PUNK NET - GEN Z ENTDECKT SUBKULTUR

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Diesmal: Szene-Polizei - Ab wann darf man sich als „alternative Person“ bezeichnen?

Neue Generation, neues Gatekeeping. In gewisser Weise hat es schon immer Gatekeeping in der Szene gegeben, oft gegenüber Frauen, wodurch dann Memes entstanden sind wie: Nenn mir drei Songs von der Band auf deinem Shirt! Man würde also meinen, dass eine neue Generation in Subkulturen offener, willkommen heißender und weniger „gatekeepy“ ist. Tja, falsch gedacht.

Gen Z verändert vieles, auch die Art, in der Gatekeeping betrieben wird. Gatekeeping findet jetzt vielleicht weniger in alternativen Räumen wie Clubs statt, dafür aber online. Besonders auf TikTok gibt es den Trend, minutenlange Videos hochzuladen, in denen Menschen definieren, was ihrer Meinung nach zur Szene gehört und was nicht, wer sich Punk nennen darf und wer das eben nicht darf. Es stellen sich also die Fragen: Ab wann ist man Punk? Wozu zählt eigentlich Goth? Was bedeutet Indie-Sleaze? Und wie tief muss man in der Materie sein, um dazuzugehören?

Diese Fragen werden auf TikTok aktuell besonders gerne in Bezug auf das neue Lieblings-Duo des Internets gestellt: Jake Webber und Johnnie Guilbert. Die beiden YouTube-Stars machen häufig gemeinsame Videos, in denen sie ihre Reisen vloggen, Essen testen oder sonstigen Unsinn treiben – mit Entertainment stets an erster Stelle. Was viele alternative TikTok-User:innen dabei stört: die beiden haben ein alternatives Aussehen. Basierend auf Stereotypen könnte man Jake Webber äußerlich durchaus als neumodischen Punk bezeichnen, und Johnnie Guilbert fühlt sich unverkennbar von der Emo-Ästhetik der frühen 2000er und 2010er Jahre angezogen. Mit der Punk-Szene und -Kultur haben die beiden aber kaum etwas zu tun und werden daher auf TikTok gerne als „Poser“ bezeichnet, vor allem Jake Webber. Aber wer gibt eigentlich vor, wer sich wie zu kleiden hat? Und ist nicht ein essentieller Grundstein des Punkseins, dass sich jede:r so kleiden darf, wie er oder sie will? Muss man sich immer zu 100% mit der Szene identifizieren?

Es wird schnell klar, dass viel Kritik an Jake Webbers Aussehen auf Gatekeeping beruht. Sich zu 100% mit der Szene zu identifizieren, wirkt doch fast unmöglich, da zum einen Punk unglaublich divers und vielschichtig ist. Zum anderen tendiert das Internet sowieso gerne zum Schwarzweißdenken und eine Person muss zu 100% mit den eigenen Vorstellungen vom Punksein übereinstimmen, um sich der Szene zugehörig fühlen zu dürfen. Es ist faszinierend, immer wieder im Internet, speziell auf TikTok zu beobachten, wie Menschen den Finger heben und eine Szene definieren wollen, die aus vielen Aspekten und Nischen besteht, die aber nur ihren Vorstellungen Folge zu leisten hat. Dabei bleibt das Wichtigste: Sei kein Arschloch und stell dich gegen Nazis.

Nebenbei bemerkt ist der Bezug der beiden YouTuber zur alternativen Szene überhaupt nicht weit hergeholt. Johnnie Guilbert war bereits in den frühen 2010ern auf YouTube beliebt und 2014 Teil des Kollektivs „My Digital Escape“. In dieser Gruppe schlossen sich mehrere Emo- und Scene-Kids zusammen, um gemeinsam Videos zu drehen. Dazu gehörte auch Bryan Stars, der in den frühen 2010ern bekannt wurde durch seine Interviews mit Bands auf der Vans Warped Tour.

Ob nun zwei erfolgreiche, wohlhabende YouTuber von ein paar TikTok-User:innen „gemobbt“ werden, könnte einem eigentlich egal sein. Aber das Gatekeeping innerhalb der Szene fängt bei großen Namen an und endet auch bei den unbekanntesten Personen im Internet. Was andere junge Leute vielleicht mit diesem Gatekeeping online sehen, überträgt sich auch auf die reale Welt und schreckt junge Leute vielleicht eher davon ab, die alternative Szene näher kennenlernen zu wollen. Auch wenn Jake Webber und Johnnie Guilbert nicht aktiv über szenerelevante Themen sprechen, so könnte ihr alternatives Aussehen ausreichend sein, um bei einigen ihrer Zuschauer:innen Interesse an der alternativen Kultur und vielleicht sogar am Punk zu wecken. Sichtbarkeit von alternativer Kultur und Punk sollte nicht schlecht geredet oder sofort von der Szene-Polizei unterbunden werden. Vor allem in Hinblick auf eine schrumpfende Szene und fehlenden Nachwuchs. Ein YouTuber mit mehreren Millionen Zuschauer:innen kann gerne für junge Leute der Einsteig in die alternative Kultur sein, auch wenn es im ersten Schritt nur um die Ästhetik geht. Der Rest folgt, wenn die Leute dann auch die Musik für sich entdecken und sich tiefgehender sozialisieren.