NOFX

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Twenty-Something

Die 1983 gegründeten NOFX gibt es länger als das das Ox, und sie sind eine Band, die mich von Anfang begleitet hat. Ich erinnere mich noch genau, wie mir ein Freund 1988 das „Liberal Animation“-Album vorspielte, wie ich spontan begeistert war, wie 1989, im Ox-Gründungsjahr, „S&M Airlines“ erschien und die „Szene-Polizei“ den etwas derben Humor von Fat Mike als Sexismus zu verunglimpfen versuchte. 1990 machte meine Ox-Kollegin Biggi für #06 das erste NOFX-Interview, Drummer Eric war unser Cover-Boy, und seitdem folgten diverse weitere. NOFX wurden ab Anfang der Neunziger zu einer der weltweit bekanntesten Punkbands – von einer Popband wie GREEN DAY mal abgesehen, die mit den ebenfalls in seit den Ox-Gründungstagen zu Erfolg gekommenen BAD RELIGION und deren Label Epitaph zu einem der Publikumsmagnete der nächsten beiden Jahrzehnt werden sollten. Unter anderem von Epitaph inspiriert gründete Fat Mike in den frühen Neunzigern mit Fat Wreck sein eigenes Label, das maßgeblich zum Melodic-Punk-Boom der Mittneunziger beitrug, an dem auch Burning Heart Records aus Schweden einen großen Anteil hatte.

Doch während Epitaph sich seit einigen Jahren schon – von ein paar Ausnahmen mal abgesehen – vom klassischen Punk-Sound der frühen Jahre verabschiedet hat und sein Heil in jugendkompatiblem Post-Emo-Metal-Pop sucht und Burning Heart faktisch eingestellt ist, existiert Fat Wreck bis heute mit einem weitgehend unveränderten musikalischen Programm. Mit dem erreicht man heute zwar erheblich weniger Musikfans als noch vor zehn Jahren, ist dafür aber ein Qualitätslabel für Punkrock geblieben.

Dass Fat Mike nun zum Cover-Gratulanten der 100. Ox-Ausgabe geworden ist, liegt daran, dass Heft, Label und Band sich über all die Jahre begleitet haben. Das Ox interviewte Fat Wreck-Bands, besprach so ziemlich alle Alben, und vor allem erinnere ich mich, wie Mike mir 1992 begeistert von einer Band namens LAGWAGON erzählte, deren Platte er auf seinem eigenen Label veröffentlichen wolle. Wir blieben über die Jahre immer in Kontakt, Mike sprach mit mir, auch wenn es sonst hieß, er habe keine Lust mehr auf Interviews, und 2006 schafften sie auf das Cover von Ox #65.

Irgendwie erschien es mir da logisch, auch für #100 mal wieder mit Mike zu reden, die vergangenen 23 Jahre Revue passieren zu lassen, zu deren Beginn weder er noch ich ahnen konnten, dass dieses komische Hobby, die Band in seinem, das Heft in meinem Falle, zu unserem Lebensin- und -unterhalt werden würde. Was hat sich seitdem verändert, wie haben wir uns verändert, was ist geblieben – und wie wurden wir, was wir sind? Das war unser Über-Thema in einem gnadenlos offenen Gespräch über Drogen und Geschäfte, mit einem Kerl, der sehr selbstbewusst und ehrlich seine Meinung vertritt und in der jüngeren Vergangenheit die Scheidung von Gattin Erin hinter sich brachte, mit der zusammen er Fat Wreck Chords betreibt. NOFX arbeiten übrigens derzeit an einem neuen Album, das irgendwann im Laufe des Jahres erscheinen dürfte.


Mike, hattest du – du bist Jahrgang 1967 – mit 20 irgendeine Idee, wo das Leben dich hinführen würde?

Als Teenager waren NOFX für mich einfach ein Zeitvertreib. Wir waren Kids, wir wollten Spaß haben, wir mussten ja irgendwas tun, um für die Mädchen interessant zu sein, haha. Dann, mit 19, 20, ging ich aufs College, studierte Sozialwissenschaft und wollte eine Ausbildung zum Immobilienmakler machen – ich hatte echt vor, Makler zu werden. Doch dann kam es anders, und ich bereue nichts, ich habe immer die richtigen Entscheidungen getroffen im Leben.

Wirklich?

Klar, denkst du, ich verarsche dich? Ich darf mein Leben lang in einer Punkband spielen, das ist ja wohl die beste Entscheidung, die man treffen kann. Und in finanzieller Hinsicht habe ich auch keine Probleme, warum also sollte ich mir wünschen, etwas anders gemacht zu haben.

Wie haben deine Eltern auf deine „Karriere“ reagiert, gerade als klar wurde, dass es nichts Seriöses wird und du stattdessen mit deiner Band in Europa auf Tour gehst?

Meine Mutter war damals als Kosmetikerin tätig, machte Maniküre, und als ich in der dritten Klasse war, zogen wir vom L.A. Valley nach Beverly Hills, damit ich in einer besseren Gegend und in besserer Gesellschaft aufwachse. Wir hatten da eine Mietwohnung und zu meinen Schulfreunden zählten die Kinder von Leuten, die unglaublich reich waren, ich durfte mit in deren Country Club, spielte Tennis, nahm Golf-Stunden und so weiter. Und dann wurde ich 14, entdeckte Punkrock ... und sah all diese Freunde aus dem Country Club nie wieder, haha.

Du hast also die Pläne, die deine Mutter mit dir hatte, durchkreuzt.

Die war darüber alles andere als glücklich, und mit 16 schleppte sie mich deswegen zum Psychiater. Ich musste da ein halbes Jahr lang regelmäßig hin, und dann sagte der Psychiater, es gebe keinerlei Grund für mich, zu ihm zu kommen.

Änderte sich die Meinung deiner Mutter später, als du dann mit deiner Band Erfolg hattest und Geld verdientest?

Dass die Band bekannt war, interessierte sie nicht, erst als ich ihr zeigte, wie viel Geld ich verdiene, sagte sie: „Michael, ich bin ja so stolz auf dich!“

Und für wie tolerant hältst du dich in Bezug auf deine acht Jahre alte Tochter Darla und ihre Pläne?

Für Punk interessiert sie sich noch nicht, aber seit letztem Jahr bekommt sie Klavierunterricht und meine Ex und ich fänden es wohl beide gut, wenn sie Musikerin wird, denn sie hat eine gute Stimme und es macht ihr Spaß. Sie hat auch schon Fußball gespielt und Ballett ausprobiert, aber beides lag ihr nicht – bei Musik ist das anders. Und jetzt müssen wir eben abwarten, wie sich das entwickelt.

Hattest du jemals Musikunterricht?

Nein, ich habe nur am College mal einen Folk-Gitarrenkurs mitgemacht, aber da spielte ich ja schon ein paar Jahre in einer Band.

Nun hast du im Gegensatz zu vielen anderen immerhin einen Uni-Abschluss, einen Bachelor in Sozialwissenschaft. Hat dir das später mal geholfen?

Ich denke, ein Abschluss hilft dir insofern, als man durch so ein Studium etwas schlauer und gebildeter wird. Du weißt einfach mehr über die Welt, und so was hat mir indirekt auch beim Songwriting geholfen. Was nun meine Fähigkeiten als Geschäftsmann betrifft, so habe ich mir die selbst angeeignet, an der Uni habe ich dazu nichts gelernt. Da hat mir das Monopoly-Spielen als Kind mehr geholfen, glaube ich. Und später das Pokern, haha. Und weißt du, ich denke, die besten Geschäftsleute sind die, die nie eine betriebswirtschaftliche Ausbildung absolviert haben. So denken sie nicht immer sofort an den Profit, den Nettogewinn und die Anzahl der verkauften Einheiten, stattdessen machen sie sich Gedanken über die Beziehungen zu anderen Menschen. Das Grundprinzip der Geschäftspolitik von Fat Wreck ist deshalb, dass ich zu allen Bands, die bei mir veröffentlichen, eine gute Beziehung haben will. Ich will, dass die Bands glücklich sind und auf Fat Wreck bleiben. Diese Maxime hat sich über die Jahre als der beste Wirtschaftsplan erwiesen, und die ersten 15, 16 Jahre blieben die Bands auch fast alle auf Fat Wreck. Das beweist mir, dass man dann die besten Geschäfte macht, wenn man eigentlich nichts übers Geschäftemachen weiß.

Du hast dich also auf dein Bauchgefühl verlassen.

Genau, ich habe das getan, was richtig ist, nicht unbedingt das, was man als profitabel bezeichnet.

Richtig, falsch – wer hat dir das beigebracht?

Das ist weniger etwas, das man beigebracht bekommt, als vielmehr ein menschlicher Urinstinkt. Oder um es drastisch auszudrücken: Die Einzigen auf diesem Planeten, die nicht wissen, dass es falsch ist, einen Menschen zu ermorden, sind Soziopathen. Abgesehen davon bin ich der Meinung, dass es heute auf der Welt viel weniger Gewalt gibt als jemals zuvor – ich glaube daran, dass die Menschheit immer friedfertiger wird. Der erste Eindruck mag trügen, man mag vom Gegenteil ausgehen, aber die Zahlen belegen das, ich habe erst gerade einen Artikel dazu gelesen.

Die liegen mir nicht vor, von daher will ich dir erst mal glauben. Die mediale Darstellung ist aber natürlich eine andere, da gewinnt man den Eindruck von immer mehr Kriegen, Hungersnöten und Morden, wobei man schnell vergisst, wie viele Millionen Menschen früher durch Hungersnöte, Sklaverei, Kriege oder die „Missionierung“ durch christliche Europäer zu Tode kamen. Aber was machst du konkret, um die Welt besser zu machen? Normalerweise würde man das Musikgeschäft, dessen Teil deine Band und dein Label ja sind, eher mit absurden Geschichten unethischen Verhaltens in Verbindung bringen.

Der Trick ist einfach der, für eine Veränderung der Regeln des Spiels zu sorgen. Mag sein, dass es früher üblich war, dass ein Label die Musiker über den Tisch zog, aber Epitaph oder Fat Wreck und ein paar andere Punklabels haben die Regeln geändert. Ich bin mir sicher, du kannst jede Band fragen, die auf Fat Wreck ist oder war, ob sie gut behandelt wurde, und die Antwort wird sein: „Großartig!“ Ich bin überzeugt, dass alles, was du tust, dir irgendwann auf die Füße fallen kann, also behandle ich alle meine Bands gleich gut. Außerdem glaube ich sowieso nicht an Traditionen, etwa der Art, dass es im Musikgeschäft eben üblich sei, sich zu bescheißen, und man deshalb dieser Tradition folgen müsse. Ein Beispiel: Es ist so üblich für ein Label, mit einer Band einen Vertrag über sieben Alben zu machen. Aber dann läuft etwas schief – und die Band ist auf ewig an das Label gebunden. Warum soll das so sein müssen? Ich mache mit den Bands immer nur Verträge über ein Album. Problem gelöst, und wenn eine Band zufrieden ist, unterschreibt sie für das nächste Album wieder bei mir. So einfach ist das.

Hast du seitens anderer Labels jemals direktes Feedback dazu bekommen?

Nein, nie. Fat Wreck umkreist den Rest des Musikbusiness wie ein Satellit, wir haben nie dazugehört, wir sind zu klein, um wirklich wahrgenommen zu werden.

Na, eine gewisse Wahrnehmung findet durchaus statt: AGAINST ME! beispielsweise wurden von Warner durchaus wahrgenommen und wechselten von Fat Wreck zu diesem Majorlabel.

Stimmt schon, die Nicht-Wahrnehmung findet eher auf dem Niveau statt, dass Fat Wreck nicht wirklich ernstgenommen wird, so in dem Sinne: „Hey, mag ja schön sein da auf Fat Wreck, aber wenn ihr wirklich groß rauskommen wollt, müsst ihr bei uns unterschreiben!“ Klar, Fat Wreck-Bands bekommen eben keine Goldenen Schallplatten.

Ich erinnere mich dunkel an die Gründungsphase von Fat Wreck: Wir trafen uns bei einem NOFX-Konzert, ich fragte dich nach einem Track für eine Compilation, die ich damals zusammenstellte, und du warst ganz begeistert von dieser einen Band namens LAGWAGON. Ich bekam einen Track von denen, und ihre Single war der erste richtige Fat Wreck-Release.

Also ganz am Beginn stand eine NOFX-EP, die ich selbst veröffentlichen wollte, und ich hatte gar nicht im Sinn, andere Bands zu signen. Die ganze Labelidee war ja eher aus der Not heraus geboren: Von Epitaph sahen wir damals kein Geld, weil wir nicht genug Platten verkauften, wir waren ziemlich pleite, und da kam mir in den Sinn, einfach selbst eine Platte von uns zu veröffentlichen. Zu der Zeit traf ich dann Joey Cape auf einem Konzert, ich kannte den gar nicht, und er drückte mir eine Kassette seiner Band in die Hand. Zu Hause hörte ich mir das Tape an, es gefiel mir, und so rief ich Joey direkt an. Bald darauf bekam ich ein Demo von NO USE FOR A NAME in die Hand, sah auf Tour eine Band namens PROPAGANDHI, fragte sie nach einem Demo, und das waren dann auch die ersten drei Bands, die ich unter Vertrag nahm, es war perfekt, denn alle entwickelten sich zu richtig guten Bands.

Hattest du eine bestimmte Vision?

Ich war auf der Suche nach melodiösen Hardcore-Bands in der Art von NOFX. Das war so 1991/92, da lief es für uns schon recht gut, und ich sah, dass diese drei Bands einen recht ähnlichen Sound hatten, konnte mir vorstellen, dass sich dafür schon ein paar Leute interessieren würden, dass ich mit etwas Glück jeweils zehn-, zwanzigtausend Platten verkaufen würde. Der große Erfolg kam für Fat Wreck und diese Bands ja erst fünf Jahre später, da verkauften dann alle wirklich viele Platten. Der Erfolg kam nicht über Nacht, das baute sich ganz langsam auf.

Welche Rolle spielte dabei das Touren in Europa und besonders in Deutschland? Ich erinnere mich, dass hier oft viel mehr für die Bands ging als in den USA.

Deutschland war das erste Land, in dem sich jemand für diese Bands interessierte, wo sie etwas bekannter wurden. Es war das erste Land, in dem auch mal 300 oder 500 Leute zu einem NOFX-Konzert kamen – das war damals eine Menge, mehr Leute als sonstwo in der Welt. Ich erinnere mich an ein Konzert in Wuppertal, zu dem 1.000 Leute kamen, das was für uns unglaublich, total verrückt, wir konnten das kaum glauben. Am besten lief es für uns anfangs im „Ruhrpott“.

Wo in den Neunzigern das Ox seinen Sitz hatte.

Ja, und von dort aus breitete sich das aus, bis in die Niederlande und nach Skandinavien, dann Italien und später auch Frankreich und Großbritannien.

Was sahen die Fans damals in euch, was begeisterte sie an NOFX und den anderen Fat Wreck-Bands?

Das hat was mit den musikalischen Fähigkeiten zu tun: Wir waren das erste Label mit Bands, die diesen schnellen Punkrock richtig gut spielen konnten und dabei auch noch gute Melodien hatten. Abgesehen von den anderen Bands auf Fat Wreck gab es da ja nur noch BAD RELIGION, die das so gut drauf hatten. Im Gegensatz zu denen waren NOFX aber viel technischer, ebenso LAGWAGON und PROPAGANDHI. Wir hievten das spielerische Niveau auf ein anderes Level.

Melodiöse Punkbands bekam man Anfang der Neunziger aber auch auf Lookout Records zu hören.

Ja, Lookout war sehr angesagt damals, aber ganz ehrlich, keine der Bands da konnte wirklich gut spielen. Die hatten gute Songs, aber spieltechnisch waren sie nicht besonders, diese schnellen, metallischen Riffs hatten die nicht drauf.

Was aber nicht verhinderte, dass GREEN DAY, eine einstige Lookout-Band, bald darauf anfing, immer größer zu werden. Und auch der Aufstieg von OFFSPRING fällt in diese Phase ab Mitte der Neunziger, als Punkrock plötzlich unglaublich angesagt war und nicht nur Fat Wreck groß wurde, sondern auch dem Ox half, die Auflage erheblich zu steigern.

Weder GREEN DAY noch OFFSPRING sind eine technisch herausragende Band. OFFSPRING wurden groß, obwohl sie einen der schlechtesten Schlagzeuger überhaupt hatten. Und GREEN DAY, nun ja, die spielen eben simple Pop-Songs. Die Leute in diesen Bands beherrschen ihre Instrumente, aber sie sind eben keine spieltechnisch herausragenden Bands – keine Bands, die eine Reaktion wie „Oh wow, hör mal wie die spielen!“ hervorrufen.

Allerdings schafften es diese Bands, ab Mitte der Neunziger Punkrock aus der Nische zu katapultieren und weltweit Menschen für Punkbands zu begeistern. Natürlich war es für viele „nur Musik“, aber unzählige heutige Punk-Fans kamen über GREEN DAY und OFFSPRING zu dieser Musik. Und das war auch die Zeit, als Fat Wreck enorm wuchs, als auch Epitaph und Burning Heart Records boomten.

Das war die große Punkrock-Welle, stimmt, aber die Fat Wreck-Bands waren schon vorher immer beliebter geworden, und mit dieser Welle wurde alles noch größer. NOFX beispielsweise bekamen mehr und mehr Angebote von großen Festivals, und in gewisser Hinsicht wurden wir von einer Underground-Punkband zu einer normalen Band. Geblieben ist von all dem, dass Punk nicht wieder wegging, heute ein Musikstil ist wie andere auch. Unser Erfolg kam damals aber nicht plötzlich und überraschend, es war ein langsamer Anstieg: statt vor 1.000 Leute spielten wir vor 2.000, es war nicht der Wechsel von kleinem Club zu großem Stadion. Wir merkten kaum etwas davon, wir machten einfach das, was wir schon immer gemacht hatten, und so ist das bis heute. Wir spielen heute in den gleichen Clubs und Hallen wie vor 15 Jahren. Wir haben uns nicht verändert, von Auftritten auf den großen Festivals mal abgesehen, die wir spielen, weil das ordentlich Geld gibt. Aber wir spielen immer noch auf jeder Tour im Melkweg in Amsterdam, wie vor 20 Jahren, da hat sich nichts verändert, und auf diesem Level geht es einem als Band doch echt gut: Ausverkaufte, bezahlbare Shows in okaynen Clubs, was will man mehr? Okay, die CD-Verkäufe sind seit Jahren rückläufig, aber das liegt an der allgemeinen Marktentwicklung – ich denke, heute hören genauso viele Menschen NOFX wie früher. Ich bin mir durchaus bewusst, dass NOFX in einer einzigartigen Position sind, und viele Bands, mit denen ich darüber rede, wären gerne an unserer Stelle. Unsere Popularität ist ungebrochen.

Hast du eine Idee, woran das liegt? Ich könnte dazu Vermutungen anstellen, aber ich will das von dir hören.

Zuerst einmal sind wir live ganz unverstellt, da fühlen sich die Leute zu Hause. Bei uns gibt es nicht jeden Abend die gleichen Ansagen und das gleiche Set, das ist immer anders. In gewisser Weise sind wir eine Improvisationsband an der Grenze zu Comedy. Bei uns weiß man nie, was als Nächstes passiert. Außerdem haben wir über die Jahre durchweg gute Platten gemacht, unser Songwriting ist nicht schwächer geworden. Klar sagen manche, wir hätten unsere besten Scheiben in den Neunzigern gemacht, aber ich denke, unsere letzten Platten waren auch echt solide. Im Vergleich zu anderen Bands, deren spätere Platten wirklich heftig abgefallen sind, haben wir uns gut geschlagen. Mit miesen Platten hältst du aber deine Karriere sicher nicht am Laufen. Außerdem gibt es da noch einen weiteren, wichtigen Faktor: Ich bin Alkoholiker, Drogen-User und stehe besoffen auf der Bühne – auch das hilft unserer Karriere. Und deshalb habe ich Spaß auf der Bühne, sehr viel Spaß. Nüchtern steht man es doch nicht durch, seit beinahe 30 Jahren auf der Bühne zu sein – bist du da nüchtern, hast du viel weniger Spaß und tust nur so, als ob, es wird zu deinem Job. Die Menschen im Publikum wissen das, die erkennen das, und wenn ich mal krank bin und deshalb nüchtern auf die Bühne gehe, macht es mir auch viel weniger Spaß. Besoffen macht es zehnmal so viel Spaß! Ich muss nicht so tun, als hätte ich Spaß, ich genieße die Zeit auf der Bühne wirklich.

Nun trennt aber nur eine dünne Linie den noch unterhaltsamen Auftritt eines angetrunkenen Sängers von einem, wo man sich denkt, da macht sich einer auf nicht mehr schöne Weise zum Deppen. Hast du Angst vor diesem Punkt, kann man dagegen was tun?

Nein, man kann nichts tun, um das zu vermeiden. Und ja, ich weiß, man kann an den Punkt kommen, wo man nur noch ein besoffener alter Kerl ist, wo man sich mitleidig abwendet: „Uhhh, der säuft immer noch, der nimmt immer noch Koks?“ Ich denke da lieber an Jack Nicholson, der vor ein paar Jahren zu einer Oscar-Party kam, mit Kokspuder an der Nase: „Jack, mit 65 ziehst du immer noch Blow?“ Ich fand das sowohl traurig wie cool. Was nun meine Auftritte betrifft: Die Leute bilden sich eben ihre Meinung über mich, aber ich habe Spaß an meinem Tun, und solange das der Fall ist, mache ich so weiter.

Deine Tochter ist sieben und wohl noch nicht in der Lage zu beurteilen, was ihr Vater da macht. Hat sie dich schon mal in bester Laune auf der Bühne gesehen?

Ja, hat sie, und demnächst spielen wir im Rahmen einer Kalifornientour auch eine Kinder-Show am Nachmittag, wo meine Tochter und der Nachwuchs von Joey Cape und Eric Melvin dabei sein wird, 50 oder 60 Kinder, wir spielen eine halbe Stunde.

Und du wirst besoffen auf der Bühne stehen?

Äh, nein, bei der Gelegenheit nicht. Aber du fragtest, was meine Tochter wohl denken wird, wenn sie herausfindet, was ich normalerweise auf der Bühne mache. Ich hoffe, das dauert noch etwas, und wenn sie so zwölf, 13 ist, werde ich ganz ehrlich mit ihr sein. Ich werde ihr sagen, was Daddy so anstellt und dass sie gerne in seine Fußstapfen treten darf.

Okay ...

Ja, ich habe mal mit 21 Hasch probiert, und ansonsten fing ich mit Drogen erst an, als ich über 30 war. Koks, Pillen – das kam erst im Alter. Ich werde ihr also sagen, dass dann, wenn sie ihre College-Ausbildung beendet und ihre erste Million verdient hat, ein guter Zeitpunkt ist, um mit dem Drogennehmen anzufangen – so zumindest hat es ihr Vater gemacht.

Drogen ab 30 sind also okay, darunter heißt es „Finger weg!“?

Absolut. In der Entwicklungsphase sind Drogen nicht gut, die machen dich kaputt. Aber wenn du dein Leben unter Kontrolle und alles am Laufen hast, warum soll man dann nicht mal ein bisschen Spaß haben?

Ist dein Hausarzt der gleichen Meinung?

Ich habe mit vielen Ärzten geredet, auch mit Herzspezialisten, habe mich durchtesten lassen, und die sagten alle, ich könne so weitermachen, aber alles in Maßen, und manche Substanzen vertragen sich eben nicht mit gewissen anderen: drei Vicadin bringen dich nicht um, aber 20. „Everything in moderation“, deshalb auch der NOFX-Songtitel.

Kommen wir noch mal auf unsere Arbeit zu sprechen: In den letzten Jahren ist das Geschäft nicht einfacher geworden für unsereins. Auch die kleinen Indie- und Punklabels leiden unter sinkenden Verkaufszahlen, schrumpfen sich gesund, und geben entsprechend weniger Geld für Anzeigen aus, was dazu führt, dass auch Musikmagazine und größere Fanzines wie das Ox mit sinkenden Einnahmen auskommen müssen.Wie reagiert Fat Wreck auf diese Veränderungen, wie wirkt sich das auf die Menschen aus, die von dir abhängen wie Bands und Angestellte?

Ich fühle mich natürlich für all die verantwortlich. Wir haben mit dem Label auch tatsächlich drei, vier Jahre lang Geld verloren, bevor wir das Ruder herumreißen konnten und jetzt wieder Geld verdienen. So haben wir beinahe vollständig aufgehört, Anzeigen zu schalten, wir können keine hohen Studiokosten mehr bezahlen, und, was echt traurig ist, wir mussten zehn Leute entlassen. Aber wozu jemand als Anzeigenkoordinator bezahlen, wenn du dafür kein Geld mehr ausgeben kannst? Jetzt sind wir wieder auf dem Stand von Mitte der Neunziger und kommen klar. Die Situation ist einfach, dass keine Band mehr Geld mit Plattenverkäufen verdient. Entweder du schaffst es, dich mit Konzerten zu finanzieren, oder du betrachtest die Band als Hobby, so einfach ist das. Und das mit dem Hobby ist so schlecht nicht, so haben wir ja alle angefangen, zum Spaß. Für keinen von uns war es eine Perspektive, mit der Band Geld zu verdienen. Warum also nicht dazu zurückkehren? Weniger touren, mehr Spaß.

Wie krass sind die Rückgänge?

NOFX sind nicht mit anderen Bands vergleichbar, aber mal so als Größenordnung: Von „Punk In Drublic“ haben wir eine Million verkauft, danach lagen wir in der Größenordnung 500-600.000, bis zu „War On Errorism“, da waren es 500.000. Seitdem geht es abwärts: „Wolves In Wolves’ Clothing“ lag bei 300.000, „Coaster“ bei 200.000. Aber ich bin der Meinung, dass das kein spezielles NOFX-Phänomen ist, sondern auch in der ganzen Musikindustrie so aussieht. Man muss sich darauf einstellen, heute nur noch 25 bis 40% dessen zu verkaufen, was man im Jahr 2000 verkauft hat. Uns geht es bei all dem noch recht gut, andere Bands hat es viel schlimmer erwischt. Ich sehe da ja bei den Bands auf Fat Wreck, da liegen die heutigen Verkäufe bei 20% von dem, was einst ging. Und daran hat auch der Musik-Streaming-Dienst Spotify seinen Anteil. Die spielen unsere Releases auch, Spotify wird noch einige Labels aus dem Rennen werfen – und Spotify hält keiner auf, da müsste schon die Regierung aktiv werden, und die hat kein Interesse daran. Aber Spotify hat auch sein Gutes: Es killt mittelmäßige Bands und Labels. Ich bin überzeugt, dass es gute Bands gibt mit echten Fans, die an sie glauben, auch in der Zukunft bereit sein werden, für Musik zu bezahlen und Bands live zu sehen.

Hat dir all das jemals Angst gemacht, hat dich das in Panik versetzt?

Panik ist der falsche Ausdruck, aber meiner Ex-Frau Erin und mir war klar, dass wir was tun müssen, damit Fat Wreck nicht weiter Geld verliert. Wir haben viele Jahre lang auch viel Geld ausgegeben, große Partys veranstaltet, an Weihnachten an Angestellte und Bands insgesamt beinahe 250.000 Dollar an Weihnachtsgeld ausgezahlt, haben einfach Geld verteilt. Uns war klar, dass es damit vorbei sein wird, dass wir unsere Auslandsbüros schließen müssen – auch das in Deutschland fiel dem zum Opfer –, dass wir es uns nicht mehr leisten können, für ein Album einer unserer Bands 50.000 Dollar Studiokosten zu bezahlen. Wir strichen alles zusammen, was nicht überlebensnotwendig war. Jetzt sind wir wieder relativ klein, haben fünf Angestellte, haben eine Veröffentlichung im Monat, veröffentlichen Bands wie DEAD TO ME oder TEENAGE BOTTLE ROCKET, bald kommt hoffentlich eine neue LAGWAGON-Platte und auch eine von NO USE FOR A NAME. Und das funktioniert, nur eben auf niedrigerem Niveau. Von dem LAGWAGON-Vinyl-Boxset für 140 Dollar hatten wir 1.000 Stück gemacht, die waren in Nullkommanix weg. Es gibt noch Musikfans da draußen, die kann man erreichen, und man kann mit einem Label Geld verdienen, nur muss man es klug anstellen. Dazu kommt es auch darauf an, seine Bands sorgfältig auszuwählen: Man braucht gute Bands, die nicht klingen wie alle anderen, die gute Songs schreiben und spielen können. Deshalb habe ich zum Beispiel damals AGAINST ME! gesignt und vor einer Weile OLD MAN MARKLEY.

Nicht so klingen wie alle anderen, das ist ein gutes Stichwort. Es scheint, als wolle seit Chuck Ragan jeder Punkband-Sänger mit seiner Akustikgitarre mit Lagerfeuerliedern eine neue Karriere starten. Wann ist mit deiner Solotour zu rechnen?

Na ja, so was Ähnliches habe ich ja schon gemacht, mit meinen „Cokie The Clown“-Auftritten, wobei das ja eher was mit Performance-Kunst als mit einem Soloauftritt mit Akustikgitarre zu tun hatte. Letzteres ist von mir eher nicht zu erwarten, ich habe dafür einfach nicht die Stimme. Mein Problem mit dieser Art von Auftritt ist einfach, dass meiner Meinung nach die wenigsten Musiker, die das tun, wirklich gut sind. Tony Sly von NO USE FOR A NAME ist in dem Bereich einer der Besten, finde ich, und an Frank Turner kommt derzeit sowieso keiner ran. Der hat eine grandiose Stimme, und sobald der seine Gitarre anschlägt, hat er das Publikum in seiner Hand. Und du gehst vom Konzert nach Hause und denkst dir: „Wow, war das ein geniales Konzert!“ Dabei sind seine Songs gar nicht mal alle so gut, aber er ist live ein echtes Erlebnis. Und ich weiß, dass auch ein paar der alten Punkrocker solo das Zeug dazu haben zu begeistern.

Mike, besten Dank für deinen Beitrag zu unserer #100.

 


Die NOFX-Platten, wie sie vom Ox gesehen wurden


Liberal Animation (Wassail 1988)

Meine Version dieses Albums hat ein schmuckloses, schwarzes Cover – es ist die Originalversion auf Wassail, die damals beim We Bite Mailorder bestellt wurde. Die spätere Neuauflage auf Epitaph (1992) hatte das bekannte, bunte Comic-Artwork. Wir hörten SNFU und R.K.L., und dann kamen NOFX und waren noch viel geiler. „Vegetarian Mumbo Jumbo“, „Beer bong“ und „On the rag“ waren meine Hits, die Politkorrekten schossen sich schnell auf die Schnodderschnauzen ein, wollten deren Humor nicht verstehen. Wir allerdings waren im NOFX-Fieber, parallel hatten wir BAD RELIGION entdeckt. (Joachim Hiller, 2012)

S&M Airlines (Epitaph 1989)

Nur ein Jahr später kam „S&M Airlines“, und wieder hatten politisch korrekt gerierende Großmäuler was auszusetzen. Diesmal war es das „Domina-Artwork“, darin wie im Titelsong wollte man Sexismus erkennen, und mich nervte das dumme Gekeife solcher Menschen damals schon. Die, die damals laut geschrieen haben, sind heute sicher längst verbeamtet. Den Titelsong gröle ich heute noch gerne mit, er ist für mich einer der NOFX-Überhits. „Drug free America“ war eine weitere treffsichere Provokation, kackte man damit doch die damals massiv auftretenden Straight Edge-Moralapostel an, ebenso wie mit „Scream for change“, das eine Anspielung auf UNIFORM CHOICE und deren „Screaming For Change“-Album war. Brett Gurewwitz produzierte das Album und legte damit einen weiteren Grundstein für seine genreprägende Studioarbeit. (Joachim Hiller, 2012)

Ribbed (Epitaph 1991)

NOFX knüpfen mit „Ribbed“ nahtlos an den hohen Standard ihres letzten Werkes „S&M Airlines“ an. Die altbekannten Songstrukturen sowie ihr Markenzeichen der Melodic– Core-Hämmer auf hoher Geschwindigkeit wurden komplett übernommen, womit man ein winziges bisschen Kritik an dieser ansonsten absoluten Götterscheibe anbringen kann. „Ribbed“ ist ein einziges Vollrausch an vor Spielfreude strotzenden Hardcore-Hymnen. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher unbekümmerten Leichtigkeit sich die vier Kalifornier durch ihr Material prügeln und dabei immer noch genügend Zeit für die ein oder andere humorvolle Einlage bleibt. NOFX haben mit BAD RELIGION nicht nur das Label gemeinsam, sie sind auch die besseren BAD RELIGION. (Thomas Hähnel, #9, 1991)

The Longest Line (Fat Wreck 1992)

Fünf neue Songs von den Kalifotniern, die bei ihrer derzeitigen Tour ordentlich abräumen. Großartige stilistische Änderungen gibt’s nicht vermeldern, also immer noch flapsiger, hochmelodischer, aber troztdem bissiger Punkrock mit den üblichen blasphemisch-zynischen Texten von Mike. Erschienen übrigens nicht auf Epitaph, sondern auf Mikes eigenem Fat Wreck-Label. (...) (Joachim Hiller, #12, 1992)

White Trash, Two Heebs And A Bean (Epitaph 1992)

Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich NOFX mit „Ribbed“ oder „White Trash, Two Heebs And A Bean“ kennenlernte. Auf jeden Fall war es Ende ’92 oder vielleicht auch schon Anfang ’93 oder doch schon viel früher? Dann dürfte es zwar nicht „White Trash ...“ gewesen sein, aber irgendwie bin ich mir dennoch fast ziemlich sicher, dass ich mich wegen diesem Album – das erste in der noch heute aktiven Besetzung mit El Hefe übrigens – in NOFX verliebte und es noch heute bin. Liebe? Glaubst du nicht? Dann erinnere dich: „Bob“, „Liza and Louise“, „Please play this song on the radio“, „She’s gone“, „Stickin’ in my eye“, „Soul doubt“; diese Songs sind allesamt hier drauf! Der Wahnsinn! Gibt es eine bessere NOFX-Platte? Erklären wir einfach „Ribbed“, „White Trash, Two Kikes, And A Spic“ (der Arbeitstitel) und „Punk In Drublic“ zum Triple-Meisterwerk der spät-frühen NOFX und vergöttern sie als Ganzes. (André Bohnensack, 2012)

Punk In Drublic (Epitaph 1994)

So gut wie OFFSPRING verkaufen NOFX noch nicht, aber an die 200.000 Stück dürften von dieser Platte auch wieder über die Ladentische gehen. Trotzt ihres Erfolges haben sich NOFX jedoch nicht verändert, sind keinen Deut angepasster und machen noch immer noch den gleichen Punksound wie zur Beginn ihrer Karriere – im Gegensatz zu den Weichspülern GREEN DAY. „ Punk In Drublic“ ist aber sicher das bestproduzierte Album der Band. Hier stimmt wirklich alles. Bester Song hier: Die Oi!-Nummer „The brews“. Klasse wie immer natürlich auch Mikes ironisch-sarkastische Texte, NOFX rule! (Joachim Hiller, #18, 1994)

Heavy Petting Zoo (Epitaph 1996)

Ja, stimmt, „Heavy Petting Zoo“ ist anders als „Punk In Drublic“. Nicht so pöblig-rotzig-punkig wie sein Vorgänger ist das neue Werk der kalifornischen Anti-Stars ausgefallen, dafür etwas polierter und straighter. Doch nein, niemals nicht sind Fat Mike und seine Brut stromlinienförmige Pop-Punker geworden, etwas poppiger aber schon. Die NOFX-typischen Hyperharmonien dominieren auch auf „Heavy Petting Zoo“ den Sound, wirken aufgrund der supersauberen Produktion allerdings etwas glatter als sonst. Alles andere ist hier wie immer, das heißt, der Gegensatz zwischen freundlicher Musik und Mikes bissig-zynischen Texten ist sogar noch größer. Gut abgestimmt wie immer auch die Mischung aus losknallenden Punksongs – etwa „What’s the matter with kids today“ oder „Hobophobic“ – und ska-inspirierten Nummern wie „Philthy Phil“ (hier kommen sogar diese komischen Holzböngelpercussiondinger zum Einsatz) oder „Liza“. Wirklich keine schlechte oder langweilige Platte, nur eine etwas vorhersehbare. Die Frage ist, ob man wirklich erwarten kann, dass bei einer solchen Band jede Platte noch eine Steigerung zur vorhergehenden ist. (Joachim Hiller #22, 1996)

So Long And Thanks For All The Shoes (Epitaph 1997)

So so, hier ist sie also, die neue Platte der Punk Rock Elite, die wieder aus ihrem K Hole gekrochen ist, um zu Murder The Government. Aber was hat das Monosyllabic Girl (Vorsicht Fremdwort!) damit zu tun? Und wer hat sich um 180 Degrees gewendet, um All His Suits besser überblicken zu können? Doch keine Panik, All Outta Angst könnte die Drohung I‘m Telling Tim (Yohannan?) wahrgemacht werden, denn von den Champs Elysées ruft Papi an, und Dad’s Bad News mit appellativem Charakter lauten: Kill Rock Stars und Eat The Meek. Danach heißt es Desperation‘s Gone, kein Grund zur Verzweiflung also, doch wer stellt was mit dem toten Pferd an? Flossing A Dead Horse? Naja, für ne Quart In Session ist immer Zeit, und dann verlieben wir uns noch ein bisschen, Falling In Love halt. Im Klartext bedeutet das 41 Minuten und 33 Sekunden NOFX, und was soll ich sagen, Fat Mike und Konsorten überraschen kein bißchen. Je nachdem, wie man zu den Blödelpunkers aus Kalifornien steht, ist das entweder Wasser auf die Mühlen der Maulfraktion oder genau das, was man erwartet hat.Die gewohnten Punkklopper sind dabei, die langsam losgehen, nach einer kurzen Pause dann aber losbrettern, man kultiviert einmal mehr den angepunkten Ska-Beat, wirft ein paar Reggaebrocken unters Volk und lässt El Hefe tröten – alles wie immer, alles 100% NOFX. Und genau da liegt das kleine Problem, das ich mit dieser Platte habe: Die Spritzigkeit, die Rotznasigkeit und die neuen Ideen, die man von NOFX seit über einem Jahrzehnt kennt, sind ihnen etwas abhandengekommen.Seinen Standard mal eben so zu halten, das ist es heute nicht mehr, und schon gar nicht bei einer Band wie NOFX. Ganz witzig noch der Hidden Track, wo Radio-Schmutzfink Howard Stern angesichts eines NOFX-Songs kommentiert, man möge doch lieber von No Talent sprechen.Nee, Howard, so weit ist es mit NOFX nun echt noch nicht gekommen. (Joachim Hiller, #29, 1997)

Pump Up The Valuum (Epitaph 2000)

Nach elf Alben, unzähligen Shows, Höhen und Tiefen und dem Wissen, eine ganze Bandgeneration beeinflusst zu haben, könnte man vermuten, dass NOFX irgendwelche Abnutzungserscheinungen aufweist. Mitnichten, hat das Quartett mit „Pump Up The Valuum“ doch ein astreines Punkrockalbum abgeliefert, das sowohl musikalisch als auch textlich so bissig und aggressiv ist wie schon lange nicht mehr. Grundessenz ist natürlich noch immer der nofxische Stil, sprich ein kreischender Fat Mike, ein singender Eric Melvin, der nebenbei auch ein paar Riffs auf seiner Gitarre hinlegt, ein El Hefe, der mit seiner Gitarre losbratzt, dass die Wände wackeln und ein wie vom Teufel besessener knüppelnder Erik Sandin, der das Wort Geschwindigkeitsrausch wohl erfunden hat. Dennoch fällt auf, dass die „Kings of Californian Punk“ konsequent keinerlei Ska-Song oder „Ballade“ auf die Platte geschmissen haben, sondern vielmehr 14 Songs in 31 Minuten schnörkellos durchhauen, wobei solche Songs wie „Dinosaurs will die“ und „Total bummer“ besonders hängen bleiben.Und am Ende gibt’s dann ein grandioses Finale mit Akkordeon und einer Definition vom Lebensstil NOFX. Klasse! (Randy Flame, #39, 2000)

The War On Errorism (Fat Wreck 2003)

So, NOFX sind also nicht mehr bei Epitaph. Ob nur für diese Platte oder überhaupt nicht mehr, keine Ahnung, aber es ergibt für die Band mit diesem Album, so die Erklärung, wohl einfach mehr Sinn, die Sache auf dem eigenen Label zu handlen. Dazu erschien im März, als Appetizer die „Regaining Unconsciousness“-7“/MCD mit drei Songs des Albums, einer Akustik-Version eines Album-Tracks sowie mit „Hardcore 84“ ein nur hier erhältlicher Track. Und die Richtung des Albums wurde hier schon aufgezeigt: die Zeiten des unbeschwerten Blödsinns sind für Fat Mike und Co. seit der „Wahl“ von George W. Bush vorbei, jetzt gilt es aktiv Front zu machen gegen eine neokonservative Politik, die Freiheiten radikal beschneidet und von unten nach oben umverteilt – und nebenher noch Angriffskriege anzettelt.Mit Songs wie „Franco Un-American“, „Idiots are taking over“, „The separation of church and skate“ oder „American errorist“ machen NOFX ganz deutlich klar, wo sie stehen, warum sie immer noch Punk sind, warum jeder, der für den Irak-Krieg und Pro-Bush ist, ein dummes Schwein ist. Das alles ohne plumpe Hetze, sondern wortgewandt und trotz des Themas witzig – NOFX eben, immer absolut auf den Punkt gebracht und mit Texten, die derzeit qualitativ das Beste in Sachen Punkrock sind, wobei auch Szenethemen nicht vernachlässigt werden, etwa mit „Medio-core“ oder „13 stitches“. Musikalisch hat sich eigentlich nichts geändert, warum auch: NOFX sind NOFX sind NOFX, unverkennbar und immer noch großartig. Unbedingt lesenswert: das lange Statement der Band im Booklet, warum sie dieser Tage so klar Stellung beziehen, und das setzt sich dann auch im Multimediateil der CD fort, mit ihrem Michael Moore-like Video zu „Franco Un-American“ sowie dem Trailer eines Films über die „gestohlene“ Präsidentenwahl in Florida. Ein Album, das absolut nötig war, nötig ist. Hört es euch an, lest die Texte, auch wenn NOFX sonst nicht euer Ding sind. (Joachim Hiller, #51, 2003)

Wolves In Wolves’ Clothing (Fat Wreck 2006)

(...) Und was soll ich auch schon groß schreiben über eine Band, die mich seit der Ox-Urzeit begleitet? (...) Die Kalifornier sind erkennbar alt geworden, die Teenie-Punk-Helden haben erkennbar Falten und Augenringe, doch Fat Mike, immer noch das gleiche sympathische Lautmaul wie vor 17 Jahren, ist kein Stück vernünftiger geworden, zumindest nicht „vernünftig“ in dem Sinne, wie das Eltern und Spießer gerne hätten. Und wo NOFX bis Ende der Neunziger immer die unkorrekte Fun-Band waren, da nahmen sie nach 2001 die umgekehrte Entwicklung: Statt sich von früher politischer Radikalität zu Kreidefressern zu entwickeln, wurde Mike als Kopf von Band wie Fat Wreck mit dem Amtsantritt von George W.Bush zum überzeugten Polit-Punk, was sich erstmals auf „War On Errorism“ von 2003 zeigte. Mit „Wolves ...“ haben NOFX diese Richtung beibehalten, singt Mike nicht mehr wie einst (nur) über pubertären Quatsch, sondern tobt und pöbelt gegen die Politik der Bush-Regierung, gegen die religiöse Rechte („Leaving Jesusland“ ist das Schlüssel-Lied des Albums), gegen die Unfähigkeit der US-Regierung, sich den Herausforderungen zu stellen („USA-holes“), gegen die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich („Wolves in Wolves’s Clothing“), aber auch für ein Liebeslied ist Platz („Instant crassic“), auch wenn das nicht gerade einen konventionell romantischen Text hat. Musikalisch ist alles wie gehabt, klingen NOFX, wie sie immer geklungen haben, decken sie ein breites Spektrum von derbem, dreckigem Punkrock bis zu poppigem Offbeat ab. (...) (Joachim Hiller, #66, 2006)

Coaster (Fat Wreck 2009)

Das elfte Album von NOFX. Ehrensache, dass ich am Tag der Veröffentlichung schleunigst den Gang in den nächsten Plattenladen antrat. Zwölf Songs sind drauf, das Ganze im Digipak. Und selbstverständlich bleiben beim ersten Durchlauf einige Songs und Parts hängen.Der Opener „We called it America“ und anschließend „The quitter“ sind sehr gut. „My orphan year“ wird sich definitiv zum Klassiker im NOFX’schen Repertoire entwickeln – musikalisch und textlich gesehen! Auch „Eddie, Bruce and Paul“ ist ein Knaller.„Best god in show“ und „I am an alcoholic“ fallen im Gegensatz dazu regelrecht durch ... Der Rest der Scheibe ist gut, ohne mich wirklich vom Hocker zu reißen – und das ist wohl das Auffälligste an „Coaster“.Kein „Fan“ der Band (inklusive mir) wird tatsächlich enttäuscht sein, aber Euphorie, Gänsehaut und geballte Fäuste nach dem Motto „Yes!“ stellen sich selten ein. Da war die Hitdichte auf den zwei Vorgängeralben ein paar Klassen höher.Und gerade zum Ende hin bricht die Platte ein wenig ein, eben erwähnte Highlights finden sich unter den ersten sieben Songs. Somit wird „Coaster“, nüchtern betrachtet, in der Chronologie der NOFX-Alben (und natürlich nur aus meiner bescheidenen Sicht) irgendwo im hinteren Mittelfeld landen.Die Texte fand ich bei früheren Alben auch griffiger, obwohl es nicht an Sarkasmus und Humor fehlt. Rein musikalisch bewegt sich ein Großteil der Songs im Midtempo-Bereich. Die Produktion ist super, ebenso sind die Soli von El Hefe ganz große Klasse.Unter dem Strich ist das vollkommen in Ordnung und bestätigt letztlich den Standard, den NOFX seit vielen Jahren halten. Oder anders formuliert: „Coaster“ ist ein solider und unterhaltsamer Output der herausragendsten und beständigsten Punk/MelodyCore-Band der letzten 25 Jahre. Gibt’s übrigens auch als LP, mit dem Titel „Frisbee“. (Zahni Müller, #84, 2009)