In einer Gesellschaft, die voll und ganz auf Kapitalismus ausgerichtet ist, ist es schwer, sich diesem System zu entziehen – egal, welcher Subkultur man angehört und ob man am Ende als „Sellout“ betitelt wird. Und so wie es auf TikTok für alles eine Nische gibt, so gibt es auch einen Hype um „Corporate Goth“ – Goth, der zugleich gesellschaftskonform ist.
Goth als Subkultur hat bereits eine lange Geschichte hinter sich und fand seine Anfänge in den Achtzigern in Großbritannien, aber sicherlich nicht, um möglichst gesellschaftskonform zu sein. Ursprünglich stand hier vor allem die Musik im Vordergrund, mit Gothic-Rock, Post-Punk und eben allem, was man als dazugehörig empfindet. In Zeiten von Social Media hat sich die Bedeutung von Goth – auch über die Jahre – sicherlich deutlich verändert und jeder verbindet etwas anderes damit. Deutlich wird auf Plattformen wie TikTok aber auch, dass sich Goth heutzutage besonders viel um Fashion dreht. Es geht immer noch darum, anders zu sein, außergewöhnlich, und sich von der Masse – dem Mainstream – abzuheben. Trotzdem gibt es mit „Corporate Goth“ einen Trend, der Outfit-Inspirationen zeigt, die dazu dienen sollen, als Goth möglichst unauffällig im Nine-to-five-Bürojob anzutreten.
Ob auf TikTok, Instagram oder Pinterest – unter „Corporate Goth“ kann man eine Fülle an Outfit-Inspirationen finden für all diejenigen, die einen Bürojob haben, Goth sind und ihren Style auch im professionellen (kapitalistischen) Kontext ausleben wollen. In den Videos gibt es üblicherweise Tipps, Inspirationen und natürlich Links zu den vorgestellten Kleidungsstücken – ein bisschen will man daran ja schließlich auch verdienen. Die Outfits bestehen dabei häufig aus langen schwarzen Röcken, Plateau-Doc-Martens und schwarzen Blusen. Dazu noch ein deutlich reduziertes Make-up und schon kann man zu seinem Bürojob fahren, ohne Angst zu haben, gleich um neun Uhr morgens vom Chef zum Gespräch gebeten zu werden. Der Individualismus wird also auf das Minimum runtergeschraubt.
Zu einem Trend auf TikTok wurde „Corporate Goth“ sicherlich gerade deshalb. Auch Menschen, die sonst nichts mit Goth zu tun haben, können sich von dem Look angesprochen fühlen. Die Outfits sind häufig elegant, bürotauglich, und ohne das entsprechende alternative Aussehen durch Haare, Make-up und gegebenenfalls Piercings könnten die meisten „Corporate Goth“-Outfits auch als ganz „normale“ Klamotten durchgehen. Man könnte sogar so weit gehen und sagen, dass „Corporate Goth“ vielleicht die eine oder andere Person näher an Goth bringt und als Einstieg in die alternative Mode dienen kann.
Für alle, die bereits Goth sind, ist dieser Trend aber sicherlich auch hilfreich. Auch wenn das Ziel von Subkulturen wie Goth sicherlich nie war, möglichst gesellschaftskonform zu sein, so ist „Corporate Goth“ dennoch der Versuch, trotz diverser Einschränkungen durch eine kapitalistische und nicht den Individualismus fördernde Gesellschaft dennoch ein Stück von sich selbst zu bewahren. Verbringt man vierzig Stunden in der Woche in seinem (Büro-)Job, verbringt man am Ende mehr Zeit damit, sich äußerlich verstellen zu müssen, als dass man Zeit hat, man selbst zu sein, sich auszuleben, sich im Spiegel wieder zu erkennen.
Trotzdem bleibt bei diesem Trend etwas auf der Strecke: die Musik. In den meisten Videos zu „Corporate Goth“ scheint die Songauswahl nicht von großer Bedeutung zu sein. Beliebt sind Bands wie MOLCHAT DOMA, die bereits vor einiger Zeit durch ihren außergewöhnlichen Post-Punk-Sound auf TikTok viral gegangen sind, dadurch aber auch weniger ein Interesse für Musik aus der Subkultur widerspiegeln. Beliebt sind dafür eher Audios, die gerade auf TikTok trenden und häufig vor allem im Herbst für viele Klicks sorgen – Audios, die einen spooky Vibe haben, Sped-up-Versionen von Songs, aber auch Mainstream-Klassiker von Künstler:innen wie Lady Gaga.
Bei „Corporate Goth“ geht es weniger um eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Subkultur, sondern vielmehr um Lifestyle-Vlogs, mit Outfit-Inspirationen, „What’s in my bag“- und „Office Essentials“-Videos. Ein Blick in das Leben eines Goths, der seinen Individualismus in seiner Freizeit ausleben kann und mit seinem Content versucht, Inspirationen für gesellschaftskonformen Goth zu liefern, um auch im Job das meiste an Individualismus herausholen zu können.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #159 Dezember 2021 /Januar 2022 2021 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #160 Februar/März 2022 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #161 April/Mai 2022 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #162 Juni/Juli 2022 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #163 August/September 2022 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #164 Oktober/November 2022 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #165 Dezember 2022 /Januar 2023 2022 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #166 Februar/März 2023 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #167 April/Mai 2023 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #168 Juni/Juli 2023 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #169 August/September 2023 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #170 Oktober/November 2023 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #171 Dezember 2023/Januar 2024 2023 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #172 Februar/März 2024 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #173 April/Mai 2024 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #174 Juni/Juli 2024 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #175 August/September 2024 und Isabel Ferreira de Castro
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #176 Oktober/November 2024 und Isabel Ferreira de Castro