BROILERS

Foto© by Robert Eikelpoth

Schon immer Fan von Pathos

Ines, wie hast du dir letztes Jahr die Zeit vertrieben?
Ich war Anfang 2020 total euphorisch und freute mich extrem auf das Jahr. Und ja, dann kam Corona und in der ersten Zeit war es merkwürdig. Ich habe den Lockdown anfangs fast ein bisschen genossen, wenn ich ehrlich bin. Es war ganz schön, diese Ruhe zu haben und ich fand es interessant zu erleben, wie eine Stadt so ein bisschen in eine Art „Schlaf“ fallen kann. Unwirklich. Aber es wurde dann recht schnell ganz schlimm und real, da war zum Beispiel die Angst, dass Menschen, die einem nahestehen, an diesem unberechenbaren Virus erkranken. Dann kam der Sommer und ich musste daran denken, dass wir jetzt eigentlich auf der Bühne stehen und mit ganz vielen Menschen die Zeit unseres Lebens feiern könnten. Gleichzeitig sah es im näheren Umkreis bei Menschen beruflich total beschissen aus oder sie bekamen Corona. All das hat mich natürlich auch mitgenommen.

Hast du noch irgendwie einen „bürgerlichen“ Rückhalt oder bist du auch 100% Musikerin?
Ich bin zu 100% Musikerin. Der Rückhalt sähe maximal so aus, dass einem Mutti wieder wie früher ein Butterbrot schmiert.

Was machte die Situation mit dir? Hattest du noch Lust, dein Instrumente überhaupt in die Hand zu nehmen?
Das war ein Auf und Ab. Zunächst war da dieser Bruch, dass man erst einmal dachte: Puh, wofür jetzt eigentlich? Aber ich mag es nicht, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern versuche eigentlich immer, das Beste aus einer Situationen zu machen. Also habe ich irgendwann wieder das Instrument genommen. Ich merkte schnell, dass ich länger nicht gespielt hatte.

Martin von EA80 schrieb mir, dass er als Gitarrist seit vierzig Jahren das erste Mal keine Hornhaut an den Fingern habe.
Ja, das ging mir auch so. Beziehungsweise merkte ich das in der Badewanne: Da lasse ich immer meine linke Hand am Wannenrand liegen, damit die nicht nass wird und sich die Hornhaut nicht löst. Tja, und das war so ein Moment, wo ich dachte: Hand ab ins Wasser, egal.

Andere Menschen gehen zur Kosmetikerin um Hornhaut loszuwerden ...
Zumindest bei mir als Musikerin, die die Finger für das Instrument benötigt, wäre das kontraproduktiv. Maniküre ist da ja generell ein weniger wichtiges Thema, auch was lange Fingernägel betrifft. Das lohnt halt nicht und das ginge auch gar nicht. Aber das finde ich auch ehrlich gesagt nicht so schlimm.

Hornhaut-Aufbau steht also auf deiner To-do-Liste für die Nach-Corona-Zeit.
Ja, das gehört dazu, wie Muskelaufbau.

Welche anderen Leidenschaften, mit denen man irgendwie die Zeit rumkriegt, haben sich bei dir entwickelt?
Da hat sich weniger neu entwickelt, sondern eher verfestigt, zum Beispiel das Malen. Und ich habe mich mehr mit Yoga beschäftigt und das intensiviert.

Wie lange hat das angehalten? Auch von schönen Dingen kann man ja mal genug haben.
Da das Sachen waren, die ich schon immer gerne gemacht und nur noch vertieft habe, hatte ich nicht das Gefühl, dass es auch mal reicht. Grundsätzlich möchte ich auf die Bühne und wieder meinen Job machen. Das Bedürfnis war schon recht schnell wieder da, weil wir ja auch das eine Jahr Pause vorher hatten. Seit ich auftrete, habe ich noch nie so lange nicht auf der Bühne gestanden. Ich kenne das so nicht.

Wie lange machst du das schon?
26 Jahre. Seit 1995 bin ich bei den BROILERS.

Wie empfandest du in diesem Kontext das Aufnehmen, die Arbeit im Studio?
Ich fand es nicht schwer. Es tat allen gut, sich wiederzusehen und etwas zu tun. Alle haben sich sehr darauf gefreut. Zuvor hatten wir uns als Band lange Zeit nur über Zoom getroffen. Im Studio war es natürlich ein anderes Arbeiten als sonst, weil es uns wichtig war, die Corona-Maßnahmen zu beachten, Abstand zu halten und so weiter. Aber ansonsten war es eigentlich gleich. Wir haben auch diesmal wieder im Principal Studio bei Münster mit Vincent Sorg aufgenommen. Das fand ich schön, da konnte man Corona mal für eine Weile mehr oder weniger vergessen.

Ist Sammy so der Kopf der Band, wie man das immer wahrnimmt und weil er nun mal der Frontmann ist?
Natürlich ist er das, aber das ist auch bedingt dadurch, dass er als Sänger bei Journalisten gefragter ist und eben derjenige mit dem Mikrofon. Ansonsten sind wir eigentlich alle gleichberechtigt. Aber ja, er hat schon das Zepter in der Hand. Ich finde, in einer Gruppe muss es aber auch immer jemand geben, der die Schäfchen zusammenhält.

Wie würdest du deine Rolle in der Band charakterisieren?
Das ist eine gute Frage. Das müssten eigentlich eher die anderen fragen. Ich finde es immer schwer, über mich selbst zu urteilen. Ich glaube, dass ich es manchmal schaffe, untereinander zu vermitteln. Die Jungs reden manchmal aneinander vorbei, merken das aber nicht. Und da mische ich mich dann ein. Mehr fällt mir dazu nicht ein, weil ich nicht darüber nachdenke.

Aktuell wird viel debattiert über den Umgang mit Frauen in der Punk-Szene, über Diskriminierung.
Ich finde, diese Debatte muss an den richtigen Punkten ansetzen. Mir selbst ist das Gendern oft zu viel. Aber Sexismus ist ein ganz wichtiges Thema, man muss viel mehr aufklären und laut sein, muss den Mund aufmachen. Ich glaube allerdings nicht, dass man alleine damit etwas ändert, dass man ein „:in“ ans Wortende macht. Es mag für Aufmerksamkeit sorgen oder dafür, dass das vielleicht vielen Frauen das Gefühl gibt, auch gehört zu werden oder mitgemeint zu sein. Das kann ich in einer gewissen Weise nachvollziehen, aber ich glaube nicht, dass das viel bewirkt, und denke, dass es ein bisschen zu billig ist. Ich glaube auch nicht, dass es Sexisten zum Umdenken bringt. Und jemand, der generell nicht in diesen Kategorien denkt, der braucht es nicht. Ich habe mich zum Beispiel nie als Frau angegriffen gefühlt, wenn nicht gegendert wurde. Ein Wort wie „Leser“ ist für mich nicht männlich, das ist neutral. Es gibt so viele andere Baustellen, die gerade in diesem Bereich angepackt werden müssten.

Zum Beispiel? AKNE KID JOE haben mit ihrem Song „Sarah (Frau, auch in ner Band)“ ja sehr gut thematisiert, wie Frauen im Musikkontext gegebenenfalls nicht wahrgenommen werden. Gab es in all den Jahren BROILERS Situationen, wo du als Frau nicht wahrgenommen wurdest, so nach dem Motto „Nee, ich bin nicht die Frau vom Merch, ich spiele in der Band!“.
Das waren alles Situationen, über die ich schmunzeln konnte. Es ist auch ein bisschen eine Frage der Einstellung. Es gab immer wieder mal Situationen, die sexistisch waren, die ich aber als „nicht kämpfenswürdig genug“ empfunden habe. Denken die Leute an Band und Frau, denken sie: Sängerin! Bei einer Frau denkt man immer direkt, sie spiele kein Instrument, ich bin also immer direkt die Sängerin. Ich glaube, in all den Jahren habe ich nur einmal erlebt, dass nach der Vorstellung „Ich bin in einer Band“ gefragt wurde: „Welches Instrument spielst du denn?“ Das ist für mich ein typisches Beispiel für Sexismus. Das ist scheiße, und wenn das passiert, dann sage ich demjenigen auch mal was dazu. Es ist aber auch nicht so, dass mich das total böse macht. Böse werde ich, wenn etwas gegen den Willen einer Frau geschieht, wenn es um Anfassen geht, wenn eine Frau angemacht wird und es heißt, wenn sie sexy gekleidet ist, sei sie ja selbst schuld. Da werde ich aggressiv, da wird mir schlecht. Da geht mein Puls hoch, da grummelt es in meinem Bauch. Aber bei „Ach, die Sängerin ...“, da sage ich halt: „Nein. Frauen können auch etwas anderes.“ Es gibt für mich also andere Punkte, wo ich viel böser werde und die für mich einfach gar nicht gehen.

Was ist mit „offiziellen“ Situationen, etwa wenn es um den Beruf geht: „Rockmusikerin“. Gibt es da schon mal ... Irritationen?
Ich trage da „selbstständig“ ein, das ist schön neutral, haha. Wenn man einmal über das „Ach, Sängerin?“ — „Nein! Bassistin!“ hinweg ist, kommen eigentlich ganz normale Fragen, jenseits dieser „Typisch Frau, typisch Mann“-Geschichten.

Bist du als eine Frau, die seit über 25 Jahren in einer Band spielt, bei dem Thema möglicherweise nicht ganz so ... kampfeslustig wie eine Frau, die heute Anfang zwanzig ist?
Ich würde sagen, ja. Ich weiß natürlich nicht, wie es heutzutage ist, ein Teenager-Mädchen zu sein. Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe in meinem Leben Sexismus bislang nie wirklich zu spüren bekommen. Als Mädchen habe ich Fußball gespielt und hatte immer aufgeschürfte Knie. Ich habe von meinem Elternhaus aus immer alles machen dürfen. Ich habe mit Autos gespielt anstatt mit Puppen. Mir stand die Welt immer schon offen. Ich habe nie zu hören bekommen: „Du bist ein Mädchen, das geht nicht.“ Ich hatte vielleicht auch immer viel Glück, auf die richtigen Menschen zu treffen. Auch meine Bandkollegen sind wirklich gute Jungs, die einen nicht sexistisch behandeln.

Eine Theorie dazu, weshalb es relativ wenige Frauen als Musikerinnen in Punkbands gibt, setzt da an, dass in Relation zu Männern schon weniger Mädchen E-Gitarren-, E-Bass- oder Schlagzeugunterricht nehmen. Wie war das bei dir?
Ich glaube, das hat auch viel mit Vorbildern zu tun. Ich überlege gerade, weswegen ich zum Instrument griff ... Bei mir waren das schon männliche Vorbilder. Ich brauchte zu der Zeit keine weiblichen Vorbilder, aber trotzdem war Courtney Love mit HOLE schon auch meine Band, als ich 14, 15 war. Ich weiß nicht, ob das heutzutage anders ist und Mädchen mehr weibliche Vorbilder brauchen. Wenn man ehrlich ist, fängt das doch auch schon viel früher an, im Elternhaus, etwa wenn Mädchen eher mit Pferden oder mit Ballett in Berührung kommen, als dass Eltern sie zum Schlagzeugunterricht anmelden. Das Wichtigste ist doch, dass das Kind das macht, worauf es Bock hat, und es nicht in irgendwelche Rollen gezwungen wird.

Wie kamst du konkret zum Musikmachen und dazu, Bass spielen zu wollen?
Der Freund meiner älteren Schwester hat Gitarre gespielt, wir waren mal bei ihm zu Hause und mir war langweilig. Und dann habe ich die Gitarre genommen und darauf herumgeklimpert. Das fand ich total interessant und daraufhin habe ich mir eine Gitarre zum Geburtstag gewünscht. Zu der Zeit war ich ganz großer METALLICA-Fan und das war auch das Erste, was ich auf der Gitarre nachgespielt habe. Die Gitarre war also mein erstes Instrument, bis ich irgendwann auf den Bass umgestiegen bin.

Hattest du Unterricht?
Damals nicht, aber jetzt habe ich Unterricht.

Lehrer oder Lehrerin?
Ich habe einen Basslehrer. Als ich nach Unterricht gesucht habe, habe ich hier in Düsseldorf drei Basslehrer gefunden, die nächste Basslehrerin wäre in Köln, das war mir zu weit weg. Warum sollte ich das auch nach Geschlecht entscheiden? Ich gehe zu demjenigen, der mir sympathisch ist und einen guten Job macht.

Redest du gerne oder eher ungerne über dieses Thema? Ist das für dich ein wichtiges Thema?
Auch wenn ich das Glück hatte, dass ich in meinem Leben bisher noch nie viel für bestimmte Sachen kämpfen musste, weil ich eine Frau bin, ist es ist ein ganz, ganz wichtiges Thema für mich, weil es eben nicht alle Frauen auf dieser Welt so gut haben. Gerade wenn man in einer Position wie meiner ist, finde ich es ganz wichtig, den Mund aufzumachen und darüber zu reden. Aber es darf auch nicht zu viel werden, davon bin ich auch kein Freund. Ich mag es generell nicht, von Menschen in Kategorien zu denken.

Sprechen wir über das Album ...
Ich bin total happy. Die neue Platte ist natürlich immer die tollste, aber diesmal gibt es noch mehr Lieder, die ich gerne höre. Für mich ist alles irgendwie noch runder als sonst. Mein Grinsen ist noch größer und das Herz wird noch wärmer, wenn ich an das Album denke. Es ist für mich wie ein langes Lied, es ist in sich geschlossen, so homogen und stimmig, obwohl es musikalisch so abwechslungsreich und sehr positiv ist.

Ist es für dich auf der Bühne wichtig, dass du siehst, wie die Leute mitgehen?
Ja. Diese Emotionen und Reaktionen – das mag ich. Schon allein die Freude, die aus den Reaktionen auf die Ankündigung unserer neuen Platte sprach, fand ich toll. Die ganzen Kommentare waren so positiv, dass ich das Album am liebsten direkt drei Stunden später rausgebracht hätte, nur um die Leute noch fröhlicher zu machen. Da wird mir warm ums Herz.

Mit Sammy sprach ich über Pathos.
Pathos, ja, mögen wir. Was soll ich dazu sagen? Ich war auch schon immer Fan von Pathos, meinetwegen hätten wir schon immer ein bisschen mehr davon haben können.

Ein Song, der mir besonders aufgefallen ist, ist „Alter Geist“.
Den mag ich echt gerne. Der ist ziemlich „Achtziger“, finde ich. Dieser Vibe, dieser cheesy Rock, das ist so mein Ding. So alte DEPECHE MODE etwa. Ich bin Jahrgang ’79, also quasi ein Kind der Achtziger, und habe schon als Kind viel dieser Musik wahrgenommen, auch weil ich zwei ältere Schwestern habe. Wir sind auch viel Auto gefahren, da lief so was im Radio rauf und runter.

Also ist die Platte alles in allem genau so, wie sie sein muss.
Total. Allen recht machen kann man es nie. Selbst wir fünf in der Band sind uns nicht über alle Lieder einig. Was für den einen ein Hit ist, kann der andere wiederum nicht so gut leiden. Das finde ich aber auch total okay.

Ist die Band eine Demokratie?
Ja, das ist schon eine Demokratie. Jeder versucht zwar mit Engelszungen und allen Mitteln, die anderen vom eigenen Standpunkt zu überzeugen, aber am Schluss ist es eine demokratische Entscheidung. Wenn es etwas gibt, mit dem einer überhaupt nicht klarkäme, dann respektieren wir das.

Wie lange hältst du es noch aus ohne Konzerte?
Ich kann mich ganz gut in so eine Art Winterschlaf versetzen, indem ich nicht zu viel darüber nachdenke, wie sehr ich wieder auf die Bühne will. Als wir das Video zu unserer ersten Single „Gib das Schiff nicht auf!“ gedreht haben, standen wir auf einer ganz kleinen Bühne ohne Publikum, aber es war schon überwältigend, mit den Jungs nach anderthalb Jahren wieder auf einer Bühne zu stehen. Ich glaube, so geht es jedem, der seinen Job wirklich mag. Wir sind seit anderthalb, fast zwei Jahren richtig raus aus allem! Unsere ganzen Leute, mit denen wir normalerweise auf Tour sind, vermisse ich sehr.