Kaum hatten wir das neue NOFX-Album auf Facebook angekündigt und die Ox-Titelstory dazu, gab es neben reichlich Likes auch diverses Gemecker: „Die schon wieder“, „Sind die langweilig“, blablabla. Das hat was vom Gast in der Pizzeria, der sich über Teigfladen mit Tomatensauce beschwert. Das sind Diskussionen, die so ermüdend sind wie das alkoholisierte Gelaber der Suffköppe am Kneipentresen – seit Jahren jeden Abend die gleichen Themen und Sätze. Simple as that: Niemand muss NOFX hören. Aber viele Menschen tun es. Seit Jahren. Aus Begeisterung. Nicht zwingend aus naivem Fanboy/girltum, sondern weil die Band sie seit Jahren begleitet. Gut, dass kann man von BAP oder PUR auch sagen, aber wo die Liebe hinfällt, wer will, wer soll da urteilen? Fat Mike, der seit Jahren weit vor seinen langjährigen Bandkollegen im Vordergrund steht (und was die auch nicht zu stören scheint), ist alles andere als eine Lichtgestalt, sondern einer, der sein Herz auf der Zunge trägt (siehe quasi alle Texte hier) und seine Fans mitleiden lässt. Scheidung, depressive Phasen, sexuelle Präferenzen, Beziehungsende, Drogen- und Alkoholmissbrauch – Mike ist gnadenlos offen, aber nie in Art eines um Aufmerksamkeit heischenden Influencers, sondern als Anti-Rockstar. „Scheitern als Chance“ hieß es bei der APPD mal, das hat Mike verinnerlicht, er lässt mit seiner schon auf die 40 zugehenden Band seit geraumer Zeit keine Chance aus, jegliche Selbstinszenierung von Punkrockbandfrontmann-Kollegen unbewusst zu konterkarieren. Wer will, kann sich darin selbst entdecken, was auch immer für das eigene Leben rausziehen, dabei therapeutische oder wegen mir auch voyeuristische Momente haben – Mike juckt es nicht. An diesen Punkt zu kommen, das ist eine Lebensleistung. „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“ ins Positive gedreht, die maximale Freiheit – was ist das, wenn nicht Punk? Vor allem aber ist Mike bei all dem niemals dumm. Nach „normalen“ Maßstäben nicht besonders klug sein mögen manche seiner Aktionen, bisweilen auch anstößig (siehe Las Vegas), aber geschäftlich hat er seinen Laden im Griff, diskriminierende Ausfälle sind keine überliefert, und vor allem ist er kreativ immer noch gut, ja besser denn je (was die eingangs erwähnten Leute freilich anders sehen). „The big drag“, der 5:48-Opener des „Single Albums“ (deshalb „single“, weil die andere Hälfte des Doppelalbums erst später 2021 kommen wird) ist eine niederschmetternde Abrechnung mit „der Welt“, in „Birmingham“ stellt er (sich?) die Frage „What’s the point of doing more, when the drugs don’t work no more?“. Mit „Linewleum“ knüpft er an einen der größten NOFX-Hits an, und ein Liebeslied hat hier den Titel „I love you more than I hate me“. Mag sein, dass hier musikalisch gefühlt Stagnation herrscht, aber ... wie als nach NOFX sollte das denn auch klingen?
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