TikTok ist den meisten (älteren) Leuten wohl als Kurzvideo-Plattform bekannt, auf der jugendliche komische Tänze aufführen, alle Songs in 1,5-facher Geschwindigkeit abgespielt werden – man könnte es schon als Nightcore-Revival einstufen – und generell eher der Mainstream Aufmerksamkeit findet. Doch manchmal schleichen sich auch deutsche (Punk-)Bands in die TikTok-Trends und begeistern Menschen auf der ganzen Welt.
So erging es auch der deutschen Punkband PISSE. Deren Song „Fahrradsattel“ ging vor gut einem Jahr auf TikTok viral und zwar nicht nur in Deutschland, sondern international. In fast 21.000 Beiträgen auf TikTok ist der Song benutzt worden und der Content reicht dabei von Comedy-Videos über Fashion-Tips bis hin zu Leuten, die einfach nur ihre Liebe für dieses Stück ausdrücken wollen. Und auch auf Spotify hat sich der plötzliche Hype bemerkbar gemacht: Der Song ist bereits über 71 Millionen Mal gestreamt worden und liegt damit Welten vor dem zweitmeistgestreamten PISSE-Song „Vernissage“, der „nur“ 3,5 Millionen Streams auf Spotify verzeichnet.
Da fragt man sich natürlich, wieso ausgerechnet ein Punksong wie „Fahrradsattel“ auf TikTok viral geht und nicht nur deutsche, sondern auch englischsprachige User:innen begeistert. Auf TikTok gehen zwar vor allem Mainstream-Songs viral, die User:innen drehen sich aber auch bei absurden oder abgespaceten Sounds im Kreis. Ein Glück also, dass „Fahrradsattel“ absurd und abgespacet klingt. Im Song geht es nämlich im Prinzip nur darum, dass der Sänger gerne der Fahrradsattel von einem Mädchen sein möchte – klingt komisch und ist es wahrscheinlich auch. Dazu gibt es dann noch coole Post-Punk-Gitarren und einen guten Vibe, und schon nutzt jede zweite Person den Song in ihrem Video. Na ja, ganz so einfach ist es zwar nicht, TikTok kann aber ein besonders gutes Tool für alles abseits vom Mainstream sein. Es gibt so viele neue Trends in so kurzer Zeit auf TikTok, so viel neue Musik, neue Ästhetiken, da gilt ganz einfach das Motto: „Auffallen ist alles.“ Und das tut „Fahrradsattel“.
Dabei darf man auch nicht vergessen, dass gerade englischsprachige Musikfans auf deutsche Musik abfahren – das hat die eine oder andere deutsche Band bereits bewiesen, die international bekannt ist. Das muss zwar nicht immer in Form von deutschsprachigen Songs sein, es macht die Sache aber deutlich spannender. ANNENMAYKANTEREIT und GIANT ROOKS beispielsweise sind vor einiger Zeit auf TikTok komplett durch die Decke gegangen. Die beiden Bands haben ein gemeinsames Cover des Songs „Tom’s Diner“ hochgeladen, das vor allem wegen der unglaublich rauhen und tiefen Stimme von ANNENMAYKANTEREIT-Sänger Henning May viral gegangen ist. Das Video hat knapp 17 Millionen Likes und wurde bereits mehr als 120 Millionen Mal angeschaut.
Wie nachhaltig virale TikTok-Videos für Künstler:innen sind, ist natürlich fraglich. Eine Band kann hunderttausende Follower:innen auf TikTok haben und trotzdem gerade so die kleinen Clubs ausverkaufen. „Fahrradsattel“ hat mit seinen Streams alle anderen Songs von PISSE weit hinter sich gelassen und die meisten TikTok-User:innen, die den Song gut fanden oder sogar ein Video mit diesem Sound gepostet haben, machen sich nicht notwendigerweise die Mühe, in eine andere App – Spotify – zu wechseln, um den Song zu speichern oder sich näher mit der Band zu befassen. Leider bleibt es meistens bei einem viralen Hit, ohne dass die Fanbase massiv anwächst. Entsteht auf TikTok ein Hype um eine Band selbst, und nicht nur um einen ihrer Titel, kann das wiederum deutlich nachhaltiger sein.
Da TikTok aber sowieso seinen eigenen Streaming-Dienst aufbauen möchte, wodurch man alles in einer App hätte – Kurzvideos, Social Media, Musikstreaming –, lässt sich in Zukunft durch einen viralen Song vielleicht auch eher eine Fanbase aufbauen. Schließlich müssen Fans dann nicht mehr zwischen mehreren Apps wechseln. Da stellt sich dann nur die Frage, ob TikTok die Künstler:innen nicht vielleicht sogar noch schlechter bezahlen wird, als es Spotify tut – und dann bringt einer Band auch ein millionenfach geklickter Song herzlich wenig.
Fanbindung für nachhaltigen Erfolg ist und bleibt wichtig und lässt sich durch einen Song alleine nicht aufbauen. Virale Songs abseits vom Mainstream sollte man aber auch immer als Chance sehen, neue Musik für sich zu entdecken.
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