In schöner Regelmäßigkeit lässt sich in den verschiedensten Subkulturen und insbesondere in der Punk- und Oi!-Welt ein Phänomen beobachten, das man fast schon als „reflexartiges Ritual des Abstoßens“ bezeichnen kann.
Während in der verhassten, biederen Spießerwelt und bei Verfechtern des schnöden Mammons ein Streben nach „mein Haus, mein Auto, mein Boot“ als Definition des „glückseligen“ Status quo gilt, erhebt die Subkultur exklusiven Besitzanspruch auf „meine Szene, mein Konzert, meine Band“.
Wenn ebendiese sich aber weiterentwickelt oder aus den eng gesteckten Grenzen mit den Jahren herauswächst und sich der großen weiten Welt durch ihren Erfolg öffnet, tritt genau anfangs beschriebenes „Ritual des Abstoßens“ ein.
Das war schon Ende der Achtziger bei den Frankfurter Würstchen so, die sich ihre Haare irgendwann „bis zum Arsch“ wachsen ließen, und wo der Schnauzbartproll plötzlich ein „Onkel wie wir“ war neben dem ewiggestrigen-Faschotrottel.
Später wurde das bei 4 PROMILLE nur durch die plötzliche Auflösung verhindert (obwohl bei der letzten Scheibe ein Abstoß-Reflex beim Szenetratsch schon oft zu vernehmen war), und das ist auch bei den Broilers im Jahre 2009 nicht anders.
Und es ist ja auch nicht gerade eine Wonne, wenn anstelle des bekannten Iros oder Glatzkopfs plötzlich kreischende Teenies oder pickelige Freizeitrebellen, vermischt mit Möchtegern-Rockern, dieselbe Band abfeiern wie man selbst.
Nix mehr Subkultur und Abgrenzung, man ist zunächst peinlich berührt, dann weicht Betroffenheit der Wut und es endet mit dem bekannten Outing, dass „dies ja nicht mehr meine Band“ sei. So weit, so gut – und in vielen Fällen durchaus verständlich bei Szene-Epigonen, die früher immer am lautesten schrieen, dass sie nie Mainstream oder Kommerz werden würden und nur Musik für „Skinheads/Punks (trage Passendes bitte >hier< ein)“ spielen würden.
Wenn aber eine Band erfolgreich ist, irgendwann aber keinen Bock mehr auf den kurzen Haarschnitt hat und nicht immer nur dieselben drei Akkorde spielen will, dabei aber straight ihren Weg geht, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen, dann stimmt bei diesem Ritual irgendwas nicht für mich.
Und dies ist der Fall bei den Broilers, wie das vorliegende Mammut-DVD-Package beweist. „The Anti-Archives“ zeigt auf dem eigentlichen Highlight der Veröffentlichung – der fast zu langen Dokumentation auf DVD 2 –, dass diese Band, trotz Schmalzlocke von Sammy und Rotwein-Glas statt Flaschenbier-Attitüde, nach wie vor genauso tickt, wie vor all den Jahren und ihre Wurzeln nicht verleugnet.
Kein Schönreden von alten Zeiten oder schamhaftes Verleugnen, dafür die komplette History von den Anfangstagen der Band als Kiddie-Punk- und Skinhead-Band bis hin zur heutigen Entwicklung.
Unglaublich viel gesammeltes, rares Material. Die Band scheint wirklich jeden Moment in all den Jahren auf Film gebannt zu haben. Eine überragende Dokumentation, die zwar ihre Längen hat, aber nichts ausspart.
Und wenn die Giga-TV-Tante im Interview noch so nachhakend insistiert, dass Skinheads doch „böse und gewalttätig“ seien, gibt’s trotzdem keine Entschuldigung, sondern das klare Bekenntnis, dass die Band Teil dieses Kultes war – sich nach wie vor im Freundes- und Band-Kreis darin bewegt und wohl fühlt, Respekt! Auch der Blick hinter den Kulissen zeigt nicht den A&R Manager mit aalglatten Major-Betreuern und coolen Hipstern, sondern ein Umfeld aus der Szene, was die Band trotz ihres Erfolges als Family beibehält und lebt.
Da kommt der Opa-Skin Crazy United-Frank genauso zu Wort und ist Teil der Family wie Emscherkurve 77-Spiller oder die bis vor kurzem noch vereinten PLY-Chefs im Muppet Show-artigen Rollenspiel.
D.I.Y. und der unglaublich professionelle Anspruch der Band reichen sich hier die Hand. Manchmal schießt das dann auch unfreiwillig komisch über den Tellerrand hinaus, etwa bei Lobeshymnen befreundeter Bands („Broilers are the German Clash ...“), aber was soll’s.
Diese Band ist sympathisch und hat sich den Erfolg durch eigene Arbeit verdient, Punkt. Auf DVD 1 gibt’s die BROILERS live, bestehend aus dem Düsseldorf-Heimspiel im Tor 3 und dem Conne Island-Gig in Leipzig.
Alles ist von der Songauswahl bis zu den professionellen Ton- und Bildaufnahmen genial anzusehen und wiederum perfekt, aber nicht künstlich umgesetzt. Broilers eben! Ein fettes Booklet, ein paar Videoclips als Bonusmaterial, inklusive des für mich überflüssigem 3D-Clips sind außerdem enthalten.
Wahnsinnsteil, unbedingt zu empfehlen! Und wenn die Band weiter auf dem Teppich bleibt, demnächst die Philipshalle ruft und „The Anti Archives“ zwischenzeitlich in den Charts eingestiegen ist, geht mir das obligatorische Gemecker weiterhin am Arsch vorbei.
Ich stehe immer noch neben den Schreihälsen aus der sechsten Klasse und den peinlichen Proll-Deppen beim Broilers-Gig in vorderster Reihe. Diese Band gehört nicht mehr nur „mir“ – und ich mag sie trotzdem, basta!
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