendtreff", der bald darauf abgerissen wurde und von dem Springers Drecksblatt "Bild" behauptete, hunderte Punks hätten die Fußgängerzone verwüstet.
Das eigens gedruckte Plakat hängt bei mir bis heute an der Wand. "Unter falscher Flagge" war zwischenzeitlich erschienen, ich kaufte ein paar Jahre später die unzensierte Version einer Freundin ab, und obwohl ich kein expliziter Fan der Hosen war, traf es mich, als das "Never Mind The Hosen Here's Die Roten Rosen"-Album erschien.
Klar, das war Rummelplatzmusik pur, aber unter Punks verstand man das. Mich kotzte allerdings an, dass plötzlich all die Bauerndeppen aus der Parallelklasse, die Mopedfahrer und Fußballspieler, die vorher für uns mit den Stehhaaren nur Spott und Verachtung übrig gehabt hatten, plötzlich auch DIE TOTEN HOSEN hörte.
Ich glaube, es war der Auslöser für den Knacks in der Beziehung zwischen den Hosen und mir. Ein oder zwei Jahre später, mit "Ein kleines bisschen Horrorschau" feierten die Hosen inzwischen große Charterfolge, kam dann das vorläufige Aus für mich und die Hosen: Auf dem Parkplatz von Möbel Inhofer in Senden bei Neu-Ulm fand ein Festival statt, auf dem NEW MODEL ARMY spielten.
Die wollte ich sehen, und DTH war ich auch bereit mitzunehmen. Und dann spielten da doch echt auch noch die Schunkelrocker STATUS QUO, nachmittags, auf dem Möbelhausparkplatz ... Cool geht anders, doch die Leute, die die Hosen mittlerweile zogen, schockierten mich: schwäbische Schnauzbartbauern mit Hosenträgern in Deutschlandfarben, die alle Refrains mitgrölten und im Takt klatschten.
Ich wusste nur eins: Ich war raus. ... und kam wieder rein. Mit "Learning English Lesson 1" schwante mir, dass die Düsseldorfer ihre Seele doch noch nicht ganz dem Kommerz verkauft hatten, die Coversongs und die Hilfe diverser Punklegenden konnten nicht von ungefähr kommen.
Seitdem bin ich ein distanzierter Freund der Band. Nein, mir gefällt kein Album aus den Neunzigern und der Jetztzeit vorbehaltlos, aber die Hosen gehören einfach dazu, sie sind ein Phänomen, sind eine Macht, sind, nun ja, "Popkultur", und irgendwie bin ich auch stolz, dass mit DIE ÄRZTE und DIE TOTEN HOSEN gleich zwei von "unseren" Bands es geschafft haben, dem Mainstream eine lange Nase zu machen, denn mal ehrlich, was ist denn die Alternative: Die SCORPIONS als größte deutsche Rockband, immer nur Grönemeyer und Westernhagen ganz oben in den Charts? Nein, dann bitte auch für die nächsten zehn Jahre noch DTH und DÄ.
Ach so, den Anlass dieses Textes hätte ich beinahe vergessen: Auf ihrem hauseigenen Label JKP haben die Hosen, passend zu Weihnachten, wo man ja immer auf der Suche nach passenden Geschenken ist, fast alle ihre Alben neu aufgelegt - vom 1983er Debütalbum "Opel-Gang" bis zu "Auswärtsspiel" von 2002.
Alle kommen im Mehrfach-Digipack-Klappcover, alle haben diverse Bonustracks, alle sind neu gemastert, alle haben ein superdickes Booklet mit zusätzlichen Fotos und einem Interview zur jeweiligen Bandphase, geführt von Jan Weiler.
Das alles sind perfekte Packages - sogar die seltsame Cover-Platte von Mitte der Achtziger ist als Bonus dabei, auf der die Hosen so grandios verschiedene Rockmusikstile verarschen, dass bei einem Blind Date selbst ihr späterer Drummer Vom nicht drauf kam, dass sie das sind.
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