NOFX

Self/Entitled

Fat Mike ist ein gnadenlos ehrlicher Typ: Ehe gescheitert? Ja, und? Alkoholproblem? Ja, und? Vorliebe für S/M inklusive Studio im Keller und Beziehung zu einer Domina? Wo ist das Problem? Weltweiter Alarm wegen Menschen, die mit ihrer Religiosität nicht entspannt umgehen können? Schreib einen Song und veröffentliche ihn (un)passenderweise genau zum Höhepunkt der Aufregung.

„72 hookers“ ist der Opener des neuen, zwölften NOFX-Albums, das die seit 1997 gültige „Alle drei Jahre ein Album“-Regel fortsetzt, und darin bietet Mike die Lösung für islamistischen Terror und gegen Selbstmordattentäter an: Die Typen bekommen einfach nicht genug Sex, junge Männer wollen eigentlich nur ficken, und dürfen/können sie das nicht, kommen sie auf dumme Ideen.

Also: nicht die 72 Jungfrauen, die angeblich nach ihrem Tod im Paradies auf die Märtyrer warten, sind die Lösung, sondern hunderttausende Nutten. „100.000 hookers can beat the Marine Corps“ lautet Fat Mikes außenpolitisch-militärische Maxime, „make love not war“.

Plumpe Provokation? Nein, denn im Kern die treffende Analyse der Probleme der islamischen Welt, in der weitaus mehr als im Westen strenge Regeln alter, korrupter Männer der Jugend das Leben versauen, wobei 19-jährige US-Marines genauso Opfer ihre Regierung sind.

NOFX sind, das zeigt dieser Text, immer noch eine, wenn nicht die wortgewaltigste US-Punkband, denn auch „I believe in goddess“ (ein smartes Statement in Sachen Religion) oder „Ronnie & Mags“ (ein kleiner Hinweis, dass es Maggie Thatcher und Ronald Reagan waren, die uns viel der heute noch nervenden Scheiße eingebrockt haben), und „Secret society“ (kann man als leicht verklausuliertes Bekenntnis zu eingangs erwähnter S/M-Vorliebe werten) sind das Gegenteil komplexer, diplomatischer lyrischer Ergüsse, die niemandem auf die Zehen treten wollen, sondern klare Ansagen.

Auch in „I’ve got one Jealous Again, again“ plaudert Mike aus dem Nähkästchen, es ist die Fortsetzung von „We got two Jealous Agains“. Seinerzeit sinnierte er mit viel Namedropping darüber, wie man als Ehepaar seine Plattensammlungen vermischt – und jetzt wird er persönlich und wirft seiner Ex Erin vor, sie habe SURVIVOR gehört, und, sinngemäß, da habe er gewusst, dass es vorbei ist.

Ehe kaputt, Plattensammlung wieder geteilt, nur noch eine Kopie von „Jealous Again“ im Haushalt. Sympathischer und nerdiger kann man die Grundlagen einer Punk-Ehe nicht auf den Punkt bringen.

Musikalisch sind NOFX in den zwölf Songs so griffig wie eh und je, nur bei einem Song („Cell out“, für den Eric Melvin als Co-Autor genannt wird) wird vom Trademark-Sound leicht abgewichen und mit Keyboard-Einsatz eine ungewohnt poppige Note hinzugefügt.

Es wäre leicht zu fordern, die Welt brauche mehr junge, frische Punkbands, die ihre Wut und Meinung artikulieren und damit Erfolg haben, oder zu sagen, dass eine Band von Ü40ern, die ihr zwölftes Album abliefert, schwerlich diesem Anspruch gerecht werden kann, aber die Fakten sprechen eine andere Sprache: An NOFX kommt auch 2012 keiner ran, und sie tun einem auch nicht den „Gefallen“, in Richtung U2-Gigantismus abzudriften wie die unter ähnlichen Voraussetzungen gestarteten GREEN DAY.