DIE TOTEN HOSEN

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A Criminal In A Lunatic Asylum

„So richtig kommt man von den Hosen ja dann doch nicht weg, nenn’ es Hassliebe oder die Unfähigkeit, sie völlig zu ignorieren oder was auch immer.“ schrieb Joachim vor ein paar Jahren in einer TOTEN HOSEN-Rezension. Und kürzlich dann auch noch das hier: „Nein, mir gefällt kein Album aus den Neunzigern und der Jetztzeit vorbehaltlos, aber die Hosen gehören einfach dazu, sie sind ein Phänomen, sind eine Macht, sind, nun ja, ‚Popkultur‘.“ Es wäre gelogen, wenn ich behauptete, dass ich anders dächte. „Kauf mich!“ war damals der Punkt, an dem ich beschloss, dass die Düsseldorfer ihren Weg wohl ohne mich weiter gehen werden müssten. Zwar gab es bis heute immer wieder mal einen Song der Hosen, der mich begeistern konnte, dem standen dann aber leider viele gegenüber, die mich gänzlich kalt ließen. Komplett aber wollte auch ich nicht von der Band lassen, behielt zumindest ihr Tun im Auge. Es scheint also, als ob wir zwei genau die richtigen wären, um DIE TOTEN HOSEN anlässlich ihres neuen, vierzehnten, Albums „In aller Stille“ zu interviewen (zum ersten Mal in 20 Jahren Ox übrigens). Als Interview-Partner entschieden wir uns für Schlagzeuger Vom Ritchie, ein Freund des Hauses quasi. Nicht, weil wir nicht mit den anderen Hosen sprechen wollten oder sie scheuten, es hat sich aus persönlichem Mail-Verkehr so ergeben. Bevor Joachim und ich uns mit Vom in seiner berühmt-berüchtigten Kellerbar ein paar Stunden unterhielten (und dabei gepflegt Alkohol konsumierten), konnten wir uns anhand seiner eigenen Vorab-Kopie von „In aller Stille“ einen ersten Eindruck von der Platte machen.

Wie viel Vom Ritchie steckt im neuen Hosen-Album?


Was die Drums angeht, hoffe ich doch, dass es hundert Prozent sind und keiner einen „Ringo“ aus mir gemacht, also alles neu eingespielt hat, während ich nicht da war. Nein, das Album ist ein wirkliches „back to the roots“-Ding, komplett im Proberaum in Düsseldorf mit der ganzen Band entstanden. Ich kann zwar keine Songwriting-Credits für mich beanspruchen, aber es kamen eben von allen fünf Elemente dazu, während sonst eher schon fertige Ideen umgesetzt wurden. Es war alles sehr spontan, die Songs im ständigen Wandel und mit Platz für Experimente. Wobei, Experiment ist das falsche Wort: wir haben einfach „stripped down“ gespielt, ohne einen vorherigen Plan, wo das hinführen soll. Allerdings kehrt man in neun von zehn Fällen doch wieder zu den ersten Versionen zurück.

Warum neigen Bands, die schon viele Jahre aktiv sind, zu langen Studio-Aufenthalten, während noch ganz junge ihren Kram recht flott einspielen? Ist der Anspruch an sich selbst so hoch, muss man gewisse Erwartungen erfüllen?

Ja, die Erwartungen des Publikums sind sicher ein Grund, die sind einfach höher als an eine neue Band. Zudem wird man sich selbst gegenüber viel kritischer. Je größer, je erfolgreicher eine Band wird, umso mehr Geld und Zeit hat sie für die Aufnahmen, was manchmal aber auch problematisch sein kann. Wenn du gerade erst anfängst und kein Budget hast, dann bist du aufgeregt, enthusiastisch und spielst einfach drauf los: rau und aggressiv. Im Laufe der Jahre neigt man dann dazu, alles etwas aufzupolieren, professioneller erscheinen zu lassen, was es nicht zwangsläufig besser macht. Alles Geschmacksache, aber ich hab’s nicht so mit brillantem technischen Können, ich mag das pure, raue „heart and soul feeling“ eines Songs, quasi dessen erste Inkarnation. Etwas länger im Studio zu bleiben, kann aber natürlich auch von Vorteil sein, man kann dann manchmal so lange an einem guten Song arbeiten, bis er richtig perfekt ist, was uns sehr häufig passiert ist. Bei „In aller Stille“ ist aber eine sehr unpolierte Platte, mit einem „so wie früher“-Gefühl und ich bin sehr glücklich damit, wie es geworden ist und hoffe, dass wir beim nächsten Album ähnlich arbeiten.

Zum ersten Mal in ihrer Karriere haben DIE TOTEN HOSEN nicht mit Jon Caffery als Produzenten gearbeitet.

Wir hatten das Gefühl, dass es Zeit für etwas Neues ist, für frisches Blut. Nichts gegen Jon, er und seine Arbeit sind fantastisch und wir sind sehr gute Freunde, aber wir wollten einen anderen Blickwinkel auf unsere Musik, andere Ideen und eine andere Herangehensweise. Wir waren in einer Art Routine und entweder bleibst du bei deiner Formel oder du versuchst daraus auszubrechen, um etwas noch Besseres zu erreichen. Und ich denke, wir haben das geschafft. Zudem gab es mehrere Änderungen, auch in unserer Livecrew, aber so etwas passiert eben, wenn man sich verbessern will.

Wer hat das Album denn produziert?

Wir haben zuerst nur die Demos zur Platte, dann aber das Album selbst auch in den Principal Studios in der Nähe von Münster mit Vincent Sorg aufgenommen ... dabei fällt mir ein, dass ich ihn erst für den Tontechniker gehalten habe und auch so auf der Bonus-DVD des Albums gennant habe, dafür muss ich mich noch entschuldigen. Aber ich wusste das nicht, mir sagt so was ja niemand! Das Studio ist jedenfalls fantastisch: riesig und mit einem großartigen Raum für das Schlagzeug. Vincent hat extrem schnell und energetisch gearbeitet, diese Energie, dieses Tempo ist auch auf uns übergegangen und meine Drums klingen einfach fantastisch, besser geht’s nicht. Wir haben auch nicht drei Monate am Stück aufgenommen, sondern haben immer wieder Pausen eingelegt, sind zurück in den Proberaum, um an den Songs zu arbeiten, haben unserem Label JKP die Sachen gezeigt. Im Studio selbst waren wir dann aber immer unheimlich schnell. Das klingt zwar nach Stress, war für mich aber eine entspannte Arbeitsweise, weil es sich nicht wie ein Job anfühlte, den man von morgens bis abends macht. Außerdem steht in dem Studiokomplex ein Billardtisch, was ich sehr geschätzt habe: ein paar Runden spielen und dann zurück zu den Aufnahmen. Ich kann das nur empfehlen. Allerdings trägt Vincent einen Pferdeschwanz, den ich ihm abschneiden wollte, denn: hinter einem Pferdeschwanz steckt ja eigentlich ein Arsch und er ist ja keiner, haha.

Dass „In aller Stille“ zum Teil aggressiv und dicht, aber auch sehr differenziert und frei klingt, hat sicherlich nicht nur produktionstechnische Gründe.

Nun, wir hatten erstmals ein komplettes Jahr Pause von der Band. Davor waren es im Grunde sieben Jahre am Stück: Studio, Tour, Studio, Tour. Als wir uns dann wieder getroffen haben, waren wir alle wieder richtig heiß auf die Band, die Batterien waren wieder aufgeladen, es herrschten absolut „positive vibes“. Manchmal braucht man einfach eine Auszeit, um wieder Energie zu tanken, um sich um sein Privatleben kümmern zu können. Das Bandfeeling war für mich nie besser als jetzt. Jede Band sagt zwar bei einem neuen Album „this is the best album, we’re getting along great, bla bla bla“, aber es hat sich einfach gut angefühlt und ich war selten so frei in meinem Spiel. Die Hosen haben eine bestimmte Art, wie sie funktionieren, damit sind sie erfolgreich und ich sage den anderen sicher nicht, wie etwas zu laufen hat, aber je länger wir zusammen arbeiten und Zeit miteinander verbringen, umso besser fühle ich mich. Ich werde zwar immer „der Neue“ bei den Hosen sein, der Ron Wood der TOTEN HOSEN aber so langsam vertrauen sie mir ... glaube ich, haha ...

Du hast ja auch einen anderen Background als sie, kommst aus der englischen Punkszene, während die Hosen aus dem deutschen Punkrock stammen. Trotz aller Gemeinsamkeiten gibt es da doch Unterschiede, und sei es nur, was den Humor oder die Kultur angeht. Wie passt du da rein?

Bei den TOTEN HOSEN zu sein fühlte sich anfangs tatsächlich so an, wie in einem anderen, fremden Land zu sein. Unsere Geschmäcker variieren stark und am Anfang dachte ich, ich würde ständig gegen sie kämpfen. Aber jetzt wissen sie, dass ich das nicht negativ meine und dass ich Teile ihres Humors verstehe, andere dagegen nicht. Und andersrum genauso. Wir lernen also voneinander. Seit ich bei den Hosen bin, habe ich viele verschiedene musikalische Stile kennen gelernt, die ich vorher nicht beachtete. Kuddel war da eine große Inspiration, hat mich zu Sachen auf dem Schlagzeug gebracht, an die ich mich ohne ihn nie rangetraut hätte. Ich war ziemlich engstirnig, ein „one, two, three, four, let’s have it, let’s go“-Typ und erst etwas ängstlich davor, womit Kuddel jetzt wieder ankommen könnte Ich befürchtete, dass seine Ideen die Power aus dem Song nehmen würden und ähnliches. Ich dachte, was will er mir überhaupt sagen? Er ist doch nur ein „fucking lefthanded guitar player“. Aber Kuddel ist auch ein sehr guter Drummer, saß da falsch rum am Schlagzeug und spielte besser als ich! „Fucking bastard, you won again ...“ Da bin ich jetzt also viel offener, für Vorschläge und auch für Kritik, die ich nicht mehr so persönlich nehme. Und mit Campino kannst du eh nicht diskutieren, da kannst du dich lieber direkt aufhängen, haha. „Scheiße, was ist das denn? Vom, du Arschloch“, haha. Andererseits bekomme ich auch Lob für meine Schlagzeug-Ideen: „Well done, Vom. Das erste Mal, dass du was richtig gemacht hast in zehn Jahren“, haha.

Wie lange war denn deine Probezeit?

Ich glaube, die gab es nicht. Campino hat an mich geglaubt, sonst hätte er mich nie gefragt, ob ich bei den Hosen einsteigen will. Er nimmt so etwas nicht auf die leichte Schulter. Eventuell hatten sie zuerst Angst, dass ich es vermurkse, weil ich zu betrunken oder zu wild bin oder mich nicht darauf einlasse, was sie musikalisch machen möchten. Aber jetzt haben wir einen super Kompromiss geschlossen und es läuft fantastisch. Bis nächste Woche ...

Gibt es aktuelle Musik, aktuelle Bands, auf die ihr euch einigen könnt?

Nicht wirklich. Ich bringe immer mal wieder Platten mit und sage „this is the best thing I ever heard“ und sie sehen zur Seite und sagen „Hm, ja, hm.“ Momentan bin ich ein Riesenfan von M.O.T.O. und THE POWERCHORDS. Diese Unschuld, diese Melodien, diese Songs sind fantastisch! Wie schon gesagt, interessiert mich die technische Seite, die Produktion überhaupt nicht, sondern der rohe Song an sich. Kuddel ist da ganz anders, den begeistern gute Produktionen – mich nur gute Songs, keine sechsarmigen Drummer. Dabei es geht nicht darum, ob etwas „underground“ ist, es müssen nur gute Songs sein. Ich könnte so etwas wie die Musik von M.O.T.O. aber nicht bei den Hosen unterbringen, die bewegt zwar mich, aber nicht unbedingt sie. Die Hosen sind schon weiter als das.

Du bist nicht allzu groß und recht dünn. Wie hältst du ein über zwei Stunden langes Hosen-Konzert durch?

Ich halte meine Nasenlöcher in perfekter Form, haha. Nein, ich bin wohl ein Getriebener, ich kann gar nicht anders. Ich weiß auch nicht wie, aber ich bekomme das irgendwie hin. Ich liebe das Spielen einfach, es fühlt sich nicht nach Arbeit an, es macht Spaß. Ich mache auch kein Fitness-Training, ich laufe auf „nervous energy“. Ich war schon als Kind extrem nervös, meine Mutter hat mich sogar zum Kinderpsychologen gebracht, weil ich diese nervösen Zuckungen und Ticks hatte, vor allem im Gesicht. Ich habe ständig meinen Kopf ruckartig bewegt und mit dem Mund gezuckt und andere eigenartige Dinge getan, aber ab dem Moment, als ich das erste Mal Schlagzeug gespielt habe, war das vorbei. Bis dahin hatte ich nur zwei Möglichkeiten: entweder kriminell zu werden oder im Irrenhaus zu landen. Oder beides: a criminal in a lunatic asylum. Ich habe ja sogar mal Jura studiert, aber könnt ihr euch vorstellen, wie das später ausgesehen hätte? „Wer verteidigt sie?“ „Der Typ da hinten“ „Der Zuckende in der Zwangsjacke?“ „Ja, genau der.“ Auf der Bühne mache ich zwar auch komische Bewegungen, aber die sind lange nicht so albern wie diese Ticks. Eine leichte Verbesserung also.

Es war überraschend, dich neulich in London als Drummer von CRASS’ Steve Ignorant bei der „The Feeding Of The 5000“-Show zu sehen. Die Differenz zwischen dem und DIE TOTEN HOSEN ist ja schon recht groß, was die Entwicklung von Punkrock angeht.

CRASS waren meine Helden, als ich ein Teenager war. Und als ich gefragt wurde, ob ich das machen will, konnte ich gar nicht nein sagen. „The Feeding Of The 5000“ ist aber ein ungemein schwieriges Stück Musik, Penny Rimbaud ist nun mal eher ein Jazzdrummer. Es war für mich nicht einfach, die Platte spielen zu lernen, schließlich erwarten die Fans ein gewisses Niveau. Kein einheitliches Niveau hatte aber das Theater, in dem das Konzert stattfand, durch die abfallende Schräge der Flure fühlte man sich schon beim Gehen betrunken. Und ständig kotzte irgendein Punk auf den roten Plüschteppich. Das sickerte aber nicht ein, so dass man später ständig darauf hin und her glitt. Es war aber kein großer Unterschied zu einem Hosen-Konzert.

Ob jetzt zehntausende „Zehn kleine Jägermeister“ singen oder knapp zweitausend „Do they owe us a living?“ ist also relativ egal, weil das im Grunde eh alles Punkrock ist?

In der Tat ist da kaum ein Unterschied. Ganz egal, wie viele Leute DIE TOTEN HOSEN als Mainstream abstempeln, in ihrer Attitüde sind sie ganz klar Punks. Ein Hosen-Konzert kostet 29 Euro, während jemand wie Phil Collins in dem selben Laden über 85 Euro nimmt. Auch das Merchandise ist viel günstiger als das von Bands vergleichbarer Größe. Ich habe heute erst irgendwo gelesen, dass die Hosen es so langsam sein lassen sollten, aber warum? Solche Leute denken, dass sie nie alt werden, dass sie immer so bleiben wie sie sind. Die Zeit bleibt aber nicht stehen. Wir werden nun mal alle älter, aber wenn man dann immer noch diese Energie spürt wie wir es tun, dann fühlt es sich nicht viel anders an, als wäre man erst achtzehn. Die Hosen funktionieren nicht nach dem Prinzip „Lass uns noch ein Album machen und Geld verdienen“, wir geben immer noch eine ganze Menge an die Fans zurück und sind wirklich überzeugt von dem, was wir tun. Ich bin verdammt stolz auf uns. Wir biedern uns nicht nicht an, wir wollen das so machen. Diese ganzen „Sell out“-Vorwürfe sind doch albern. Was ist falsch daran, live die Songs zu spielen, die das Publikum mag, selbst wenn ich andere Songs vielleicht besser finde? Das mag heuchlerisch klingen, aber ich finde das so okay.

Joachim Hiller, André Bohnensack