NOFX

Foto

Nichts als die reine Wahrheit

Im Frühjahr 2016 erschien mit „The Hepatitis Bathtub and Other Stories“ die von den NOFX-Mitgliedern und Jeff Alulis verfasste „Autobiographie“ der Band und wurde zum Bestseller. Und Anfang Oktober kommt „First Ditch Effort“, das 13. Studioalbum der Kalifornier. Gleich zwei gute Gründe, mal wieder mit Fat Mike zu telefonieren – und da aller guten Dinge drei sind, sei erwähnt, dass Mike, Jahrgang 1967, zum Zeitpunkt des Interviews Mitte Juli seit zweieinhalb Monaten trocken war. Eine positive Nachricht angesichts einiger nicht so guter NOFX-Konzerte in den letzten Jahren, bedingt durch das alkoholisierte Auftreten des Frontmanns.

Mike, ich habe mir eben bei YouTube eure Pressekonferenz vom März zur Vorstellung des Buchs angeschaut. Da geht es unter anderem um euren, deinen Drogen- und Alkoholkonsum. Wie ist der Stand der Dinge?

Derzeit trinke ich weder Alkohol noch nehme ich Drogen. Seit zweieinhalb Monaten.

Einfach so? Oder hattest du professionelle Hilfe?

Ich habe eine Woche Entgiftung gemacht, in einer Einrichtung, unter Aufsicht eines Arztes. Nach sechs Tagen haben sie mich wieder gehen lassen und ich ging auf Tour. Ich habe viel Sport gemacht seitdem. Ehrlich gesagt war das alles kein großes Thema für mich, ich hatte in all den Jahren immer wieder trockene Phasen, eine Woche oder so. Ich habe im Verlauf des letzten Jahres echt verdammt viele Drogen genommen. Wir nahmen die neue Platte auf, und ich war jeden Tag voll drauf. Es ist die erste Platte, die ich voll auf Koks gemacht habe. Und getrunken habe ich auch jeden Tag. Und dann hatte ich irgendwann die Schnauze voll davon. Aber es war nicht so, dass es einen krassen Absturz gab. Es war eher die Erkenntnis, dass es ziemlich dumm ist, mit knapp 50 jeden Tag Drogen zu nehmen. Ich hätte das Aufhören auch allein durchziehen können, aber mit etwas Hilfe von außen ist es nicht ganz so schwer.

Hattest du je einen Moment, wo du es mit der Angst zu tun bekamst? So von wegen „Mist, ich will nicht sterben, ich höre jetzt besser auf“.

Hm, es gab schon ein paar Nächte, wo ich dachte: „Oh shit, hab ich vielleicht etwas viel eingeworfen?“ Aber es war nie in letzter Sekunde, ich war immer recht klug im Umgang mit meinem Drogenkonsum. Es gab Situationen wie bei Sex auf Koks, wo ich merkte, dass mein Herz wirklich raste, aber Todesangst hatte ich nie. Ich hatte eine gute Zeit mit den Drogen, siebzehn Jahre lang, aber ich fand, es war jetzt Zeit für eine Veränderung. Ich plane jetzt, erst mal ein Jahr sauber zu bleiben, aber ich kann mir nicht vorstellen, für den Rest meines Lebens auf Alkohol zu verzichten. No way!

Was hat sich in deinem Leben verändert in den letzten Monaten, in deinem Verhalten, deiner Persönlichkeit? Wie reagiert dein Umfeld?

Ich hatte mich wohl zu einem ziemlichen Idioten entwickelt. Meine Frau und ich stritten uns wegen jedem Scheiß, und diese Erkenntnis war ein wichtiger Grund aufzuhören. Sie hörte einen Monat vor mir mit allem auf. Ich konnte zu dem Zeitpunkt nicht, weil ich auf eine dreiwöchige Lesereise anlässlich der Buchveröffentlichung gehen musste. Wenn ich drei Wochen lang jeden Tag Bücher signieren muss, kann ich nicht vorher mit allen Drogen aufhören. Aber direkt danach hörte ich auf, und es ist erstaunlich, wie viel leichter mir alles fällt, seit ich nicht mehr ständig Party mache. Morgens aufstehen, Sport machen, was mit dem Kind unternehmen, Surfen, Golfen, Songs schreiben – alles fällt leichter. Du verbringst nicht mehr so viel Zeit, high zu werden oder darauf zu warten, dass du dich wieder besser fühlst. Aber versteh mich nicht falsch, ich bin immer noch der Meinung, dass Drogen nützlich sind und Spaß machen, aber ich steckte echt zu tief drin und brauchte eine Pause. Und viele haben mir gesagt, dass ich jetzt glücklicher aussehe.

Gut, wenn man zu dieser Erkenntnis in der Lage ist, und noch viel besser, wenn man es schafft, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Vielen Menschen gelingt das nicht. Aus deinen Äußerungen im Zusammenhang mit dem Buch schließe ich, dass speziell der Tod von Tony Sly von NO USE FOR A NAME im Juli 2012 dich schwer mitgenommen hat.

Als Tony starb, traf mich das sehr. Ich veränderte daraufhin meinen Umgang mit Drogen. Eine Ursache für seinen Tod war der Drogencocktail, den er zu sich nahm. Er mischte Substanzen, die man besser nicht mischt: Schmerztabletten und Xanax. Und dazu trank er noch viel Alkohol. Nach seinem Tod zog ich deshalb die Konsequenzen und hörte auf, Drogen durcheinander zu nehmen. Ich hatte auch nie Bock, die ganze Nacht über wach zu bleiben. Ich war fortan also etwas vorsichtiger, allerdings nahm ich auch immer häufiger Drogen. Wenn man mal ein paar Monate Schmerzmittel nimmt, kannst du damit aber nicht so einfach aufhören – du wirst krank, wenn du das tust. Was mich von anderen unterscheidet, ist die Tatsache, dass ich mit Drogen erst im Alter von 32 Jahren anfing. Ich kenne also ein Leben ohne Drogen, ich bin das nicht von frühester Jugend an gewohnt. Ich fing spät damit an, und jetzt habe ich eben wieder damit aufgehört. Keine große Sache.

In welcher Hinsicht haben dir Drogen in den letzten Jahren etwas vorgemacht? Hast du dich smarter, leistungsfähiger oder glücklicher gefühlt deshalb?

So weit würde ich nicht gehen. Ich nahm Drogen in der Regel, wenn wir auf Tour waren. Sie gaben mir nicht das Gefühl, jemand anderes zu sein oder so, aber ich spiele diese Songs nun schon seit 33 Jahren und ich hatte eine gewisse Gewohnheit entwickelt: Irgendwie verbummelte ich den Tag, und dann hieß es, bald muss ich auf die Bühne. Und so fing ich an zu trinken, soff mich schon vor der Show richtig zu. Und dann hatte ich auf der Bühne richtig viel Spaß. So ticke ich eben. In meinem Kopf rattert es unaufhörlich, ständig mache ich mir über irgendwas Gedanken. Wenn ich trinke, dann kann ich mich auf eine Sache konzentrieren, die Show, und habe Spaß dabei. Nach der Show habe ich dann immer Kokain genommen, als Belohnung nach getaner Arbeit. Kokain an sich ist nicht super, aber du kannst damit einfach weitersaufen, hahaha.

Besoffen auf der Bühne hast du dich vielleicht super gefühlt, aber im Publikum kam das nicht immer an ... 2014 sah ich euch in Wiesbaden, und die Show war richtig beschissen. Ich habe dich gehasst für diesen miesen Auftritt einer meiner Lieblingsbands.

Das du uns Scheiße fandest ist schon okay. Mir war das Publikum egal. Es ging mir darum, dass ich Spaß habe. Wenn man das so angeht, ist die Konsequenz, dass manche Konzerte großartig sind – und andere Scheiße. Es kommt, wie es kommt. Aber mir ging es noch nie darum, alle glücklich zu machen. Ich versuche einfach jeden Abend eine gute Show abzuliefern. Das Ding mit NOFX ist, dass wir keine Routinen haben. Wir improvisieren, jeden Abend. Und wenn man so vorgeht, sind manche Abende richtig lustig – und andere eben nicht. Wir gehen jeden Abend mit einer anderen Setlist auf die Bühne. Und dann sind da Songs dabei, wo mich die anderen fragen, warum wir diesen shitty Song spielen sollen. Ganz einfach: Weil mir danach ist. Wir spielen nicht bei jeder Show unsere Hits, von „Linoleum“ mal abgesehen. So bleiben die Auftritte für mich interessant. Wenn ich einen Auftritt durchstehe, dann gut, und wenn nicht ... ich entschuldige mich für nichts. Ich habe übrigens auch schon Shows auf Ecstasy gespielt, und dann sagten mir die einen, wir seien super gewesen, und die anderen fanden es scheiße. Ja, so ist Punkrock eben.

Ich habe gerade noch mal die GG Allin-Doku „Hated“ gesehen, und da wird klar, dass viele Menschen zu den Konzerten kamen, weil sie sehen wollten, was der Typ so anstellt, die waren vor allem an der Sensation interessiert. In einem gewissen Maße sehe ich das bei euch auch so: „NOFX? Da geh’ ich hin, mal sehen, was Fat Mike diesmal wieder so anstellt.“

Ja, diesen Aspekt gibt es: „Wie sehr verkackt es Fat Mike heute Abend wohl wieder?“ Aber das ist okay. Ich habe GG mal Ende der Achtziger live gesehen. Der schiss auf die Bühne, nahm die Scheiße in den Mund und spuckte sie ins Publikum. Mann, das war echt Hardcore! Ich war ein „fabulous disaster“, ein Unfall mit Ansage, das machte die Leute neugierig, sie wollten wissen, was passiert. Aber das ist erst mal vorbei, für die nächsten ein, zwei Jahre, wahrscheinlich für den Rest meines Lebens. Der Typ, den sie kannten, bin ich nicht mehr.

Aber das heißt nicht, dass du auf Kicks und gewisse Extreme verzichtest. Du sprichst sehr offen über deine sexuellen Vorlieben und Praktiken und das, was dir zu Kicks verhilft.

Da muss ich eines klarstellen: Meine sexuellen Präferenzen haben nichts mit Kicks zu tun, das ist meine sexuelle Identität. Seit meinem zwölften Lebensjahr bevorzuge ich BDSM. In Bondage zu sein, gefesselt, das bin ich. Andere sind schwul, oder bisexuell, und ich bin BDSM. So ticke ich eben. Wenn ich gefesselt bin, oder in ein sehr kleines Behältnis gesperrt, wenn ich in diese Position gezwungen werde, dann kann ich entspannen. Mein Kopf rattert unaufhörlich, doch wenn man mir befiehlt, was ich zu tun habe, wenn ich mich nur noch auf das Atmen konzentrieren kann, dann ... bin ich am glücklichsten. Das ist wie Buddhismus.

Eine Form von Meditation?

Ja, für mich ist BDSM wie Meditation. Wenn ich schlecht drauf bin, wenn irgendwas schiefläuft, packt meine Frau mich, stülpt mir eine Kapuze über und fesselt mich. Und dann komme ich runter, das funktioniert für mich.

In eurem Buch seid ihr genauso offen wie du jetzt in diesem Interview. Hatte der Entstehungsprozess des Buches eine therapeutische Wirkung auf euch? Und warum habt ihr euch entschlossen, so viel von euch preiszugeben?

Ja, du hast schon recht, die Interviews für das Buch waren so was wie Gespräche mit einem Therapeuten. Was nun unsere Offenheit betrifft, so habe ich schon so einige Rock’n’Roll-Bücher gelesen, „The Dirt“ von MÖTLEY CRÜE etwa, und „Please Kill Me“. Und ich fand, dass unsere Geschichte anders ist als alle anderen. Lass mich etwas ausholen: Ich mag es nicht, mittelmäßige Songs oder Platten zu veröffentlichen. Und deshalb wollte ich, dass es ein Enthüllungsbuch wird. Ich sagte zu den anderen: Wenn wir ein Buch machen, dann erzählen wir alles. Es geht ja auch darum, die Grenzen der Kunst zu erweitern. Vieles, was wir da erzählen, war schmerzhaft, aber die Rezensionen des Buchs sind großartig, wir waren sogar einige Wochen in der Bestseller-Liste der New York Times. Die Menschen, die es gelesen haben, sind begeistert. Das Problem vieler Biographien ist doch gerade, dass nichts Persönliches offenbart wird. Aber das ist es doch gerade, was man lesen will. Du liest eine Biographie, weil du alles über den Typen wissen willst. Und dann ist es doch geradezu deine Pflicht als Autor, den Menschen auch zu geben, was sie erwarten. Wenn du was zurückhältst, verfälschst du das Bild.

Aber was hat man davon, dass man Privates öffentlich macht?

Es geht nicht um Kicks! Ich bin ein Missionar. Und ich weiß, dass mein Kapitel über meine Vorliebe, mich wie eine Frau zu kleiden, vielen Menschen mit einer ähnlichen Vorliebe geholfen hat. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich Sätze gehört habe wie „Ich habe noch nie jemanden erzählt, dass ich mich gerne wie eine Frau kleide, und jetzt, da ich das von dir gelesen habe, habe ich den Mut dazu“. Und seitdem kommen auch Männer in Frauenkleidung zu unseren Shows – weil sie das Buch gelesen haben. Genau wie mit BDSM: Manche Leute nehmen das zum Anlass, mal was Neues auszuprobieren, weil sie jetzt sehen, dass es okay ist solche Bedürfnisse zu haben. Und darauf bin ich stolz, das ist ein gutes Gefühl. Ich habe nie verstanden, warum nicht mehr Menschen sich an kinky Sex versuchen, das macht einfach viel mehr Spaß! Stattdessen sind Leute beschämt wegen ihrer Gelüste. Hast du mal das Höhlengleichnis von Platon gelesen? Die Kurzform geht in etwa so: Ein paar Typen leben schon immer in einer Höhle und kennen nichts anderes. Eines Tages geht einer von denen nach draußen, sieht die Sonne und alles, und kehrt in die Höhle zurück. Er erzählt den anderen davon und will sie nach draußen locken, doch die glauben ihm nicht, sind nicht beeindruckt. Und so ähnlich geht es mir auch immer, wenn ich über „meine“ Themen rede. Wenn du eine gute Erfahrung gemacht hast, dann willst du auch anderen davon erzählen.

Hat das für dich auch was mit Punk zu tun? Es geht bei deinen Anliegen ja auch darum, sich gegen Moralvorstellungen aufzulehnen, nach denen man sich für dieses und jenes Bedürfnis schämen oder schlecht fühlen „muss“.

Absolut! Ich habe zum jetzigen Zeitpunkt keinen Stolz und keine Schuldgefühle mehr. Ich habe mich von beidem befreit – und genau so sollten alle Menschen sein. Niemand sollte sich wegen irgendwas schämen. Scham und Stolz behindern nur dein Leben, befrei dich davon. Seit alles über mich in dem Buch steht, kann ich tun und lassen, was ich will. Ich habe das auch vorher schon gemacht, aber jetzt noch mehr – ich verstecke nichts mehr.

Aber gibt es keine Grenzen, die du niemals überschreiten würdest?

In sexueller Hinsicht oder wie meinst du das? Wie ich eben schon gesagt habe, mache ich all das ja nicht wegen eines Kicks, um zu sehen, wie weit ich gehen kann, sondern weil es meine Veranlagung ist. Ich klettere nicht auf Berge, ich springe nicht mit dem Fallschirm aus Flugzeugen – ich lebe nur meine Sexualität aus, in verschiedenen Variationen. Und da geht es nicht um mehr und mehr, weiter und weiter. Und deshalb habe ich in Sachen Drogen auch nie Heroin oder Crystal Meth ausprobiert, habe nie Kokain oder Crack geraucht. Ich lebe einfach nur so, wie es mir entspricht, und im Gegensatz zu anderen Menschen bekenne ich mich öffentlich dazu, weil an dem, was ich tue, nichts falsch ist.

Letztlich ist es eine Frage der öffentlichen Wahrnehmung einer Person. In den letzten Jahren hast du der Öffentlichkeit mehr und mehr Facetten deiner Persönlichkeit offenbart. Das führt dazu, dass das, was für dich schon immer da war, als eine Art Steigerung der „Extreme“ wahrgenommen werden kann.

Ja, das ergibt Sinn. Ich habe mich stärker geöffnet und man sieht jetzt mehr von mir. Das mit dem Fesseln mache ich seit meinem 18. Lebensjahr. Heute habe ich aber mehr Tools als damals, haha.

Du bekennst dich auch zur weiblichen Seite deiner Persönlichkeit. Nun waren AGAINST ME! schon vor vielen Jahren auf Fat Wreck, du kanntest Laura Jane Grace schon, als sie noch Tom Gabel hieß. Warst du dir damals schon bewusst, dass er diese weibliche Seite in sich hat?

Nein, er aber auch nicht. Ich habe viele Interviews mit ihr gelesen, wir haben uns darüber unterhalten, und erstaunlicherweise war sie früher nie ein Cross-Dresser. Das ist seltsam, das kam bei ihr erst später im Leben. Bei mir hingegen fing das schon als Teenager an, da trug ich Damenunterwäsche. Vor einer Weile hatte ich eine Party in meinem Haus in Las Vegas, 20 Leute oder so, und Laura Jane kam auch. Als sie reinkam, trug ich ein blaues Latexkleid – und sie meinte nur „What the fuck ...!“ Die hatte keine Ahnung, dass ich ein Cross-Dresser bin, haha. Für mich ist BDSM und Cross-Dressing so selbstverständlich, dass ich immer ganz überrascht bin, wenn jemand das nicht mitbekommen hat. In der Band und meinem sonstigen sozialen Umfeld weiß das jeder.

Als Punkrock-Berühmtheit stehst du natürlich im Licht der Öffentlichkeit. Gab es denn früher, bevor du so offen damit umgingst, den Versuch, das zu „skandalisieren“?

Eine Frau postete mal ein Foto,wie ich jemand anpisse, auf einer Party in einer Badewanne. Das Foto war bei Facebook, und ich rief sie an, sie solle das runternehmen, was auch geschah, so dass das nicht die Runde machte. Und es gab mal eine Frau, die Fotos von mir hatte und versuchte, mich zu erpressen: „Wenn die Leute diese Fotos sehen, wird dich jeder hassen!“ Ich antwortete nur: „Dann mach doch, ist mir egal.“ Und seitdem habe ich immer mehr von meiner Veranlagung öffentlich gemacht. Besser, die Leute bekommen es so mit, als wenn jemand anderes versucht, mich bloßzustellen. Mittlerweile ist es mir völlig egal, was in die Öffentlichkeit gerät.

Und wie gehst du damit in Hinblick auf deine Tochter um? Die ist elf. Wieviel darf sie wissen? Hat sie das Buch gelesen?

Klar, sie kann lesen, und man hat mir auch gesagt, dass sie das sicher mal lesen würde. Aber weißt du was? Nein, wird sie nicht. Hättest du in diesem Alter ein Buch lesen wollen, wo etwas darüber drinsteht, wie deine Eltern Sex haben? Nein! Meine Stieftochter ist 17, die hat es auch nicht gelesen und will das auch nicht. Meine Stieftochter, die heute ihren 17. Geburtstag feiert, schenkte mir zum Vatertag übrigens Stöckelschuhe, hahaha. Das war so cool! Die kennt eben meinen Kleiderschrank, und wenn du einmal im elterlichen Schlafzimmer hochhackige Schuhe in Größe 11 entdeckt hast, ist alles klar. Als sie mir die Stöckelschuhe schenkte, war ich den Tränen nahe, so süß war das. Was ich da mache, ist doch ganz normal. Also nicht normal in dem Sinne, dass das jeder macht, aber es ist ja auch nichts falsch daran, ich habe einfach nur Spaß.

Aber selbst wenn deine Kinder cool sind – andere Kinder können grausam sein, das herausfinden, deine Töchter deshalb mobben.

Das ist das Einzige, was mir Sorgen bereitet. Aber wir leben in San Francisco ... es ist eine tolerante Stadt, und wenn es eine Stadt gibt, wo so ein Verhalten wie meines niemanden aufregt, dann ist es diese. Meine Tochter ist elf, die weiß nichts von meinem Sexualleben, aber sie hat mich schon in einem Kleid auf der Bühne stehen sehen, und in L.A. haben wir mal eine Show gespielt, da trug ich Damenunterwäsche. Sie sagte zu mir: „Dad, ich weiß ja, dass du gerne ein Kleid trägst, aber du sahst aus wie eine Stripperin!“ Das war wundervoll! Vor 20 Jahren war das noch so, dass Kinder mit schwulen Eltern in der Schule gehänselt wurden, heute ist das – gerade natürlich in San Francisco – anders. Und trotzdem: Soll ich meine Sexualität verstecken, weil andere intolerant sind? Wenn meine Tochter wegen mir gehänselt werden sollte, fände ich das nicht gut – aber deshalb mein Verhalten ändern? No way! Ganz verschont geblieben sind wir von solchem Verhalten übrigens nicht: vor ein paar Jahren lebten wir in einer netten Wohngegend, waren mit all den Nachbarn befreundet. Dann kam 2000 das Album „Pump Up The Valuum“ und ein paar der Kids aus der Nachbarschaft kauften das. Und ein paar der Eltern hörten tatsächlich auf, mit uns zu sprechen, wohl wegen des Songs „Louise“. Der sei „schmutzig“. Ja, da sind viele „schmutzige“ Songs auf der Platte, und plötzlich war ich nicht mehr der Rockstar von nebenan, sondern ein verdammter Perverser. Aber ich musste mir auch schon von meiner Frau, die Domina ist, anhören, ich sei ein verdammter Freak, hahahaha. Wenn meine Tochter Darla also nicht wegen des Buchs Prügel bekommt, dann wegen meiner Musik. Für mich war aber immer schon klar, dass ich wegen meines Kindes nichts an meiner Kunst ändern werde, und auch nichts an meinem Leben. Mein Kind muss sich eben an beides gewöhnen.

Darla ist auf dem neuen Album zu hören, in „Generation Z“. Ihre Idee oder deine?

Meine. Und das andere Mädchen ist Fiona, die Tochter von Tony Sly. Und meine Stieftochter ist auch noch dabei, die liest das Gedicht.

Was ist die Generation Z?

Es ist die letzte Generation. Ich fürchte, es besteht die Möglichkeit, dass unsere Kinder zu der Generation gehören, die das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, miterleben werden. Die Welt auf ist dem Weg nach unten. Die Polkappen schmelzen, die Meeresspiegel steigen, und wenn die Hälfte der Welt unbewohnbar wird, wird es wieder auf eine Feudalgesellschaft hinauslaufen. Das ist keine Alptraumvorstellung, keine Verschwörungstheorie, sondern nur eine Beschreibung des Zustandes und dessen, was kommen wird. Ob das nun in den nächsten 25 oder 100 Jahren passieren wird, ist dabei nicht entscheidend. Es wird nicht das Ende der menschlichen Rasse sein, aber das Ende der Gesellschaft, wie wir sie kennen.

Manche hier in Europa sind der Meinung, das Ende der Welt könne schon viel früher kommen, mit dem Wahlsieg von Donald Trump.

Gut möglich. Donald Trump und die USA, das hat was von Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg. Es ist erschreckend, Trump klingt genau wie Hitler damals. Und die amerikanische Öffentlichkeit frisst ihm aus der Hand. Hillary Clinton hat – große Überraschung! – Probleme, weiße, ungebildete Wähler für sich zu gewinnen. Die USA sind eines der liberalsten Länder – wenn du in Kalifornien lebst. Und eines der faschistischsten, rassistischsten und hasserfülltesten, wenn du in den Südstaaten lebst. Die USA werden von außen immer als ein Land wahrgenommen, aber eigentlich sind es 50 verschiedene. Die Unterschiede sind so groß wie zwischen Hamburg und dem ländlichen Bayern. Der Süden der USA ist völlig verrückt, die ticken immer noch wie vor Jahrzehnten, die kennen das nicht anders.

Wäre Trump nicht ein Anlass für eine Neuauflage der Punkvoter-Kampagne gewesen, die 2004 dafür kämpfte, die Wiederwahl von George Bush zu verhindern?

Hm, also ich habe damals zwei Jahre meines Lebens dem Kampf gegen George Bush gewidmet, ich sah das als meine Bürgerpflicht an. Es kostete mich verdammt viel Zeit und Geld. Jetzt halte ich mich mit meiner Meinung zwar nicht zurück, aber ich sehe nicht, dass man die Menschen, die sich entschieden haben, Trump zu mögen, irgendwie zurückholen kann. Um Trump zu mögen, muss man ein Idiot oder voller Hass sein. Und wenn man so voller Hass ist gegen Mexikaner, dann lässt man sich davon nicht durch gute Argumente abbringen. Die haben dann einfach ein Problem. Deshalb wird es also keine Neuauflage von Punkvoter geben.

Und was tust du, wenn Trump gewinnt? Nach Europa auswandern?

Meine Frau und ich haben uns darüber unterhalten und sind zum Schluss gekommen, dass Kalifornien einfach anders ist, und San Francisco sowieso, im gewissen Rahmen auch L.A. Es sind sehr liberale Städte, und irgendwelche Gesetze der Bundesregierung werden nicht unser Leben beeinflussen. Trump wird das Land ruinieren, dafür sorgen, dass andere Länder die USA noch mehr hassen, dass das Leben für alle schlechter wird. Aber was ist die Option ...? Ich will nicht in Europa leben. Das Problem der USA ist, dass wir zu viele Freiheiten haben – in Bezug auf Waffen etwa. Ich habe die ganze Welt bereist und weiß, dass es sehr viele Länder gibt, in denen es den Menschen schlechter geht. In Südamerika sind so viele Länder richtig im Arsch. Menschenrechte? Die kannst du dort vergessen. In den USA gibt es die aber, die Menschen haben Rechte, Frauen haben Rechte, etwa abtreiben zu dürfen. Aber das Problem ist, dass so viele Menschen so dumm sind.

Ein großes Problem der USA ist auch die unglaublich hohe Zahl an Menschen, die für teils sehr geringe Vergehen wie Drogendelikte im Gefängnis sitzen. Hattest du nie Schiss, wegen des Konsums von Drogen – und du musstest die ja von irgendwem kaufen – im Knast zu landen?

Ich war schon ein paar Mal im Knast, aber nie für was Großes. Du hast auf jeden Fall recht, das Inhaftierungsproblem ist wirklich riesig, das werden permanent Menschenrechte verletzt – und die privaten Konzerne, die die Gefängnisse betreiben, machen dicke Profite. Das ist einfach traurig.

Wie habt ihr als Band all die Jahre durchgehalten, obwohl ihr es euch mit all den im Buch beschriebenen persönlichen Befindlichkeiten – Drogen inklusive – nicht gerade leicht gemacht habt?

Dafür gibt es mehrere Gründe, und wir haben nicht einfach nur Glück gehabt: Wir vier sind wie Brüder, wir streiten uns nicht, und das hält uns als Einheit zusammen. Und wir machen ordentliche Platten, konsequent, seit den Neunzigern. Ein paar Platten sind vielleicht nicht so gut wie andere, aber die letzte und „The War On Errorism“ – die Leute lieben die einfach! Wir sind immer noch so beliebt, weil wir immer noch gute Musik machen.

Trotz diverser „Dämonen“ kriegt ihr euren Scheiß geregelt, ist es auch das?

Beim letzten Album war ich die ganze Zeit auf Drogen, aber das hat dem Album nicht geschadet. Vor ein paar Monaten haben wir in Hannover gespielt, vor 5.000 Leuten. Es erstaunt mich, aber es überrascht mich nicht, dass wir immer noch so angesagt sind. Holy shit!

Was schätzen die Leute an euch? Dass alles echt ist?

Möglicherweise. Wir spielen unsere Musik und haben Spaß, und an manchen Abenden sind wir super, an anderen nicht – wir machen keine Show, wir sind echt. Das sagt ja schon der Name NOFX – no effects. Keiner kann uns vorwerfen, nicht authentisch zu sein. Wenn ich mich auf der Bühne nicht wohlfühle, dann lasse ich das die Leute wissen.

Vielleicht solltest du mal METALLICA und GUNS ’N ROSES deine Hilfe anbieten, dann schaffen es die vielleicht öfter mal, ein neues Album zu machen.

Diese Typen kommen aus einer Welt, in der es okay ist, ein Rockstar-Arschloch zu sein. Im Punkrock ist das anders: Wenn du dich wie ein Depp aufführst, hasst dich jeder. Und deshalb ist Punkrock die beste Musik der Welt, mit den coolsten Texten und den coolsten Leuten. Und deshalb wurden wir ja Punks – weil Rock’n’Roll dumm ist. Hahaha!

Hattest du jemals einen Plan B, also eine Idee, was du statt Musik und Label machen könntest?

Ich habe die Uni abgeschlossen und ging dann auf eine Schule für Immobilienmakler, in meinen Zwanzigern. Aber warum sollte ich mit dem aufhören, was ich tue? Die Leute haben Spaß daran, ich habe Spaß, die Leute mögen uns – es ist der beste Job der Welt. Wenn wir auf Tour sind, arbeiten wir fünf Tage die Woche jeden Abend eineinhalb Stunden – das ist alles. Und man darf sogar besoffen zur Arbeit kommen, hehe. Wenn es also keine wirklich guten Gründe gibt, werden wir mit der Band nicht aufhören. Abgesehen davon habe ich ja auch noch ein paar andere Sachen laufen.

Zum Beispiel?

Wir haben das Buch gemacht. Vor ein paar Jahren drehte ich einen Porno. Und nächstes Jahr mache ich eine Show am Broadway. Ich mache, worauf ich Lust habe. Ich habe keinen Plan.

Was hat es mit der Broadway-Show auf sich? Geht es da um dein Musical „Home Street Home“, das 2015 in San Francisco aufgeführt wurde?

Ja. „Home Street Home“ lief drei Wochen lang, aber eine Show am Broadway ist eine andere Nummer, da muss man 10 Millionen Dollar investieren, weshalb wir uns einen Produzenten gesucht haben, Kevin McCollum. Der zeigte Interesse, „Home Street Home“ an den Broadway zu bringen, sagte aber klar, dass dafür noch an der Show gearbeitet werden müsse. Wir arbeiten jetzt seit eineinhalb Jahren daran, und ich schätze, noch dieses Jahr werden wir „Off Broadway“ zu sehen sein, und nächstes Jahr dann am Broadway.

GREEN DAY waren mit ihrer Broadway-Show schneller ...

Danke, dass du das erwähnt hast! Aber es gibt da einen wesentlichen Unterschied: Da hat jemand basierend auf einem Album ein Musical entwickelt. In unserem Fall ist das ein richtiges Musical – Mike Dirnt sah „Home Sweet Home“ in San Francisco und er sagte, es habe ihn umgehauen.

Mit NOFX hat „Home Sweet Home“ nicht wirklich was zu tun.

Nein, es ist kein NOFX-Musical. Es geht um obdachlose Kids, um deren Leben auf der Straße, die ganze Story habe ich geschrieben.

Mike, besten Dank für das Interview.

Ich danke dir – und vielleicht sind wir ja besser, wenn du uns das nächste Mal siehst, haha.

 


NOFX „Linoeleum“

Possessions never meant anything to me / I’m not crazy (Cause I got none) / Well that’s not true, I’ve got a bed and a guitar / And a dog named Bob who pisses on my floor / That‘s right, I’ve got a floor / So what, so what, so what? / I’ve got pockets full of Kleenex and lint and holes / Where everything important to me just seems to fall right down my leg / And on the floor

My closest friend linoleum / Linoleum

Supports my head, gives me something to believe / That‘s me on the beach side combing the sand / Metal meter in my hand / Sporting a pocket full of change / That’s me on the street with a violin under my chin / Playing with a grin, singing gibberish / That’s me on the back of the bus / That’s me in the cell

That’s me inside your head / That’s me inside your head / That’s me inside your head

(von „Punk In Drublic“)

 


Jeff Alulis

Jeff Alulis, den man auch als Jeff Penalty kennt, ist der eigentliche Autor des auf unzähligen Interviewstunden mit den NOFX-Bandmitgliedern basierenden, aber in der Ich-Perspektive geschriebenen Buches. Alulis darf als enger Vertrauter der Band gelten, ist er doch zusammen mit Ryan Harlin für die „Backstage Passport“-NOFX-Tourdoku (2008 und 2012) verantwortlich. Schon 2003 hatte er die Band-Doku „Do You Remember? Fifteen Years Of The Bouncing Souls“ gedreht, 2009 „Let Them Know: The Story of Youth Brigade and BYO Records“. In den Jahren 2003 bis 2008 stand er zudem bei über 50 Konzerten als Sänger der DEAD KENNEDYS auf der Bühne.

 


BDSM und Cross-Dressing

BDSM ist die heute in der Fachliteratur gebräuchliche Sammelbezeichnung für eine Gruppe miteinander verwandter sexueller Vorlieben, die oft unschärfer als Sadomasochismus (kurz: SM oder Sado-Maso) bezeichnet werden. Weitere mögliche Bezeichnungen für BDSM sind beispielsweise Ledersex oder Kinky Sex. Der Begriff BDSM, der sich aus den Anfangsbuchstaben der englischen Bezeichnungen „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“ zusammensetzt, beschreibt eine sehr vielgestaltige Gruppe von meist sexuellen Verhaltensweisen, die unter anderem mit Dominanz und Unterwerfung, spielerischer Bestrafung sowie Lustschmerz oder Fesselungsspielen in Zusammenhang stehen können. Cross-Dressing bezeichnet, unabhängig vom jeweiligen Beweggrund, das Tragen der spezifischen Bekleidung des anderen Geschlechts.
(Quelle: Wikipedia)