NOFX

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Gegen die Asshole-Kids mit dem Make-up

Fat Mike polarisiert. Selten gab es so viele vehemente Reaktionen wie auf das Interview mit dem NOFX-Frontmann und Fat Wreck-Labelboss in Ox #65. Seitdem sind drei Jahre vergangen, NOFX waren auf Tour rund um die Welt, dokumentierten diese mittels einer TV-Sendung namens „Backstage Passport“, deren acht Folgen kürzlich auf DVD erschienen sind, und veröffentlichten im April mit „Coaster“ mal wieder ein neues Album. Logisch, dass ich die Gelegenheit ergriff, Mike vor dem Auftritt im Duisburger Landschaftspark zum Stand der Dinge zu befragen. Und wie immer erwies er sich als angenehmer Gesprächspartner, mit dem man auch zwei oder drei Stunden reden könnte, ohne dass es langweilig werden würde. So war nach einer Stunde Schluss, denn der Zeitplan war eng. Und eine kleine Anmerkung zu Mikes Ansichten über Religion: Er kommt aus einer jüdischen Familie, ist selbst aber alles andere als gläubig ...

Mike, wie kamst du auf die Idee mit der TV-Dokumentation eurer Tour durch „exotische“ Länder in aller Welt?

Die ursprüngliche Idee war, Konzerte in Ländern zu spielen, wo wir nie zuvor waren – und wieder zu touren wie eine Punkband, wie damals in den Achtzigern. Es war uns von vornherein klar, dass wir dabei Geld verlieren würden, denn wenn du mit zehn Leuten jeden Tag irgendwo hinfliegst, ist das absehbar – nur unter Idealbedingungen wären wir da ohne Verluste rausgekommen. Und so kam die Idee auf, zwei Kameraleute mitzunehmen, um die ganze Tour zu dokumentieren und das als DVD zu verkaufen. Nach dem ersten Teil der Tour in Südamerika merkten wir, dass das Bildmaterial wirklich gut ist und wir vielleicht über eine TV-Sendung nachdenken sollten. Also trafen wir uns mit ein paar Sendern, und darunter auch Fuse TV, was sich im Nachhinein aber als großer Fehler herausstellen sollte.

Warum?

Weil die furchtbar sind. Die Sendung wäre viel besser geworden, wenn die sich nicht eingemischt hätten. Es hätte völlig ausgereicht, einfach die Bilder von der Tour zu zeigen, denn es ist völlig überflüssig, alle paar Sekunden unsere Kommentare einzublenden, in denen wir erklären, was da passiert ist. Die Kameraleute waren so gut, die haben uns immer direkt befragt, wenn was passiert ist. Aber die Fuse-Leute wollten eine Art Reality-Show daraus machen und bestanden auf diese nachträglich geführten Interviewparts. Aber da hatten wir schon unterschrieben, und so flog ich dann mehrfach nach New York, um mich mit denen zu streiten. Die Typen haben überhaupt keinen Humor, die haben so viele gute Stellen rausgeschnitten. Deshalb ist jetzt diese Bonus-DVD dabei. Und außerdem haben wir noch eine Menge Material für eine zweite DVD beiseite gelegt.

Wie viele Shows habt ihr auf der Welttournee gespielt?

Ich weiß es nicht, aber viele Länder und Konzerte sind bei der DVD nicht berücksichtigt. Manche Länder in Südamerika fehlen und die Philippinen, wobei da auch nichts Aufregendes passiert ist. Genauso verhält es sich mit der Türkei, Rumänien, Tasmanien – da war nichts. Und wir mussten die ganze Tour ja auch in acht Folgen unterbringen.

Kann es sein, dass Devon Morf mit seiner Band ALL YOU CAN EAT euch zu dem ganzen Unterfangen inspiriert hat? Der war ja schon in den Neunzigern in der ganzen Welt unterwegs, total D.I.Y. und unter einfachsten Bedingungen.

Klar, allerdings waren die nicht in so vielen Ländern wie wir. Und sie gingen immer nur in einem Land auf Tour, etwa den Philippinen. SKANKIN’ PICKLE waren vor Jahren schon in Korea auf Tour, und viele andere Bands waren schon mal in einem der Länder, in denen wir waren – doch keiner hat wirklich eine so lange Tour durch so viele Ländern gemacht. Und was nun wieder die Doku anbelangt: Wir sind alle, sowohl die Band wie die Crew, interessante, lustige Typen, und außerdem nehmen wir nichts wirklich ernst. Mit Leuten, die schnell genervt oder frustriert sind, hättest du das nicht machen können. Wenn bei uns was schief geht, reagieren wir darauf meist mit „Na ja, Pech gehabt“, und das war’s.

Aber wenn man die acht Folgen am Stück so sieht, fragt man sich an ein paar Stellen schon, warum ihr euch so viel beklagt. Oder liegt das am Schnitt?

Du hast Recht, diesen Eindruck kann man bekommen. Die haben uns stundenlang interviewt, und zum Schluss nahmen sie die Stellen, an denen wir irgendwas Negatives gesagt haben, einfach nur, um der Folge etwas mehr Dramatik zu verleihen. Wir hätten das anders gemacht, aber bei so einer Produktion gibt es Leute, die sich für jede Folge so einer Art Story ausdenken, und für diese Story werden dann entsprechende Kommentare und Bilder aus dem vorhandenen Material ausgewählt. Und so kommt dann die Szene in den Mittelpunkt, als ich Melvin auf der Bühne mit meinem Bass verletze. Klar, er war sauer, aber es war trotzdem ein gutes Konzert und wir haben uns hinterher wieder gut vertragen – und erst mal eine Line Koks gezogen. Klar, dass sie diese Szene rausgeschnitten haben.

Soso, Kokain ... Was war denn das grüne Zeug, das ihr in Singapur gezogen habt? Wasabi-Pulver?

Nee, eine Mischung aus Ecstasy und Ketamin. So abgefuckt wie von dem Zeug war ich nie wieder, ich kam damit echt nicht klar.

Du sagtest eben, die Tour sei ein großer Spaß gewesen. Es gibt aber auch die Szene, wo du den Tränen nahe bist, weil du am Geburtstag deiner Tochter nicht zu Hause sein kannst.

Ja, wir haben fast alle Kinder, und da kannst du eben eine Tour nicht so planen, dass jeder immer zu Hause ist, wenn die Kinder Geburtstag haben. Und diese Szene: Da hatte ich einfach einen schlechten Tag und war zudem betrunken. Oder auf den Philippinen, da war es auch eher langweilig, da saßen wir nur den ganzen Tag im Hotel, du konntest nirgendwo hingehen, das ist ja ein einziges großes Slum.

Hm, aber kamst du mal auf den Gedanken, dass eine Tour mit zehn Leuten und einem entsprechenden Aufwand auch manche Einblicke in die Kultur des besuchten Landes verhindert? Es gibt beispielsweise eine deutsche Band namens CLUSTER BOMB UNIT, deren Tour durch Indonesien auch filmisch dokumentiert wurde, und dadurch, dass die so richtig D.I.Y. unterwegs waren, hatten die, wie es mir scheint, einen etwas intensiveren Zugang zu Land und Leuten als ihr.

Na ja, mit 20 oder 25 hätten wir das auch so gemacht. Unsere erste Tour in Japan lief genau so, wir hatten nur unsere Gitarren und Drum-Pedale dabei, Schlafsäcke und Kartons voller T-Shirts, schliefen bei irgendwelchen Leuten auf dem Boden, fuhren mit dem Zug. Und unsere erste Europatour war auch nicht anders, zu zehnt in einen kleinen Bus gequetscht, und ehrlich, das brauche ich heute mit über vierzig nicht mehr. Würden wir das machen, ergäbe das sicher schöne Bilder, aber es wäre total gefaket. Wir leben heute eben anders als damals.

Ein gutes Stichwort: Chris Hannah von PROPAGANDHI behauptet im Interview in Ox #83, du würdest in einem „Luxusanwesen“ wohnen, während sie mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren.

Hahaha, Chris Hannah ist ein Arschloch.

Darf ich dich zitieren?

Natürlich! Und um mal eines klarzustellen: PROPAGANDHI haben von mir über eine Million Dollar für Plattenverkäufe ausgezahlt bekommen. Was sie mit ihrem Geld anstellen, geht mich nichts an, und wenn sie ihr Geld für Fahrräder ausgeben wollen, sollen sie das tun. Ich weiß aber, dass Jord, der Drummer, sich mit seinem Anteil am Geld ein Haus gekauft hat. Ich weiß also nicht, warum Chris sich mich als Ziel seiner Angriffe aussucht. Klar, ich habe Geld, ich habe ein großes Haus, aber was soll das, muss er das in Interviews ständig ansprechen? Er hätte sich ja auch ein Haus kaufen können. Und abgesehen davon, habe ich ihnen damals 50.000 Dollar geliehen, damit sie ihr Label gründen konnten. Ich weiß also echt nicht, was sein Problem ist.

Hat das vielleicht was mit politischen Differenzen zu tun? Dieses Thema sprechen sie jedenfalls auch im Info zum neuen Album wieder an.

Ja, die sollten damals auf dieser „Rock against Bush“-Compilation sein, aber ihr Song begann mit einer Tirade gegen den Finanzinvestor George Soros. Der war damals jedoch als Geldgeber für unsere Anti-Bush-Kampagne im Gespräch, woraus dann aber nichts wurde. Klar, Soros hat sein Geld auf dubiose Art verdient, etwa indem er massiv gegen den Kurs der britischen Pfunds gewettet hat. Aber es ging damals nach gegen Bush, nicht gegen Soros, um einen gemeinsamen Kampf, und manchmal muss man sich gegen den großen Feind auch mit Leuten verbünden, die man sonst auch als Feind ansehen würde. So habe ich das gesehen, aber PROPAGANDHI waren nicht kompromissbereit und so kam der Song nicht auf die CD.

Nun hat sich das Problem mit Bush zum Glück erledigt, Obama wurde Präsident. Würdest du rückblickend sagen, dass sich dein Einsatz mit der Punkvoter-Kampagne gelohnt hat, auch wenn die für den zurückliegenden Wahlkampf nicht reaktiviert wurde?

Absolut! Der Anteil junger Wähler war diesmal so groß wie nie zuvor, und das hat auch was mit unserer Arbeit zu tun – und der von vielen anderen Organisationen, die das gleiche Ziel haben. Wir hatten also sicher etwas Einfluss auf die Wahlen, wobei ich bei den letzten Wahlen nicht mehr viel gemacht habe. Mir war klar, dass das Ergebnis so aussehen würde, und jeder, den ich kannte, würde sowieso für Obama stimmen – was hätte ich also noch tun sollen?

Und was hast du aus diesem Engagement gelernt?

Dass ich es nicht mag, mich politisch zu engagieren, und dass es auch nicht mein Ding ist, Spenden sammeln zu gehen. Ich habe das ein paar Mal versucht, aber es liegt mir einfach nicht. Man kommt sich da wie ein Bettler vor, und letztlich ist damit auch immer so ein „Eine Hand wäscht die andere“-Deal verbunden – das ist ekelhaft. Und so habe ich mich darauf beschränkt, diese Compilations zu machen und damit Geld zu sammeln. Wir konnten 2004 rund eine Million Dollar für John Kerry spenden – und mussten dann ein Jahr später Steuern darauf zahlen, weil wir zu dumm waren, das richtig zu machen. Das war nicht gut. Aber ich bereue nichts. Doch wenn jemand wie Chris Hannah mich ankacken will, weil ich für John Kerry gekämpft habe, der die Alternative zu George Bush war, dann habe ich dafür kein Verständnis.

Es ist eben alles die Frage eines gesunden Pragmatismus’.

Exakt! Und PROPAGANDHI sind keine Pragmatiker, sondern Fundamentalisten. Ich war mal stolz, ihre Platten rausbringen zu dürfen, aber heute sind sie eine Speed-Metal-Band.

Warst du immer ein pragmatisch denkender Mensch?

Ja, negativ und pessimistisch. Aber wie sagt man so schön? Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung. Als Pragmatiker wirkt man angesichts der wirtschaftlichen Probleme der Welt heutzutage sowieso wie ein Pessimist: Welche andere Erkenntnis als „We’re fucked!“ ist denn möglich? Wie soll man da optimistisch denken?

Daran ändert auch deine kleine Tochter nichts?

Mein Leben hat sich nicht wirklich verändert, seit ich ein Kind habe, und nein, ich denke nicht ständig über ihre Zukunft nach. Wenn alles in den Arsch geht, dann geht es eben in den Arsch. Wenn es Sinn macht, kaufe ich eben auch eine Windmühle zur Stromerzeugung und setze sie mir in den Garten, aber da habe ich nicht die Zukunft meiner Tochter im Sinn. Deshalb hat sich mein Leben also nicht viel verändert, mal abgesehen davon, dass ich jetzt öfter in den Zoo gehe.

Mir fiel bei „Backstage Passport“ auf, dass du immer sehr stilsichere T-Shirts trägst, also nur von guten, alten Bands. Das ist doch kein Zufall, oder?

Doch! Ich packe einfach immer ein paar alte Shirts ein, wobei ich aus Prinzip keine Shirts von Bands auf meinem Label trage. Also trage ich welche von BAD RELIGION, meiner Lieblingsband, oder von meinen Freunden wie BOUNCING SOULS.

Dass du beim Besuch der Klagemauer in Jerusalem ein BAD RELIGION-Shirt getragen hast, war aber doch kein Zufall, oder?

Hehe, nein. Dazu gibt es aber noch eine bessere Geschichte: In Australien verletzte ich mich bei einer Show am Fuß und musste ins Krankenhaus. Es stellte sich heraus, dass es ein christliches Krankenhaus ist, und es war mir richtig peinlich, dass ich da dieses Shirt mit dem klassischen BAD RELIGION-Logo trug, also dem durchgestrichenen Kreuz: „Äh, nein, das T-Shirt hat keine besondere Bedeutung, das ist nur ein Band-Shirt. Kann ich jetzt bitte kostenlose medizinische Behandlung bekommen?“ Denn mal ehrlich, dieses Bandlogo ist wirklich das offensivste, was man sich vorstellen kann. Unsereins kennt das schon so lange, da denkt sich keiner mehr was dabei, doch was wäre, wenn man ein T-Shirt mit einem durchgestrichenen Davidsstern tragen würde? Das ist doch seltsam.

In „Backstage Passport“ gibt es auch eine Situation in Malaysia, wo es zu Spannungen kommt mit jemandem aus dem Publikum, wobei nicht so ganz klar wird, worum es da geht – irgendwas mit einem Schal als religiösem Symbol des Islam. Die Situation hätte eskalieren können, war dir das eine Lehre, dass man in anderen Kulturen nicht so offensiv mit Kritik an Religion umgehen kann, wie du es in Europa oder den USA tust?

Ich bin ein politisch korrekter Mensch. Gleichzeitig stelle ich mich aber auch hin und sage, dass Moslems total abgefuckt sind! Klar, Christen auch, aber im Vergleich zu Moslems sind die gar nichts. Und natürlich sind die Juden auch abgefuckt. Wenn man seine Religion auf ein Buch gründet, das 2.000 Jahre alt ist, was will man da aber auch erwarten? Immerhin, das Neue Testament macht etwas mehr Sinn als das Alte. Vielleicht sollte man die Bibel ja einfach mal updaten, damit die wieder Sinn macht und etwas humaner ist. Vielleicht sollten Frauen ja auch Rechte haben. Vielleicht ist es nicht okay, Menschen wegen Ehebruch zu steinigen. Und Moslems sind eben noch viel schlimmer als die Christen, weshalb ich mich immer wieder zu solchen Tiraden gegen Religion hinreißen lasse. Und ich versuche immer, alle Religionen gleichermaßen zu beschimpfen, von Buddhisten mal abgesehen, die sind ziemlich cool, aber Hindus sind auch abgefuckt.

Die Band BROADWAY CALLS hat sich über die Warped-Tour letztes Jahr dahingehend geäußert, die Mehrzahl der Bands sei „made up of either Christian jocks that play really heavy music for Jesus, or pop bands with the only thing separating them from boy bands like BACKSTREET BOYS are their dropped D tuned guitars hanging from their shoulders“. Ihr seid auch immer da, also denke ich, dass du dazu sicher auch eine Meinung hast.

Also die Warped-Tour 2008 war schrecklich, die 2009 wird cool. Abgesehen davon: Wenn da eine christliche Band dabei ist, nerve ich die jeden Tag. Ich mache die permanent an!

Wie UNDEROATH?

Wie UNDEROATH. Bei denen habe ich es geschafft, dass sie die Tour abgebrochen haben. Wegen mir. Und ich bin stolz darauf. Ich meine, die haben Jesus gepriesen auf der Bühne! „What the fuck are you doing on my tour!?“ Und ja, letztes Jahr waren auf der Warped-Tour viele shitty Bands. Ich habe dann mit dem Warped-Tour-Macher Kevin Lyman gesprochen und klargestellt, dass wir nicht dabei sind, falls er nicht ein paar andere coole Bands wie BAD RELIGION dabei hat, denn auf einen Haufen Kids mit nach vorne gekämmten Haaren haben wir keinen Bock. Und so sind dieses Jahr neben uns auch BAD RELIGION, FLOGGING MOLLY, BOUNCING SOULS und LESS THAN JAKE dabei – und natürlich auch ein paar nicht so gute Bands. Aber mit denen werden wir fertig.

Mir kommt es so vor, als ob du auf einem Kreuzzug gegen religiöse Menschen bist.

Oh ja. Die Zeit für Toleranz ist vorbei, denn die meisten Probleme auf der Welt werden von religiösen Menschen verursacht. All diese Fundamentalisten! Wenn jemand an „Gott“ glauben will, ist er zwar ein Idiot, aber ich lasse ihn in Ruhe, auch wenn du glauben willst, die Erde sei eine Scheibe. Doch wenn wie im Falle von UNDEROATH der Drummer nicht glaubt, dass es Dinosaurier gegeben hat, oder der Gitarrist der Meinung ist, Schwule sollten nicht das Recht haben zu heiraten, dann haben sie die Grenze zum Eiferer, zum Faschisten überschritten. Und das bedeutet, dass ich sie bekämpfen werde. Denn da geht es nicht mehr darum, an Gott zu glauben oder nicht, da fängst du an, dich in das Leben anderer Menschen einzumischen, und da ziehe ich die Linie. Und da gehe ich dann auch noch einen Schritt weiter und frage, ob man es zulassen kann, dass in Afghanistan die Taliban kleinen Mädchen, die in die Schule gehen, Säure in die Augen spritzen, um sie zu blenden? Gegen solche Religionen muss man klar Stellung beziehen! Das ist eine ganz humanitäre Haltung.

„Coaster“ ist just erschienen – das letzte NOFX-Album, wie wir es kennen? Und welche Zukunft siehst du für Fat Wreck in Zeiten, da Web-Downloads das Maß aller Dinge zu sein scheinen?

Ich denke, es wird immer Labels geben, auch wenn viele untergehen werden in den nächsten Jahren und die CD keine Zukunft hat. Aber wenn ein Label eine Band unter Vertrag nimmt, gibt das der Band eine gewisse Bedeutung, im Sinne von: „Oh, Fat Wreckords haben eine neue Band gesignt, die höre ich mir mal an.“ Und das ist ein Unterschied, denn natürlich gibt es bei MySpace 20.000 Bands, aber da weiß doch niemand, was er sich anhören soll. Da braucht es jemanden, der filtert. Und es ist zwar schwieriger geworden in letzter Zeit, wir können nicht mehr so viel Geld in Bands investieren wie früher, aber ich wüsste nicht, wieso wir aufhören sollten.

Musst du das sagen, weil du ein Label machst? Genau wie ich als Fanzine-Macher sagen muss, dass man auch in Zeiten kostenloser Webzines gedruckte Magazine braucht, die man kaufen muss?

Na ja, der Zeitungs- und Zeitschriftenbranche geht es sicher noch schlechter als den Labels, und wo ich früher dachte, Bücher werde es immer geben, merke ich jetzt, dass immer mehr Menschen auf eBooks umsteigen. Fuck, die Technologie bringt uns alle um, sie zerstört die Welt?

Die Welt an sich oder nur unsere Welt?

Sowohl als auch! Technologie bringt permanent Leute um ihren Job: The robots are taking over. Klar, Technologie macht das Leben auch einfacher, man muss nicht mehr so hart arbeiten, aber Geld verdient man auch nicht mehr. Und so wird die Gesellschaft immer fauler und fetter.

Bereiten dir solche Gedanken schlaflose Nächte oder sind das Themen, über die man beispielsweise in einem Interview spricht?

Also mir geht es bei meinem Label immer nur darum, gute Platten zu veröffentlichen. Über Verkaufszahlen und Marketingaspekte mache ich mir keine großen Gedanken mehr. Nimm die FLATLINERS, die mit uns spielen: Wenn wir die vor zehn Jahren gesignt hätten, wären die heute riesig. So eine Band heutzutage zu veröffentlichen ist viel härter, doch ich denke, Fat Wreckords bringt immer noch gute Platten raus, nur werden die nicht mehr so oft verkauft wie früher. Und vor ein paar Jahren signte ich AGAINST ME!, ANTI-FLAG, RISE AGAINST, und schau dir an, wo diese Bands heute stehen. Mit DEAD TO ME und FLATLINERS habe ich neue Bands, und ich weiß nicht, ob die genauso groß werden, aber in der Vergangenheit hatte ich immer wieder mal den richtigen Riecher. Und deshalb denke ich, dass Labels immer noch wichtig sind.

Dann sprechen wir doch noch über „Coaster“ – ein Album, das einen etwas ernsteren, reflektierteren Unterton zu haben scheint. Bist du erwachsen geworden?

Nein, auf keinen Fall! Wenn man sich unsere Platten mal genau anschaut, sind die meisten Songs recht ernst. Es hängt stark vom Zuhörer ab, wie er ein Album, einen Song wahrnimmt, was er denkt, was er hört. Auf unserem letzten Album waren so viele ernste Songs! Wahrscheinlich ist es bei „Coaster“ einfach „My orphan year“, das Lied über den Tod meiner Eltern, das alle runterzieht. Ansonsten ist es eine Platte, die eher oldschool klingt, finde ich, und nicht besonders modern.

Oldschool, Newschool, Hardcore, Punkrock – alles nur Worte, aber als das Ox vor zwanzig Jahren gegründet wurde, nannten wir das bewusst „Hardcore-Fanzine“, weil Punk uns viel zu destruktiv erschien. Mittlerweile hat sich das wieder geändert, Hardcore scheint vielfach nur Mode und Metal zu sein, während Punkrock die Attitüde transportiert.

Lustig, dass du das erwähnst, denn genau darüber habe ich mich erst gestern noch mit jemandem unterhalten. Der bezeichnete uns als eine der ältesten aktiven Hardcore-Bands, und da habe ich mich erst mal bedankt, denn ja, wir sind eine Hardcore-Band! Und die verdammten Asshole-Kids mit dem Make-up haben sich einfach dieses Wort geklaut und uns auf Punkrock reduziert. Doch als wir die Band 1983 gründeten, spielten wir Hardcore, aber ganz klar! [El Hefe läuft vorbei, furzt ins Mikrofon und läuft lachend weiter. Danke ...] Was nun die neue Platte anbelangt, so ist es unsere bisher punkrockigste. Sie ist mehr im Midtempo-Bereich angesiedelt, es gibt eher weniger Hardcore-Beats, ist klassischer Achtziger-Jahre-L.A.-Punkrock. Und unser Merchandiser meint sogar, es sei unser siebtbestes Album ...

Das siebtbeste von elf Alben, wow ...

Na ja, es braucht immer ein paar Jahre, bis man ein Album wirklich beurteilen kann. Ich halte „So Long And Thanks For All The Shoes“ für unser bestes Album, und danach kommt „The War On Errorism“.

Meine Favoriten sind immer noch „Liberal Animation“ von 1988 und „S&M Airlines“ von 1989.

Nooooooo ... das ist schrecklich. Hör dir die noch mal in Ruhe an, und ich wette, du siehst das anders. Du verbindest mit denen einfach eine bestimmte Zeit in deinem Leben, deshalb sagst du das. Das ist wie bei BAD RELIGION, deren bestes Album ist auch nicht „Suffer“, sondern „Against The Grain“ oder „Stranger Than Fiction“.

Nein, also „Suffer“ ist definitiv mein Klassiker.

Ich mag „Suffer“, es hat mein Leben verändert, aber „Against The Grain“, Song für Song gesehen, ist einfach besser. Meine Frau ist übrigens der Meinung, „War On Errorism“ sei unser bestes Album.

Und wie würdest du das Kriterium für „bestes Album“ definieren?

Anhand des Verhältnisses guter zu mittelmäßigen Songs. Und anhand der Bedeutsamkeit der Texte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Übrigens bin ich der Meinung, dass die NOFX-Texte seit zehn Jahren immer besser geworden sind, und die besten Texte sind die auf „Wolves In Wolves’ Clothing“.

Was sind für dich gute Texte?

Texte mit einer gewissen Wortakrobatik, die mehrdeutig sind, bei denen man nicht so genau weiß, was gemeint ist, bis man dann draufkommt, was gemeint ist – das macht für mich einen guten Text aus. Das ist wie bei einem guten Buch, bei dem man immer mal zurückblättern muss, das dein Denken anregt, dessen Aussage nicht plakativ vor dir liegt. Etwa „USA-holes“ vom letzten Album, das ist einerseits ein guter Titel, andererseits geht es in dem Text über einen Schiffsuntergang, der wiederum Metapher für den Zustand der USA ist: Das Schiff rammt einen Eisberg, woraufhin der Kapitän der Arktis den Krieg erklärt. Und nach der gleichen Logik ging George Bush vor: Da fliegt ein Terrorist aus Saudi-Arabien ein Flugzeug in ein Gebäude, und er erklärt dem Irak den Krieg. Wasssss?! Vielleicht hätte der Irak damals nach der gleichen Logik Mexiko den Krieg erklären sollen, hahaha.

Dann sag mir doch zum Schluss noch, welcher Song von „Coaster“ schon jetzt ein Klassiker ist.

Ich denke, „My orphan years“ ist für mich ein wichtiges Lied, und ein paar Leute sagten mir, sie hätten geweint, als sie den Text gelesen haben. Ein ganz persönlicher, kein politischer Song. Mein Lieblingssong ist allerdings „Blasphemy (The victimless crime)“.